Barack Obamas christlicher Hintergrund

"Der fromme Mann im weißen Haus"

Gestern hielt US-Präsident Obama eine Rede auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor. Seine Rede enthielt auch christliche Elemente, analysiert der Theologe Markus Voss im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Ist Barack Obama ein frommer Mann?

Markus Voss: Nach seinem eigenen Selbstbild auf jeden Fall. Er hat viele Jahre mit der Suche nach seiner eigenen Identität verbracht. Er hat viele Arten von Glauben kennengelernt, mehr auf  einer intellektuellen Ebene. Der jüdische Glauben ist ihm bekannt, der muslimische Glauben ist ihm von seiner Kindheit in Indonesien gut vertraut, der christliche Glaube schon lange. Bevor er zum Glauben gekommen war, hat er sehr viel in der Bibel gelesen und auch von seiner Mutter, die Anthropologin war, hat er eine Menge mitbekommen über die Religionen, die es in der Welt gibt. Als junger Mann hat er sich dann bewusst für diesen Glauben entschieden und immer mehr und immer ernsthafter auch versucht, ihn aktiv zu leben und in seinen Tag einzubauen und zu praktizieren. Das ist ein langer Entwicklungsprozess, aber ja, er ist ein frommer Mann.

domradio.de: Woher haben Sie denn diese Informationen, wie Barack Obama betet, wie er die Evangelien liest?

Markus Voss: Ich habe mich lange Zeit mit seinen Reden auseinandergesetzt. Mit der Geschichte seiner Reden, wie seine Reden entstehen, was die Motive sind, wie sie funktionieren. Ich habe 2308 Reden von Präsident Obama analysiert und systematisch untersucht. Im Zuge dieser Reden und deren Entstehungsgeschichte bin ich immer wieder darauf gestoßen, dass vieles von dem, was er schreibt, nur vor bestimmten Hintergründen verständlich ist, und dass vieles von dem, was er zum Beispiel über christliche Werte, über seinen Glauben, über Religion im Allgemeinen sagt, aus eigenen Erfahrungen entspringt. Das kann man umso besser im Vergleich sehen, wenn man das mit sehr frühen Reden vergleicht. Das andere ist, dass ich im Zuge der Recherchen das unglaubliche Privileg hatte, mit vielen Spezialisten Kontakt aufzunehmen, auch weltweit. Unter anderem auch mit Obamas spirituellen Beratern. Außerdem auch mit Leuten, die im Weißen Haus gearbeitet haben, u.a. mit dem für Religion zuständigen Abteilungsleiter. Die alle haben mir natürlich Hintergrundinformationen gegeben. Ein paar Dinge musste ich verallgemeinern, ein paar Dinge natürlich verfremden, aber man bekommt einen ersten, winzigen Einblick.

domradio.de: Sie haben gesagt, Sie haben unheimlich viele Reden von ihm gelesen. Gucken wir uns mal die Reden von gestern an. Finden Sie auch da Ausführungen, Zeichen für den christlichen Glauben?

Markus Voss: Absolut. Die Rede gestern war ein Obama-Klassiker, wie er im Lehrbuch steht. Da haben wir die ganze Palette bekommen. Das war eine wahre Enzyklopädie von Themen, die er angesprochen hat. Einerseits die politischen Themen: nukleare Abrüstung, Aids, CO2-Emissionen, der Welthunger, der arabische Frühling. Das andere ist auch, wie er die verschiedenen Motive miteinander verknüpft hat, die Referenz von Autoritäten wie John F. Kennedy. Aber auch die Referenz von Martin Luther King. Dann, wie er Schritt für Schritt Wahlkampfslogans aus seinen alten Wahlkämpfen aus der Senatszeit noch eingebaut hat. Das wird man sicherlich in Berlin nicht so gemerkt haben, aber es war ganz viel von den letzten Jahren seiner Reden zusammengefasst, unter anderem auch Motive, die für ihn durch und durch religiös geprägt sind. Zum Beispiel, dass Berlin eine Stadt der Hoffnung ist, die sich durchsetzt gegen große Widerstände. Das ist für ihn ein durch und durch religiöses und christliches Motiv: Christus, der den Tod überwindet. Dann die Tatsache, dass wir mit unseren Hoffnungen vorangehen können, dass diese Hoffnungen uns ermächtigen, uns beflügeln, dass es eine von Gott gegebene Aufgabe ist, das Gute in der Welt zu tun und Gottes Werk auf Erden zu tun. Es geht für ihn darum, dass die Werte selbst dazu führen, dass wir in unserem Glauben vorangehen können und dass wir alle miteinander verbunden sind, füreinander einstehen und so den Lauf der Geschichte zum Guten wenden können.

domradio.de: Was denken Sie, was wird bleiben von dieser Rede?

Markus Voss: Das Event wird bleiben, dass Obama tatsächlich da war. Sicherlich noch der ein oder andere Satz, aber nicht die großen Grundzüge. Wenn Sie Sich das anschauen, er hat ja so viele Themen angesprochen in diesen 28 Minuten, da konnte er die Details nicht wirklich durchbuchstabieren. Sie müssen auch bedenken, dass er gerade vom G8-Gipfel kam, wo er sich mit Bundeskanzlerin Merkel sicherlich schon im Detail ausgetauscht hat. Ich glaube, es ging schon um eine Art diplomatischen Antrittsbesuch, und das ist auch gut so, dass das in Erinnerung bleiben kann.

Das Interview führte Verena Tröster.