Die Todesstrafe aus philosophischer Sicht

Viele waren dafür

Die Todesstrafe hat heute viele Gegner. Doch als vor 125 Jahren der elektrische Stuhl eingeführt wurde, war dies im Vergleich zu früheren Methoden die "humanere" Variante.

Elektrischer Stuhl (dpa)
Elektrischer Stuhl / ( dpa )

Am 6. August vor 125 Jahren starb zum ersten Mal ein Mensch auf dem elektrischen Stuhl. Weltweit wird die Todesstrafe laut Amnesty International in 58 Staaten praktiziert. Dabei kommen auch andere, teils archaisch anmutende Prozeduren zum Einsatz. Aber unabhängig von der Frage des Wie - lässt sich die Todesstrafe überhaupt legitimieren?

Akt der Humanität

Als vor etwa 225 Jahren die Guillotine eingeführt wurde, handelte es sich unter anderem um einen Akt der Humanität. Nicht nur Gleichheit sollte damit Eingang in die Strafpraxis finden. Verglichen mit früheren Methoden wie Vierteilen, Rädern, Hängen oder Köpfen mit dem Schwert, bedeutete die halbautomatische, maschinelle Trennung von Kopf und Rumpf auch ein Stück "Brüderlichkeit". Auch die Einführung des elektrischen Stuhls, die sich am 6. August zum 125. Mal jährt, schien geeignet, die Vollstreckung der Todesstrafe für alle Beteiligten erträglicher zu gestalten.

Wenn man den Blick über die Grenzen des westlichen Kulturkreises hinaus lenkt und von Erschießungen, Steinigungen und bestialischen Enthauptungen hört, kann man sich auch heute noch fragen, ob der elektrische Stuhl und die letale Injektion - die umstrittene sogenannte Giftspritze - nicht in der Tat humane Mittel sind, einem Delinquenten den Tod zu bringen. Daneben aber stellt sich eine andere, grundsätzliche Frage: Ist die Todesstrafe überhaupt nötig und legitimierbar?

Todesstrafe in der Philisophie

Auch diese Frage bewegt die Menschen seit Jahrhunderten. Will man Befürworter und Gegner der Todesstrafe miteinander ins Gespräch bringen, bietet sich ein Blick in die Philosophiegeschichte an. Für uns Mitteleuropäer erstaunlich: Die bekanntesten Vertreter der Philosophie waren für die Todesstrafe. Platon hielt die Todesstrafe in allen Fällen vorsätzlichen Mordes für angemessen. Wer nächste Angehörige umbringt, den solle man steinigen, dann über die Grenze schaffen und unbegraben liegen lassen.

Thomas von Aquin betrachtete den Verbrecher als faules Glied am Körper des Staates, das entfernt werden müsse. Nach John Locke hat ein Mörder der gesamten Menschheit den Krieg erklärt und sich auf eine Stufe mit wilden Raubtieren begeben. Von Kant stammt die Forderung: "Hat er [...] gemordet, so muß er sterben." Auch Hegel hielt die Todesstrafe bei Mord für unabdingbar. Und Arthur Schopenhauer erklärte: "Schafft erst den Mord aus der Welt: dann soll die Todesstrafe nachfolgen."

Pro und Contra

Die heute gängigen Argumente gegen die Todesstrafe stoßen in der Philosophiegeschichte auf starke Einwände. Kirchners Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe fasst Pro und Contra zusammen: Die Todesstrafe schreckt nicht ab? Keine Strafe hat stets diesen Erfolg. Dem Hinzurichtenden wird die Möglichkeit der Besserung entzogen? Aber Besserung ist nicht der Hauptzweck beim Strafen. Niemand darf einen anderen des Lebens berauben? Dazu hat aber der Mörder auch nicht das Recht; der Staat ist berechtigt, einen Mörder aus Notwehr zu töten.

Die Philosophie bietet, wie es scheint, prinzipielle Gründe für die Todesstrafe: Notwehr, Wiedervergeltung (das ius talionis) und die Idee des Rechts. Wenn man Kant und Hegel folgt, spricht auch die Menschenwürde dafür. Jeder Straftäter soll die Strafe bekommen, die seine Tat verdient (bei Mord die Todesstrafe). Und seine eigene Tat als Maßstab zugrunde zu legen, das bedeutet gerade, den Verbrecher als freie Persönlichkeit ernst zu nehmen.

Nur Fichte geht über die Frage des Rechts hinaus und appelliert an die Moral. Den Befürwortern der Todesstrafe lässt sich mit Fichte sagen: "Ja, ein Gewaltverbrecher hat den Anspruch auf Schonung verwirkt. Aber die Gesellschaft ist moralisch verpflichtet, ihn nicht verloren zu geben, sondern auch in ihm die Anlage zur moralischen Selbstbestimmung zu respektieren." Hier deutet sich schon an, was heute, nach der Erfahrung zweier Weltkriege und ungeheurer, staatlicherseits begangener Verbrechen, das Denken über Schuld und Strafe prägt.

Leben nach dem Tod

Vor allem in zwei Aspekten hat dieses Denken sich wesentlich geändert. Zum einen hat der Glaube an ein Leben nach dem Tod für viele an Bedeutung verloren und damit der Glaube, dass die irdische Gerichtsbarkeit nicht die letzte sei. Wir verurteilen Menschen zum Tode, weil unsere Vorfahren an das ewige Leben glaubten, wir maßen uns den Richterstuhl Gottes an, schreibt 1957 Albert Camus. Zum anderen haben Evolutions- und Neurobiologie, Psychologie und Soziologie uns unsere eigene Bedingtheit vor Augen geführt. Wir wissen, dass unser Leben bestenfalls ein Ringen um Freiheit, aber kein Handeln in absoluter Freiheit ist.

Wer glaubt, er könne das Wesen eines Menschen beurteilen, auch der maßt sich die Rolle eines göttlichen Richters an. Weder über die Gesinnung eines Menschen noch über Umstände und Hergang einer Tat lässt sich letzter Aufschluss gewinnen. Ein Justizirrtum ist immer möglich, die Todesstrafe aber ist irreversibel. Jeder muss die Chance haben, zu bereuen und wiedergutzumachen, meint Camus. Das ist nur möglich, wenn man auf die Todesstrafe verzichtet. Von den Opfern, den Angehörigen eines Mordopfers, wird dabei eine kaum zumutbare Selbstüberwindung verlangt. Nichts kann einen Mord wiedergutmachen. Damit müssen sie leben. Vielleicht kann das besser gelingen, wenn man dem schon geschehenen Leid nicht noch mehr Leid hinzufügt.


Elektrischer Stuhl im "Texas Prison Museum" (dpa)
Elektrischer Stuhl im "Texas Prison Museum" / ( dpa )
Quelle:
KNA