Fragenkatalog zu Missbrauchs-Gutachten im Erzbistum Köln

Wer hat wann was gemacht?

Jüngst hatte das Erzbistum Köln bekanntgegeben, im Zuge eines neu zu erstellenden Gutachtens zum Thema Missbrauch aufgekommene Fragen und Antworten offen zu kommunizieren. Ein kleiner Überblick über den Vorgang.

Autor/in:
Andreas Otto
Symbolbild Dokumente / © smolaw (shutterstock)

Das Erzbistum Köln hat am Freitag mitgeteilt, es habe den Kölner Strafrechtsexperten Björn Gercke mit einer neuen Untersuchung zum Thema Missbrauch beauftragt. Zugleich wurde darüber informiert, dass man wegen angeblicher methodischer Mängel das Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) nicht veröffentlichen wolle. Diese hatte im Dezember 2018 den Auftrag erhalten, Akten der Erzdiözese zu untersuchen und mögliches Fehlverhalten von Bistumsverantwortlichen im Umgang mit Missbrauchsfällen herauszufinden. Nachdem das Erzbistum am Mittwoch nähere Details zum ganzen Vorgang veröffentlicht hat, gibt die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) einen Überblick über zentrale Wendepunkte des Vorgangs.

Wie lautet der genaue Auftrag zur Studie?

Das Erzbistum Köln verweist auf den Mandatsvertrag mit WSW vom 13. Dezember 2018, wonach "die juristische Aufarbeitung den Kernpunkt der Beauftragung" bilde. Die Gutachter - auch der neu beauftragte Gercke - sollen untersuchen, ob die Vorgehensweise der damaligen Diözesanverantwortlichen bei Missbrauchsfällen im Einklang mit dem kirchlichen und staatlichen Recht "und/oder dem kirchlichen Selbstverständnis stand bzw. steht". Rechtsverstöße und hierfür Verantwortliche seien möglichst konkret zu benennen.

Laut der Kanzlei WSW bestand der Auftrag "in einer umfassenden Bewertung des Handelns der Bistumsverantwortlichen. Eine Beschränkung auf die bloße Rechtmäßigkeitskontrolle war gerade nicht vorgesehen." Die Anwälte sehen sich durch die vom Erzbistum im Wortlaut veröffentlichte Vereinbarung in ihren Angaben zum Prüfungsmaßstab bestätigt, wie die Kanzlei am Mittwoch auf Anfrage mitteilte.

Warum wurden die Münchner Untersuchungsergebnisse nicht wie geplant am 12. März veröffentlicht?

Befürchtet wurden Rechtsstreitigkeiten mit ehemaligen oder aktiven Entscheidungsträgern, deren Namen in der Studie genannt werden. So wurde inzwischen bekannt, dass der frühere Kölner Personalchef und heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße rechtliche Bedenken gegen die Münchner Ausarbeitung erhoben hat. Daher schaltete das Erzbistum Köln im Februar 2020 die auf Presserecht spezialisierte Kanzlei Redeker Sellner Dahs ein, um zunächst das Kapitel "Persönliche Verantwortlichkeiten" einer "äußerungsrechtlichen" Prüfung zu unterziehen.

Zwei Tage vor der geplanten Veröffentlichung der Untersuchung, die der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und andere Verantwortliche der Erzdiözese nach eigenem Bekunden bis heute nicht kennen, teilte die Kanzlei mit, dass eine Veröffentlichung unzulässig sei. Unter anderem habe es "keine ausreichende Konfrontation der Beschuldigten" gegeben. Zudem müssten die "Grundsätze der Verdachtsberichterstattung" auf die vorgesehene Veröffentlichung angewendet werden. Eine Zweitmeinung in der Sache holte sich Woelki beim Kölner Rechtsanwalt Carsten Brennecke ein, der Partner der ebenfalls auf Presserecht spezialisierten Kölner Kanzlei Höcker ist.

Warum hat das Erzbistum Köln weitere Juristen zur Begutachtung der Westphal-Studie eingeschaltet?

