Weihbischof Losinger für Standards bei Arzneimitteltests in Entwicklungsländern

Pillenschlucken aus Armut

Die Pharmaziebranche darf Menschen in Entwicklungsländern nicht in Medikamententests mit niederen Standards drängen, warnt Weihbischof Anton Losinger. Das Ethikratsmitglied blickt zudem auf die jüngste Forschung mit embryonalen Stammzellen.

Pillenschlucken für die Wissenschaft  (dpa)
Pillenschlucken für die Wissenschaft / ( dpa )

domradio.de: Wo liegen die Grenzen bei Arzneimitteltests mit Menschen?

Weihbischof Anton Losinger: Der medizinische Fortschritt erfordert es, dass medizinische Therapieverfahren und Arzneimittel immer wieder fortentwickelt werden, damit Menschen besser geheilt werden können. Das ist von uns allen gewünscht. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass bei solchen pharmazeutischen Produkten immer die sogenannten Nebenwirkungen da sind, die wir auf Beipackzetteln lesen. Für die Detektion solcher Nebenwirkungen genügen rein chemische Verfahren nicht, sondern medizinische Therapien und auch Arzneimittel müssen letztendlich bei Patienten erprobt werden. Deshalb ist es unumgänglich das zu tun und deswegen muss man sich immer wieder über das Risiko und die Standards solcher Tests ins Klare kommen.

domradio.de: An welcher Stelle sind denn ganz konkret sind denn die moralischen Bedenken zu groß?

Weihbischof Losinger: Die moralischen Bedenken sind zum Beispiel dann auf jeden Fall zu thematisieren, wenn etwa gesetzliche Regelungen angestrebt werden, die ein festgelegtes Schutzniveau für Patienten und Probanden, wie es etwa im deutschen Arzneimittelgesetz deutlich da steht, heruntergesetzt werden soll oder wenn man etwa mit Kindern und nicht einwilligungsfähigen erwachsenen Menschen solche Tests durchführt und wenn Entwicklungsländer und Schwellenländer mit ins Spiel kommen. Nicht selten hört man, liest man und wird auch nachgewiesen, dass Menschen dort unter Armutsverhältnissen, natürlich unter einem besonderen Druck stehen, sich solchen Tests auszusetzen, wenn das dann kombiniert wird mit heruntergesetzten Standards der Testverfahren, dann herrscht Gefahr für Gesundheit, für Leib und Leben der Menschen und schon sind wir hier in einem krassen ethischen Verfahren, bei dem aus ethischer Perspektive Einspruch erhoben werden muss.

domradio.de: Ein aktueller medizinscher Fortschritt erreichte uns vor ein paar Tagen: US-Forschern ist es gelungen, menschliche embryonale Stammzellen zu klonen. Das könnte für die Heilung von Krankheiten wie Parkinson eine große Rolle spielen. Wie steht der Ethikrat zu dieser Entdeckung?

Weihbischof Losinger: Der Ethikrat hat sich zum sogenannten Oregon-Experiment noch nicht geäußert, es ist zu jung. Die Problemgebiete, die damit aufgestoßen werden, sind klar. Wenn auf dem Bereich der genetischen Forschung Therapieverfahren und Forschungsverfahren in Gang gesetzt werden, bei denen menschliche Embryonen vernichtet werden oder bei denen zum Beispiel die Herstellung von identischen genetischen Embryonen angezielt wird zur Heilung eines anderen Menschen, dann müssen wir sagen, hier gilt das ethische Grundsatzprinzip: Niemals darf ein Mensch als Mittel zum Zweck verwendet werden und sei es zur Therapie zur Heilung der Krankheit eines anderen. Dort, wo menschliche Embryonen geklont werden, ist damit die Frage der menschlichen Persönlichkeit, der menschlichen Freiheit und auch eine Frage der Lebens- und Menschenwürde berührt.

domradio.de: Hinkt die Ethik da immer der Wissenschaft hinterher?

Weihbischof Losinger: Die Ethik hinkt in der Regel immer der Wissenschaft hinterher, weil die Wissenschaft selbst überrascht ist von den gewaltigen Innovationen, die ihr gelingen. Die Ethik hat die Aufgabe, alle diese Verfahren und Prozeduren zu bewerten, ob sie richtig oder falsch sind und an diesem Punkt ist ein Element immer wieder ganz klar im Vordergrund, das bereits der große Entdecker der Relativitätstheorie, Albert Einstein bemerkte. Im Blick auf die friedliche Nutzung der Kernenergie sagte er, wir leben heute technisch im Atomzeitalter, aber ethisch in der Steinzeit. Überall dort, wo es nicht gelingt, in dem dramatischen Fortschritt der Biomedizin, der Gentechnik, des wissenschaftliches Fortschritts eine gleichwertige ethische Bewertung und Berücksichtigung der Probleme und Gefahren zu thematisieren, gerät das Ganze in eine oft bedrohliche Schieflage.

domradio.de: Mit welchen Erwartungen gehen Sie heute in die Jahrestagung des Ethikrates?

Weihbischof Losinger: Wir haben zwei angesehene Forscher aus Indien bei uns und ich erwarte mir interessante Einblicke in die Frage der globalen Situation von Arzneimittelforschung. Da wir gerade in Indien nicht nur eine hochwirkungsvolle Forschung und Produktion von Medikamenten, sondern immer wieder auch die Frage haben, ob nicht dort in einem Schwellen- und Entwicklungsland unter Umständen eine Situation vorherrscht, in der Menschen unter Druck geraten, auf Grund ihrer Armutsverhältnisse in Medikamente niederer Standards einwilligen zu müssen.

Das Interview führte Verena Tröster


Quelle:
DR