Moraltheologe: Staat bei Bonigrenzen in der Pflicht

"Exzesse der Ungerechtigkeit"

Die Schweizer werden allzu üppige Manager-Vergütungen bald per Gesetz verbieten. Auch der katholische Moraltheologe Peter Schallenberg warnt im domradio.de-Interview davor, auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu vertrauen.

 (DR)

domradio.de: Ist es wirklich unmoralisch ein Vielfaches des Durchschnittsgehaltes zu verdienen, so wie das manch ein Topmanager tut?

Peter Schallenberg: Es ist präziser gesagt ungerecht als unmoralisch. Unmoralisch ist eigentlich eher eine Kategorie des Beichtstuhls, wir würden sagen, der inneren Welt. Ungerecht ist eine Frage der äußeren Ordnung. Wir haben bisher immer darauf vertraut, dass die Selbstheilungskräfte des Marktes solche Exzesse der Ungerechtigkeit verhindern, jedoch scheint das nicht der Fall zu sein. Deswegen muss dann der Gesetzgeber einschreiten. Ungerecht in dem Sinne, dass es auf allzu kurzfristige Erfolge blickt. Langfristige Erfolge sind durchaus prämienwürdig und es ist dann auf lange Frist und lange Sicht ungerecht, beispielsweise dem Gesamtunternehmen gegenüber oder denen, die am Ende entlassen werden, weil kurzfristige Erfolge eingestrichen wurden. Das ist im eigentlichen Sinne dann unmoralisch, im Sinne von ungerecht.

domradio.de: Also verstehe ich Sie richtig, dass Sie sagen: Angesichts dieser drohenden Ungerechtigkeit ist der Staat dann in der Pflicht?

Schallenberg: Ganz genau. Eigentlich vertrauen wir darauf, dass das in einer Marktwirtschaft durch den Wettbewerb geregelt wird, also durch die selbstorganisatorischen Kräfte des Marktes. Aber der Markt hat eben seine Lücken, denn der Markt heilt vieles nicht von selbst und wir sehen hier, dass diese kurzfristigen Erfolge mit immensen Boni auszustatten eine starke Gerechtigkeitslücke hervorruft, Gerechtigkeitsgefühle verletzt und dass das auch für den Zusammenhalt einer Gesellschaft schlecht ist. Das haben wir jetzt bei der Abstimmung in der Schweiz gesehen anhand des Ergebnisses der Volksabstimmung. Ähnliches sehen wir etwa bei den Bestimmungen der EU zur Bonifikation, also zur Deckelung von Boni in Höhe der maximalen Verdoppelung des Grundgehaltes. Der Gesetzgeber ist da - meines Erachtens - zu Recht und möglichst schnell aufgerufen, eine Regelung zu schaffen.

domradio.de: „Nicht jeder, der viel verdient, ist automatisch ein schlechter Mensch.“ - Das hat IG-Metall Chef Berthold Huber jetzt in der aktuellen Diskussion geäußert. Wie schätzen Sie das ein? Geht ab einer gewissen Gehaltsgrenze ganz leicht das Gewissen flöten?

Schallenberg: Auch das ist wieder vorsichtig zu formulieren. Ich würde da der Aussage von Huber ganz zustimmen. „Nicht jeder, der viel verdient, ist automatisch ein schlechter Mensch.“  Da könnte man sogar, wenn man sehr polemisch sein wollte, sagen: So eine Aussage ist eine Selbstverständlichkeit. Natürlich hängt die Gutheit eines Menschen nicht am vielen Geld. Die Frage wäre aus christlicher Perspektive: Was macht man mit dem Geld? Wie hat man das Geld verdient? Wie geht man damit um? Wofür setzt man es ein? Wir fragen ja nicht so sehr nach der grundsätzlichen Möglichkeit gut zu verdienen, sondern wir fragen nach der Gerechtigkeit. Also: Wie steht es um die Verantwortung innerhalb der Gesellschaft? Wie kommt ein Verdienst zustande? Wie stellt er sich da in Vergleich zu anderen Einkommensmöglichkeiten? Was für eine Gerechtigkeitslücke gibt es auf Dauer in einer Gesellschaft? Werden die Reichen immer reicher, die Mittelschicht immer kleiner und die Armen immer ärmer, auch wenn es nur relative Armut ist in unserer Gesellschaft? Das sind Fragen, die wichtig sind. Der Zusammenhalt einer Gesellschaft steht auf Dauer auf dem Spiel und da ist diese Frage einer exorbitanten Höhe von Managergehältern schon eine wichtige Frage für eine gerechte Gesellschaft, die wir haben wollen.

