Prälat Jüsten kritisiert Eckpunkte zur Sterbehilfe

Sterben ist keine Dienstleistung

Der Bundestag sucht nach Regeln im Umgang mit Sterbehilfe. Einige Politiker von Union und SPD schlagen nun vor, dass Ärzten die Suizidbeihilfe erlaubt ist. Prälat Karl Jüsten befürchtet, dass der Suizid dann als "normal" gilt.

Bischöfe sind gegen Sterbehilfe / © Jörg Loeffke (KNA)
Bischöfe sind gegen Sterbehilfe / © Jörg Loeffke ( KNA )

domradio.de: Heute haben sich mehrere Bundestagsabgeordnete für den ärztlich-assistierten Suizid ausgesprochen.  Warum lehnen Sie den Vorstoß ab?

Prälat Dr. Karl Jüsten: Wir bedauern es, dass das komplexe Thema eines menschenwürdigen Sterbens in unsere Gesellschaft verkürzt wird auf die Frage des geregelten Zugangs zu einem ärztlich-assistierten Suizid.

domradio.de: Sie befürchten, dass wenn es so neu geregelt würde, wie die Abgeordneten vorgeschlagen haben, Menschen in Grenzsituationen unter Druck geraten. Wie meinen Sie das?

Jüsten: Wenn der Eindruck entsteht, dass der Suizid etwas normales ist und dass Ärzte dabei ganz normal helfen, so wie sie eben helfen, wieder gesund zu werden, dann schwindet bei den Menschen doch irgendwann auch das Bewusstsein dafür, dass das Sterben eigentlich eine Sache ist, die zum Leben, zum Menschsein dazu gehört. Es schwindet das Bewusstsein, dass das Sterben nicht selbst in unserer eigenen Hand liegt, sondern - ich sag das jetzt fromm als Theologe - das  Sterben eben mit zu unserem Leben gehört, was uns von Gott geschenkt ist. Wenn der Suizid als etwas ganz normales gilt, dann sagen diese Menschen irgendwann, dann wollen wir mal lieber früh sterben, dann müssen wir nicht mehr die teuren Krankenkassen bezahlen.  Der Druck wird immens wachsen.

domradio.de: Was sagen Sie denn zu Extremfällen, wenn zum Beispiel ein Mensch wirklich nur noch von Maschinen am Leben gehalten wird, selbst überhaupt keine Freude mehr an seinem Dasein hat und lieber sterben möchte?

Jüsten: Das muss ja alles nicht sein. Wir haben heute schon die Patientenverfügung und wir haben heute schon die Möglichkeiten, dass der Patient selber bestimmen kann, wie es am Ende seines Lebens sein wird. Wenn einer an der Maschine ist gegen seinen Willen, dann ist das übrigens Körperverletzung. Das heißt, keiner muss an der Maschine hängen, der das nicht möchte. Deshalb raten wir dringend allen Leuten, eine Patientenverfügung und eine Patientenvollmacht zu machen, wo das alles genau geregelt ist. Die Palliativmedizin ist mit der Zeit so professionell geworden, dass sie es schafft, dass der Mensch am Lebensende nicht mehr leiden muss, wenn er schwere Schmerzen hat.

domradio.de: Würden Sie soweit gehen und sagen, wer eine vernünftige Schmerztherapie bekommt, der will eigentlich gar nicht mehr sterben?

Jüsten: Palliativmediziner und auch vor allen Dingen Pflegerinnen und Pfleger aus der Palliativmedizin sagen mir, dass die meisten Menschen Angst vor dem Sterben haben. Wenn sie dann aber aus der Angst heraus Wünsche artikulieren können, auf welche Weise sie denn leben wollen, dann gehen sie konstruktiv mit der Angst um und  wenden sie in etwas Positives, nämlich in ihre Wünsche. Wenn man dann die Wünsche erfüllen kann, und die meisten Wünsche kann man sogar erfüllen, zumindest was die Schmerztherapie betrifft, dann besteht bei den wenigsten Menschen noch der Wunsch auf Suizid.

domradio.de:  Welche Hilfe sollten Sterbende Ihrer Meinung nach noch erhalten?

Jüsten: Ein ganz wichtiger Punkt ist an erster Stelle der Ausbau der Palliativmedizin. Der zweite Punkt ist, da sind wir als Kirchen ganz stark gefordert, die Seelsorge. Dass Seelsorgerinnen und Seelsorger da sind, dass zunehmend auch Ehrenamtliche diese Aufgabe übernehmen, Sterbende zu begleiten. So kann ihnen die Angst genommen werden, gerade dann, wenn sie keine eigenen Angehörigen mehr haben, damit sie dann an der Hand eines Menschen sterben. Vor allem Dingen müssen auch die pflegenden Angehörigen ein Angebot bekommen, wie man ihnen helfen kann. Denn sie sind oftmals auch erschöpft und können nicht mehr, weil die Pflege eines Angehörigen eine sehr, sehr anstrengende Sache sein kann. Deshalb müssen auch Hilfen unternommen werden, um den pflegenden Angehörigen beizustehen. Das gibt es auch alles schon,  die Malteser und die Caritas machen da zum Beispiel großartige Arbeit, es gibt viele Hospize und Ehrenamtliche. Da ist schon eine ganze Menge da, das muss im Grunde genommen nur noch für alle angeboten werden.

domradio.de: Sie sehen durch die geplante Neuregelung auch das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ganz grundsätzlich gefährdet. Warum?

Jüsten: Der Arzt hat nach seinem hippokratischen Eid die Aufgabe, nicht den Menschen zu töten, sondern ihn zu heilen. Er hat auch nicht die Aufgabe, den Menschen beizustehen, wenn dieser den Wunsch äußert, sich das Leben zu nehmen. Eigentlich ist der Eid damit verbunden, dass der Arzt ihn davon abbringen muss, seinem Leben selber ein Ende zu bereiten. Wenn das jetzt als normale Dienstleistung angesehen wird, die ein Arzt auch vollbringen kann, dann ändert das auch das Bild des Arztes sehr eklatant. Ich verstehe die Ärzte in Deutschland, die das deshalb auch ablehnen.

domradio.de: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Hilde Regeniter. 

 


Prälat Karl Jüsten (KNA)
Prälat Karl Jüsten / ( KNA )
Quelle:
DR