Experten diskutieren Sterbehilfe

Wem gehört das Sterben?

Sterben und Tod scheinen in der Leistungsgesellschaft keinen Platz haben zu dürfen. Über das kontroverse Thema der Sterbehilfe und des ärztlich assistierten Suizids wurde bei einer Tagung in München diskutiert.

Sterbebegleitung (dpa)
Sterbebegleitung / ( dpa )

"Wenn wir sterben, endet unsere Kontrolle, das ist das Menschenschicksal, das alle trifft." Für den Psychiater Eckhard Frick ist auch dies ein Grund, warum so emotional und leidenschaftlich über das Lebensende gestritten wird. Zusammen mit anderen Experten aus Medizin, Recht und Theologie diskutierte der Münchner Jesuit bei einer Tagung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in München über Sterbehilfe. Alois Glück, stellvertretender Vorsitzender der Stiftung und Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, erklärte 2015 zum Jahr der Entscheidungen.

Zum einen gehe es um die normative Debatte darüber, wie Grundsatzfragen zur Sterbehilfe zu regeln sei, sagte er. Einigkeit bestehe quer durch die Fraktionen darüber, dass Palliativpflege und Hospizarbeit ausgebaut werden müsse, berichtete Glück, der zu diesem Thema viele Hintergrundgespräche in Berlin geführt hat. Politischer Konsens sei auch, dass dieser Ausbau gesetzlich verankert werden müsse. Eine andere Frage sei die der gesellschaftlichen Leitbilder.

Offene Gespräche

Der Palliativmediziner Christoph Ostgathe sagte, er sei "sehr froh über jeden Menschen, der den Mut aufbringt, seinen Sterbewunsch mit mir zu besprechen." Patienten müssten die Erlaubnis haben, "alles denken und sagen zu dürfen", ohne Angst vor Verurteilung zu haben. Forschungen hätten ergeben, dass 10 bis 20 Prozent der schwerkranken oder alten Menschen einen Todeswunsch äußerten. Und dass dieser Wunsch veränderlich sei.

Es könne sein, dass ein- und dieselbe Patientin sage, sie wolle sterben, einige Wochen später jedoch wieder einen starken Lebenswillen zeige. "Lebenswille und Todeswunsch sind nicht zwei Extreme einer Dimension, beides kann im gleichen Patienten stark ausgeprägt sein", so Ostgathe. Dies gelte es auszuhalten und anzuerkennen.

Sterbehilfe als Gewissenskonflikt

Der Palliativmediziner nahm außerdem seine eigene Berufsgruppe in die Pflicht. Ärzte sollten den Satz "Wir können nichts mehr für Sie tun" aus ihrem Vokabular streichen. Es gebe so gut wie immer eine Alternative, sagte er mit Blick auf das Instrumentarium der Palliativmedizin. In wenigen Ausnahmen könne ein assistierter Suizid als einziger Ausweg erscheinen. "Die Norm sollte aber nicht von Einzelfällen verändert werden."

Der Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Peter Küspert, bezeichnete die Diskussion um Sterbehilfe als "Gewissenskonflikt einer ganzen Gesellschaft." Der Gesetzgeber habe die Aufgabe, das Leben vor rechtswidrigen Angriffen zu schützen. Er müsse aber auch genügend Freiheiten für eigene Entscheidungen lassen. Kritisch sieht Küspert die Professionalisierung von Sterbehilfe. So könnte der Eindruck entstehen, dies sei eine normale Dienstleistung. "Das könnte das Gut Leben auf Dauer relativieren", mahnte der Richter.

Der evangelische Theologe Traugott Roser forderte, den kranken Menschen und sein Empfinden in den Mittelpunkt zu stellen. In der Diskussion über ärztlich assistierten Suizid "haben wir immer eine Außenperspektive." Die Situation als kranker Mensch unter Gesunden sei enorm anstrengend. Der Druck des Funktionieren-Müssens in einer Welt der Gesunden könne zu viel werden. Darauf müsse auch die Hospizarbeit achten und den Betroffenen Dinge abnehmen, ohne ihnen Kompetenz zu entziehen.

Grenzen des Selbstbestimmungsrechtes

Der Soziologe Reimer Gronemeyer erklärte, seit die Menschen sich in allen Bereichen ihres Lebens frei entscheiden dürften, habe sich auch der Umgang mit dem Sterben geändert. Die Leute sagten: "Ich habe mich in meinem Leben immer selbst entschieden, warum sollte das am Ende meines Lebens anders sein?" Ihm erscheine unausweichlich, dass Deutschland mehr und mehr auf die Legalisierung der Sterbehilfe zusteuere, sagte Gronemeyer. Er finde die Entwicklung jedoch höchst bedenklich.

Dennoch will der Wissenschaftler, der auch Theologe ist, nicht von seinem Optimismus lassen. Gronemeyer verwies auf das Bibelzitat "Wie könnt ihr hoffen auf das, was ihr seht?" Er hoffe auf das, was er nicht sehe: "eine Gesellschaft, die ungeahnte Kräfte an Wärme und Sorge für andere entwickelt".

 Barbara Mayrhofer


Quelle:
KNA