Das Millionengeschäft Altkleidermarkt

Weg vom "Sankt-Martins-Mythos"

Wohlfahrtsverbände, Spendensammler und jetzt auch immer mehr Kommunen und Großkonzerne: Unzählige Akteure wollen die Deutschen überzeugen, ihnen ihre alten Kleider zu spenden. Denn: Der Altkleidermarkt ist ein Millionengeschäft.

Autor/in:
Miriam Bunjes
Deutschland: 750.000 Tonnen Altkleider pro Jahr (dpa)
Deutschland: 750.000 Tonnen Altkleider pro Jahr / ( dpa )

Der unmoderne Wintermantel wärmt Obdachlose, die Kinderhose geht direkt an arme Familien: Das erwarten die meisten Spender von Altkleidern zumindest; die Branche nennt das den "Sankt-Martins-Mythos". Dass der Altkleidermarkt ein Millionengeschäft ist, ist vielen Gebern nicht klar. Noch nicht.

Inzwischen bemühen sich immer mehr Akteure um gebrauchte Kleider: Kleiderketten wie H & M nehmen gebrauchte Ware zurück und geben dafür den Kunden Rabatt. Auch die Kommunen steigen ins Geschäft ein. Denn: Seit dem vergangenen Sommer gilt das "reformierte Kreislaufwirtschaftsgesetz". Danach dürfen Kommunen den Betrieb von Altkleidercontainern genehmigen und auch selber Container aufstellen. Das bringt ihnen eine Machtstellung auf einem boomenden Markt.

Kommunen mischen mit

Etwa 350 Euro pro Tonne zahlen Textilsortierfirmen für Altkleider. Etwa 750.000 Tonnen spenden Deutsche pro Jahr. Das ist mehr, als die Kleiderkammern brauchen. Daher werden die meisten Kleiderspenden verkauft. Gemeinnützige Träger finanzieren mit den Erlösen ihre soziale Arbeit. Kommunen versprechen ihren Bürgern, damit die Müllgebühren stabil zu halten.

So auch die Stadt Wesel am Niederrhein - einer der ersten kommunalen Sammler. Sechs städtische Container stehen dort, die gemeinnützigen durften bleiben, gewerbliche wurden untersagt. Zudem holt die Stadt zweimal im Jahr Altkleider vor der Haustür ab. "Das Angebot wird sehr gut angenommen", sagt Marcel Mühle vom Abfallbetrieb ASG. Das Geld fließe direkt in den städtischen Haushalt. "Die Bürger haben die Wahl, für karitative Zwecke zu spenden oder zugunsten ihrer Müllgebühr." Überall in Deutschland stehen oder entstehen kommunale Altkleidersammlungen: Großstädte wie Köln und München planen noch, in Saarbrücken oder Jena wird schon gesammelt.

Die Konkurrenz gefährde viele soziale Projekte gemeinnütziger Sammler, fürchtet Andreas Voget vom Dachverband FairWertung in Essen. "Vereinzelt werden gemeinnützige Sammler regelrecht verdrängt."

Kleider für Afrika

Das sieht auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) so, der größte gemeinnützige Sammler in Deutschland. "Es wurden auch Gemeinnützigen die Stammplätze gekündigt", sagt DRK-Sprecherin Stephanie Krone. DRK-Kreisverbände hätten Spenden-Rückgänge von 30 Prozent gemeldet. "Es gibt neben dem Einstieg der Kommunen seit Jahren Probleme mit illegalen Sammlern, die Bürger einen guten Zweck vorgaukeln", sagt Krone.

Verkauft werden die alten Kleider von allen Akteuren an Sortierbetriebe, die einen großen Teil der Kleidung nach Afrika und Osteuropa weiterveräußern - die sozialen Folgen sind umstritten. Die einen sehen positiv den Zugang zu günstiger Kleidung und Arbeitsplätzen im Handel. Andere sprechen von Arbeitslosigkeit durch eine von billiger Gebrauchtkleidung behinderte eigene Produktion. Eine ethische Zwickmühle für Spender.

Vor der stehen sie ohnehin: Spenden für eine gute Sache oder für die eigene Müllgebühr? Oder für einen Gutschein "die Müllberge senken", wie die Kleiderkette H & M motiviert? "Der gute Zweck ist auf jeden Fall ein psychologisch starkes Motiv", sagt Hartmut Kliemt, Professor für Philosophie und Ökonomik an der Frankfurt School of Finance and Management. "Intakte Kleider wegzuwerfen, bereitet moralisches Unbehagen. Verbunden mit einer guten Sache wird das Gefühl gelindert, und man erfährt soziale Anerkennung."

Neuer Wirtschaftszweig

Dagegen ist der Anreiz, die eigenen Gebühren durch eine Spende an die Stadt niedrig zu halten, egoistischer - und entsprechend weniger anerkannt. "Aber man arbeitet an einem Kollektivgut mit - auch das ist ein moralisches Motiv, wenn auch ein schwächeres", sagt Kliemt.

Auch einen H & M-Gutschein hält der Professor für ein gutes Spendenmotiv. Und von Konzernseite auch nicht unmoralisch. Dass Textilien statt im Müll beim Recycling landen, sei auch hier ein positives Argument. Das Image von Altkleidern werde sich durch die neuen nichtgemeinnützigen Akteure womöglich verändern. "Den Menschen wird bewusster, dass aus Altkleidern ein Wirtschaftszweig wird", so Kliemt. Und dann könnte Moral in den Hintergrund treten und Altkleider-Entsorgung schlicht zu einer Mülltrennungsfrage werden.


Quelle:
epd