Welche Aufgabe hat die Schulseelsorge?

"Schule ist ein Ort der Menschwerdung"

In Köln fiebern an diesem Donnerstag 9.700 Erstklässler mit großer Spannung ihrer Einschulung entgegen. In der Domsingschule beginnt der sogenannte Ernst des Lebens traditionell mit einem Dom-Gottesdienst. Burkhard Hofer erklärt, warum.

Viel Arbeit investiert Burkhard Hofer in die Erstkommunionvorbereitung. / © Tomasetti (DR)
Viel Arbeit investiert Burkhard Hofer in die Erstkommunionvorbereitung. / © Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Herr Hofer, in vielen Kölner Grundschulen wird der erste Schultag ganz besonders feierlich begangen. Doch ein Gottesdienst zu Beginn eines neuen Lebensabschnittes – zumal im Kölner Dom – ist dann doch noch einmal etwas Außergewöhnliches. In der Kölner Domsingschule hat er Tradition. Was ist Ihre Botschaft an diesem Tag?

Burkhard Hofer (Schulseelsorger an der Kölner Domsingschule und der Erzbischöflichen Liebfrauenschule in Lindenthal): Ich möchte den Kindern von Anfang an verdeutlichen: Gott begleitet uns. Dabei erinnere ich daran, was er in der Taufe jedem Einzelnen versprochen hat. Nämlich: Er will immer bei uns sein – wie ein guter Freund. Die Einschulung markiert ein wichtiges Datum in unserem Leben. Es beginnt etwas Neues; etwas, das wir noch gar nicht richtig abschätzen können. Und in diese gefühlsmäßige Gemengelage von Aufregung, Vorfreude, Neugierde, aber auch Angst vor dem Unbekannten will ich die Zusage Gottes setzen: Ich bin da, immer an Deiner Seite – egal, wie es Dir im Moment geht. Kinder haben gerade für alles, was mit dem Thema Freundschaft zusammenhängt, recht feine Antennen. Denn die Erfahrung von Freundschaft haben die meisten ja schon im Kindergarten gemacht. Daher verstehen sie auch das Bild von Gott als Freund. Trotzdem ist das nicht nur eine wichtige Botschaft für Kinder, sondern auch für uns Erwachsene: dass da jemand ist, der uns tröstet, bestärkt und sich mitfreut.

Und dann ist es natürlich auch unser Auftrag, Gott in einer Schule, die schon das Haus Gottes in ihrem Namen trägt, ins Gespräch zu bringen. In der Domsingschule wollen wir Gott ein Gesicht geben, immer wieder nach seiner Nähe fragen, sie erspüren, erleben und dann auch feiern. Wenn Kinder an diesem wichtigen Tag ihres Lebens, in dieser ganz konkreten Situation ihrer Einschulung selbstverständlich mit ihm in Kontakt gebracht werden, wird hier ein wichtiger Grundstein für ihren Glaubensweg gelegt.

DOMRADIO.DE: Die Freundschaft mit Gott ist auch ein Thema für Erwachsene, sagen Sie. Haben Sie denn an einem solchen Tag, an dem primär die Kleinen im Zentrum stehen, bei Ihrer Katechese auch die Eltern und Großeltern im Blick?

Hofer: Eine Einschulung ist für die ganze Familie ein sehr bedeutsamer Tag, vor allem für die Eltern, weil sie ihr Kind ein Stück weit in eine neue Selbständigkeit abgeben. Und dabei wollen sie es in guten Händen wissen. Daher will ich auch die Erwachsenen in der Gewissheit bestärken: Der Grund unseres Lebens liegt in Gott. Ich zeige auf, dass sich – aus christlicher Perspektive – der Mensch nicht allein über seine Leistung definiert, sprich über das, was er im Leben schafft und erreicht. Sein Wert ist demnach nicht an einen Erfolg geknüpft, sondern er definiert sich über die vorbehaltlose Liebe Gottes, der jeden so annimmt, wie er ist – jenseits einer Bewertung durch schulische Noten. Ein Zeugnis ist wichtig, aber eben auch nicht alles. Es geht auch um Talente und Begabungen, die auf keinem Stück Papier nachgewiesen werden.