Die Experten für Äußerungsrecht kamen laut Erzbistum Köln unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass das überarbeitete Münchner Gutachten nicht wesentlich nachgebessert worden sei. Dadurch habe sich bei Woelki und Generalvikar Markus Hofmann der Eindruck verfestigt, dass WSW kein rechtssicheres Gutachten vorgelegt habe. Daraufhin wurde der Kölner Strafrechtsexperte Björn Gercke mit einer Prüfung des Gutachtenteils zu persönlichen Verantwortlichkeiten beauftragt.

Er kam am 16. September 2020 zum Ergebnis, dass das Gutachten auch unabhängig von den äußerungsrechtlichen Bedenken "in der ganzen Methodik, im Aufbau und der grundsätzlichen Herangehensweise den Mindestanforderungen" nicht entspreche. "Im Oktober" erhielt Gercke laut Erzbistum den Auftrag für ein komplett neues Gutachten. Er erhielt erste Interventionsakten am 22. September und das WSW-Gutachten am 2. Oktober. Zudem wurden der Frankfurter Strafrechtler Matthias Jahn und der Erlanger Kriminologe Franz Streng mit einer wissenschaftlichen Prüfung des gesamten Gutachtens beauftragt. Sie bestätigten in dem am 16. Oktober vorgelegten Ergebnis die Ersteinschätzung Gerckes.

Was werfen Jahn und Streng den Münchner Anwälten vor?

Nach Auffassung der Jura-Professoren bleibt bei der 511 Seiten umfassenden Westphal-Studie unter anderem unklar, nach welchen inhaltlichen Kriterien die 15 beispielhaft dargestellten Missbrauchsfälle ausgewählt wurden. Zudem habe WSW die Sammlung von Fakten und deren Beurteilung "nicht deutlich voneinander getrennt".

Obwohl die Rechtsanwälte dafür formal nicht qualifiziert seien, hätten sie zudem forensischen Fachgutachtern zustehende Bewertungen vorgenommen. Zentrale und häufig verwendete Begriffe für die Zurechnung von Verantwortung wie "Pflichtwidrigkeit", "mangelnde Opferfürsorge", "sexueller Missbrauch" oder "Beschuldigter" würden nicht erläutert und blieben unklar. Die Anwälte verließen an zahlreichen Stellen "den zu fordernden objektiven Standpunkt einer wissenschaftlichen Begutachtung" und stellten damit "ihre Neutralität und innere Unabhängigkeit in Frage".

Was will Gercke anders machen?

Gercke kündigte an, sein Team aus fünf Anwälten und wissenschaftlichen Mitarbeitern werde bis spätestens 18. März 2021 jeden einzelnen der insgesamt 312 Verdachtsfälle würdigen. Dazu seien ihm die 189 auszuwertenden Personalakten und 236 sogenannten Interventionsakten zugestellt worden. Es gebe 243 Beschuldigte und 386 von sexueller Gewalt Betroffene.

Wie wurde der Beirat von Betroffenen sexualisierter Gewalt in die Entscheidung des Erzbistums Köln einbezogen?

Der Beirat tagte am 29. Oktober 2020 und wurde dabei nach eigenen Angaben erstmals über das Gutachten Jahn/Streng informiert. An der Sitzung nahmen laut Erzbistum Woelki, Hofmann, Jahn und Gercke teil, der seinen methodischen Ansatz für eine neue Untersuchung vorstellte.

Gemeinsam wurde laut Erzdiözese und Patrick Bauer, dem Sprecher des derzeit aus acht Mitgliedern bestehenden Beirats, die Entscheidung getroffen, den Vertrag mit WSW zu kündigen und Gercke mit einem neuen Gutachten zu beauftragen. Inzwischen verlangt Bauer aber die Veröffentlichung der Münchner Untersuchung. Weder vor noch in der Beiratssitzung habe er das zweite Gutachten erhalten "oder generell die Information, dass wir über eine Nichtveröffentlichung der Untersuchung aus München sprechen", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Auf der Tagesordnung habe das nicht gestanden. Das nicht bei der Sitzung anwesende Beiratsmitglied Winfried Ponsens hat laut dem Blatt das Gremium verlassen. Ponsens betonte: "Vom Gegengutachten wussten wir gar nichts."


Quelle:
KNA