Ein Kommentar zur Krankenhaus-Debatte von Dr. Andreas Püttmann

Zwischen Halbwahrheiten und glatten Falschmeldungen

In der Debatte um katholische Krankenhäuser und deren Umgang mit Vergewaltigungsopfern wird die Kirche erneut pauschalisierend in die menschenfeindliche Ecke gerückt. Zu Unrecht, findet der Politikwissenschaftler und Publizist Dr. Andreas Püttmann. Ein Kommentar.

Dr. Andreas Püttmann / © privat
Dr. Andreas Püttmann / © privat

Die Abweisung einer mutmaßlich vergewaltigten Frau durch zwei katholische Krankenhäuser in Köln ist skandalös und beschämend. Die Verantwortlichen haben sich entschuldigt, und Kardinal Meisner hat in seiner Erklärung vom 22. Januar das Wesentliche und Notwendige dazu wie auch grundsätzlich zum kirchlichen Umgang mit Vergewaltigungsopfern, in angemessener Weise gesagt. Das muss hier nicht wiederholt oder paraphrasiert, sondern kann – was für offizielle Erklärungen selten gilt – regelrecht in den Kommentar inkorporiert werden:

Entschuldigung und Richtigstellung von Joachim Kardinal Meisner.

Auf einem ganz anderen Blatt stehen – im wahrsten Sinne des Wortes – die Reaktionen im medialen „Blätterwald“, in Sendern und sozialen Netzwerken. Auch wenn man eine erste Empörung verständlich findet, nicht jedes daraus gesprochene Wort auf die Goldwaage legen will und eine reflexartig auf unbedingte Abwehr schaltende katholische Wagenburgmentalität ablehnt (weil sie Ursprung und Proportionen des Unrechts verwischt und die Kirche zum eigentlichen Opfer stilisiert), so kann man andererseits durchaus erschrecken über das Ausmaß des Ressentiments, das sich hier wieder einmal über die katholische Kirche entlädt. Geradezu hasserfüllt, vor allem aber dumm und ungebildet sind die Deutungsmuster vieler online-Kommentare und medialer Kurzzeitexperten zum Thema „Kirche und Sex“. Eine Kölner Boulevardzeitung widmete anlässlich des Skandals eine ganze Seite der „Aufklärung“ ihrer Leser darüber, was katholisch erlaubt und verboten sei, wobei Halbwahrheiten und glatte Falschmeldungen verbreitet wurden wie etwa die Behauptung, der Geschlechtsverkehr diene aus katholischer Sicht nur zur Familiengründung, und Homosexuelle seien nicht zum „Abendmahl“ zugelassen.

Im „Kölner Stadtanzeiger“ ließ Joachim Frank einen polemischen Rundumschlag gegen „selbst ernannte ‚Lebensschützer‘“, „zölibatäre Priesterkaste“ und „Abgründe des katholisch-klerikalen Komplexes“ los, gegen „Abgebrühtheit, Lebensferne und Weltfremdheit“ und eine „verräterische“ Rede von „Heilbehandlung“, auf die sich ein katholisches Krankenhaus zu beschränken habe. Dass die Kirche die „kriminologische Indikation“ moralisch nicht einfach absegnen kann, weil sie auch einem derart gezeugten, unschuldigen Menschen Würde und Rechte zuerkennt, bedeutet für ihn einfach, „die Not der Frau zu übergehen“ und die Folgen für das Leben von Mutter, Kind und Familie „auszublenden“ – eine reine Unterstellung, denn man kann das dramatische Dilemma sehr wohl sehen und tief empfinden, aber dennoch zu einer anderen moralischen Abwägung als jener kommen, die dem Kommentator offenbar selbstverständlich erscheint. Hierin kann er „abgebrühter“ erscheinen, als es die von ihm bezichtigte Kirche ist. Ebenso abwegig ist die Unterstellung, die Kirche wolle in der Sexualmoral ihre „Macht proben“ und sich „aufspielen“. (Kommentar von Joachim Frank) Etwas mehr Respekt vor der Ernsthaftigkeit einer widerstreitenden ethischen Überzeugung sollte man von einem Theologen erwarten können.

Unterstellungen und Ressentimentpflege durch „Wutjournalisten“, vor allem aber die ebenso unprofessionelle Uninformiertheit haben inzwischen Tradition im öffentlichen Umgang mit der katholischen Kirche. Beim Williamson-Skandal faselte ein Topjournalist in einer ARD-Extra-Sendung von einem „Kardinal Lefebvre“, beim Papstbesuch der Berliner ARD-Büroleiter Deppendorf von einer „ökumenischen Begegnung“ zwischen Benedikt XVI. und dem angeblichen evangelischen Pfarrer Wolfgang Thierse (tatsächlich Zdk-Mitglied), nach dem Tod Johannes Pauls des II. fachsimpelte eine WDR-Reporterin vor dem Kölner Dom vom darin stattfindenden „Kapitalsamt“. Petra Gerster präsentierte den ZDF-Zuschauern die in einen Dom einziehenden katholischen deutschen Bischöfe als „freudlose Männergesellschaft“ und berichtete in den „Heute“-Nachrichten, dass der „erzkonservative Hardliner“ Bischof Müller nach Rom an die Spitze der Nachfolgeorganisation der Inquisition berufen worden sei, unter anderem zuständig für die ebenso „erzkonservativen Piusbrüder“ (die Müller allerdings ablehnen – doch in der erzkonservativen Finsternis sind alle Katzen grau). Die „Frankfurter Rundschau“ forderte im Missbrauchsskandal, dass der Papst endlich zur Odenwaldschule Stellung beziehen solle, während eine Talkshow-Redakteurin bei einer Politikergeburtstagsfeier die Katze aus dem Sack ließ: „Das gibt uns endlich die Gelegenheit, die katholische Kirche mal richtig fertig zu machen“. Wenige Monate später waren laut Allensbach 47 Prozent der Bundesbürger überzeugt, dass Kindesmissbrauch unter katholischen Priestern „weit verbreitet“ sei. So funktioniert Volksverhetzung.

Journalistenschulen, Chefredakteure und kritische Medienkonsumenten täten also gut daran, (angehenden) Redakteuren klar zu machen, dass man sich über Kirchenthemen vor dem Schreiben und Reden ebenso sachkundig machen muss wie über Rentenversicherungsfragen oder Abseitsregeln, und dass es vom Gebot der journalistischen Fairness keine Ausnahme gibt, wenn es um die Kirche geht. Diese wiederum sollte sich fragen, ob die ethische Unterweisung und Begleitung ihrer Mitarbeiter in medizinischen Berufen vielleicht doch verbesserungswürdig ist, damit ein berufsethisches Versagen wie jetzt in ihren beiden Kölner Krankenhäusern die absolute Ausnahme bleibt.