domradio.de: Sie haben ja eben gesagt, mit der Selbstregulierungskraft des Marktes scheint es nicht so ganz zu funktionieren. Wie würden Sie sagen, ist es sinnvoll von Seiten des Staates an die Moral der Topmanager zu appellieren? Welche Anreize könnte man schaffen?

Schallenberg: Das ist schwierig in diesem Falle. Es gibt dieses berühmte, etwas bittere Wort von Karl Homann, dem Begründer der Institutionenethik mit katholischem Hintergrund, der einmal gesagt hat: „Mit purer Appellitis allein wird man auf Dauer keine Erfolge haben“. Dies gilt insbesondere in einer globalisierten Welt mit börsendotierten Aktiengesellschaften, börsendotierten Unternehmen, die darauf schauen, möglichst schnell, kurzfristig Erfolg zu haben und dementsprechend dann die möglicherweise auch schnell wechselnden Manager zu vergüten und auszuwechseln, ohne dass langfristig auf den Bestand des Unternehmens geachtet wird, wie das beispielsweise noch bei Familienunternehmen der Fall ist. Rein zu appellieren an die Moral oder an das Gewissen von Unternehmerpersönlichkeiten wie man das nach alter Weise tat, hat bei familiengeführten Unternehmen meiner Meinung nach wenig Erfolg. Sondern man müsste dann eher fragen: Was für Rechte, was für Pflichten hat zum Beispiel der Aufsichtsrat? Nimmt der seine Aufgaben entsprechend wahr? Ist der in der Lage solche Gelder aus eigener Kraft  und eigener Entscheidung zu begrenzen? Wenn das nicht der Fall ist, muss der Gesetzgeber einschreiten.

domradio.de: Schauen wir doch auch mal auf die Argumente der Gegenseite, die sagen: „Sollte das Gehalt von Managern tatsächlich gedeckelt werden, dann besteht ja die Gefahr, dass die fähigsten Köpfe nicht mehr in den entsprechenden Ländern arbeiten“. Was sagen Sie dazu?

Schallenberg: Ganz böse ausgedrückt ist das natürlich ein beliebtes Totschlagargument, was immer ins Feld geführt werden kann in einer sehr stark vernetzten und globalisierten Wirtschaft, in der wir keine nationalstaatlichen Wirtschaftsräume mehr haben und viele Unternehmen supranational aufgestellt sind. Insofern kann man also immer sehr leicht, wenn es um Verantwortung in einer bestimmten Gesellschaft geht, das Argument ins Feld führen: Wenn wir einen bestimmten Standard, der von anderen nicht erhoben wird, anlegen, dann wandern diese Manager, diese Unternehmer, diese Unternehmungen möglicherweise ab. Wir haben sozusagen nicht nur ein Lohndumping als Gefahr sondern auch ein Moraldumping: Dass der kleinste gemeinsame Nenner gesucht wird, bei dem eine derart minimalistische Moral am Ende noch gilt, dass wir mit unseren Wertvorstellungen kontinentaleuropäischer Art gar nicht mehr durchkommen. Ich würde dieses Argument mit Vorsicht genießen. Auch viele Ökonomen sagen, dass dieses Argument als Totschlagargument benutzt wird. Das massenhafte Abwandern von Unternehmungen und Unternehmern ist als reale Gefahr meistens nicht vorhanden und man muss schon sehen, dass man nicht eine moralisch glückliche, aber finanziell insolvente „Insel der Seligen“  im globalen Wettbewerb bildet. Man sieht beispielsweise an skandinavischen Staaten wie man eine Allianz an Ländern bildet, die bestimmte moralische Standards einfordert. Das, meine ich, wäre schon möglich.


Quelle:
DR