"Kölner Buch der Religionen" zeigt alle religiösen Gemeinschaften

Ist der FC auch dabei?

Der Autor des "Kölner Buchs der Religionen" ist zu Beginn seiner Recherche erstaunt. Es wurden immer mehr Religionen, die Köln vereint. 120 Gemeinschaften hat Ulrich Harbecke besucht. Gehört vielleicht auch der 1. FC Köln dazu?

Fußballfan Rainer Maria Kardinal Woelki im Kölner Stadion (Archiv) / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Fußballfan Rainer Maria Kardinal Woelki im Kölner Stadion (Archiv) / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ihr Buch ist jetzt in zweiter Auflage erschienen. 120 Religionen haben Sie in Köln identifiziert. Das klingt nach großer Vielfalt, was ist denn da alles dabei? 

Dr. Ulrich Harbecke (Journalist und Autor): Es ist ein großes, breites Spektrum. Man schätzt, dass es im Bundesgebiet ungefähr 300 bis 500 verschiedene erkennbare Gruppen gibt, wobei es unscharfe Ränder gibt. In Köln reicht es von ganz großen Glaubensgemeinschaften zu wirklich kleinen Hinterhöfen oder fast Wohnzimmerreligionen, die aber eben eine Erklärung haben, wie die Welt entstanden ist und wie man darin leben sollte. Sie haben zum Teil skurrile Geschichten ihrer Gründungszeiten oder Anlässe, aber auch hochspannende Wege durch die gesamte Geschichte und Kulturgeschichte der Welt. 

DOMRADIO.DE: Das klingt danach, dass die Recherche allein dafür schon spannend genug ist. 

Harbecke: Das ist so und das hat mich auch vor allem gereizt. Ich war Journalist beim Westdeutschen Rundfunk und habe dort in der Schlussphase den Bereich Religion, Philosophie, Kultur betreut. Und da interessierte es mich ganz besonders, mal nah an diese Gruppen heranzukommen. Ich hatte dann den Ehrgeiz und habe das auch durchgehalten, jede Gruppe aufzusuchen, an ihren Kulten teilzunehmen und Gespräche zu führen und mir dabei einen eigenen Blick zu verschaffen. 

DOMRADIO.DE: Da haben sie nicht geahnt, dass es so viele werden... 

Harbecke: So ist es... 

DOMRADIO.DE: Was haben Sie denn gedacht, wie viele es sind? 

Harbecke: Ich dachte 40, 50 vielleicht. Ich habe mal Revue passieren lassen, was man so kennt oder vermutet. Dann war ich selbst überrascht, wie viele es wurden. 

DOMRADIO.DE: Sie haben aber auch keine mehr übersehen? 

Harbecke: Ich denke mal nicht. Wobei man nie so sicher sein kann, denn jeden Tag, jede Nacht kann eine neue entstehen oder es kann jemand zuwandern und beginnt mit eigenen Leuten eine Gemeinschaft zu bilden, an die Öffentlichkeit vielleicht zu gehen und sich bekannter zu machen. Alle Gemeinschaften kommen ja von sehr, sehr weit her. Zum einen zeitlich, die Jesiden sind beispielsweise 6000 Jahre alt, aber vor allem räumlich, geografisch. Die einzige Religionsgemeinschaft, die in Köln entstanden ist, ist der 1. FC Köln. 

DOMRADIO.DE: Der 1. FC Köln? 

Harbecke: Wir haben das in unserem kleinen Team, das mit einem Rechercheur und einer Wissenschaftlerin zusammengearbeitet hatte, spaßig diskutiert, ob der FC da nicht mit einem Kapitel dazugehören würde. Denn es wird schwer nachzuweisen sein, dass es keine Religion sei. Denn der richtige FC-Fan, der glaubt und hofft über seine eigene Existenz hinaus, der folgt sozusagen seiner Lieblingsmannschaft auf den Spuren.

Der macht Wallfahrten zu irgendwelchen Spielen, der sammelt Reliquien. Dann gibt es Hohepriester und Gesänge und Liturgie bis hin zu Wunderheilungen spontan im Strafraum, wenn dann der eben noch verletzte Spieler plötzlich wieder aufspringt, weil es der Schiedsrichter nicht gesehen hat und weiterläuft. 

DOMRADIO.DE: Ob mit oder ohne FC als Religion scheint das Zusammenleben gut zu funktionieren. Ist Köln vielleicht damit auch ein Beispiel dafür, dass alle Religionen friedlich nebeneinander leben können? 

Harbecke: Das war für mich eine, muss ich sagen, überraschende Erfahrung. Es gibt eigentlich zwischen den Religionsgemeinschaften hier in Köln keinerlei Konflikte oder nur sehr ritualisierte, die keine weitere Bedeutung haben. Also sie leben hier unter dem Kölner Dach in einer toleranten Umgebung sehr gerne und friedlich miteinander.

ie Konflikte, die sie haben, haben sie innerlich, intern: Frau gegen Mann, Alt gegen Jung, konservativ gegen progressiv. Das kann man überall beobachten. Und in diesem Punkte sind sich dann alle wieder gleich. Denn diese Probleme haben alle und immer. 

DOMRADIO.DE: Gibt es ein besonderes Erlebnis im Zusammenhang mit Ihrem Buch, das Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?

Harbecke: Ja, eine ganz spannende Geschichte habe ich erlebt. Ich kam in den Tempel der Hindus, die bemerkenswerterweise zusammen mit den Sikhs in einem Hause wohnen. In Indien schlagen sie sich die Köpfe ein, und hier leben sie friedlich unter einem Dach.

Dann sah ich ringsum in den Kultsaal die Hindugötter, bunte Gestalten, mit Blumengirlanden geschmückt. Mir fiel auf, dass drei davon mit roten Tüchern verhängt waren. Dann habe ich gefragt, was das zu bedeuten hat. Man erklärte mir, hier habe ein Einbruch stattgefunden und die Einbrecher hätten diese drei Figuren beschädigt und die seien nun für den Kult nicht mehr brauchbar. Nun sei eine heftige Debatte in ihrer Gruppe im Gang. Eigentlich muss man die nun teuer nach Indien spedieren, um sie dort im Ganges zu versenken. Das ist der Brauch.

Aber eine jüngere Gruppe sagte: "Warum denn, wir fragen die Bürgermeisterin. Können wir sie nicht auch im Rhein versenken? Der Rhein fließt in den Atlantik und er kreist um die Erde. Dann regnet es ihm im Himalaja herunter. Und daraus wird Ganges. Und Ganges ist überall".

Donnerwetter, dachte ich, ihr habt den Punkt erreicht. Ihr fangt auf einmal an, größer über eure eigene Religion zu denken. Und siehe da, die Jüngeren haben sich durchgesetzt, die Progressiven. Es ruhen drei beschädigte indische Götter bei Rodenkirchen im Rhein. Wenn ein Schiff darüber hinweg fährt, kribbelt es vielleicht dem einen oder anderen Matrosen unter den Füßen.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Das Kölner Buch der Religionen / © Verena Tröster (DR)
Das Kölner Buch der Religionen / © Verena Tröster ( DR )
Quelle:
DR
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