Das kann Eltern, die sich natürlich fragen, wie ihr Kind mit den Anforderungen in der Schule wohl zurechtkommen wird, Gelassenheit geben. Denn vor jeder Leistung ist der Mensch von Gott angenommen und geliebt. Und dieser Gedanke hat für alle gleichermaßen Relevanz: für die Kinder wie auch für die Erwachsenen. Wer sich dieser Botschaft öffnet, kann auch sein Kind an einem solchen Tag vertrauensvoll auf den nun beginnenden Schulweg entlassen.

DOMRADIO.DE: Wie geht es für die Kinder dann weiter auf diesem Weg, zu dem Sie die Basis bieten?

Hofer: Bei der Gestaltung unserer wöchentlichen Schulgottesdienste werden die Grundschüler aller Jahrgangsstufen einbezogen, so dass sie regelmäßig mit der biblischen Botschaft in Berührung kommen. Mir ist wichtig, sie zu beteiligen und Jesus Christus als Dreh- und Angelpunkt unseres Glaubens erfahrbar zu machen. Denn das Leben Jesu stellt uns vor Augen, wie Gott sich den Menschen vorstellt. Jesus ist unser Vorbild, dem wir nacheifern sollen, und jemand, der einen anderen Blick auf die Menschen gehabt hat. Es gibt das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe, das sicher nicht ganz einfach zu leben ist. Meine Freunde und Familie zu lieben, ist ja okay. Aber wie gelingt es mir, die zu lieben, mit denen ich mich schwer tue? Der Schlüssel liegt meines Erachtens darin, es zu versuchen, wie Jesus Christus es uns vorgelebt hat: den anderen immer mit dessen Augen zu betrachten, sich in ihn hineinzuversetzen, um ihn besser zu verstehen. Wie es Jesus bei Zachäus oder auch der Ehebrecherin tut… oder in vielen anderen Geschichten des Evangeliums. Die Schule ist ein Ort der Menschwerdung, meiner eigenen Menschwerdung, wenn ich mir an dieser Haltung Jesu ein Beispiel nehme, mir etwas abschaue. Letztlich trägt jeder Gottesdienst dazu bei, die Idee Gottes vom Menschen, wie er ihn haben will, zu vermitteln.

DOMRADIO.DE: Aber Sie begegnen den Kindern ja nicht nur in den Gottesdiensten. Darüber hinaus nutzen Sie auch andere Möglichkeiten, immer wieder Gott zum Thema zu machen…

Hofer: An Projekttagen, die ich mit allen Klassen durchführe, kann ich nochmals sehr individuell auf die Fragen der jeweiligen Altersgruppe eingehen. Die Erstklässler beschäftigt etwas anderes als die Schüler in den vierten Klassen. So frage ich zum Beispiel die Kinder des ersten Schuljahrs nach einem halben Jahr: Wie seid Ihr hier angekommen? Habt Ihr Freunde gefunden? Gibt es Situationen, in denen Ihr Gott als Freund an Eurer Seite spürt? In der zweiten Klasse geht es dann schon mehr darum, das Bewusstsein dafür zu stärken, zwar immer noch klein zu sein, aber doch auch schon eine Menge zu können und das an der alttestamentarischen Erzählung von David und Goliath zu veranschaulichen, in der der vermeintlich Schwächere gegen seinen übermächtigen Gegner gewinnt. Im dritten Schuljahr steht dann die Vorbereitung auf die Erstkommunion im Zentrum, bei der auch die Eltern nochmals intensiv einbezogen werden. Im Empfang der Eucharistie sollen die Kinder die Liebe Gottes und seine Nähe zu uns als sein größtes Freundschaftsgeschenk an uns Menschen konkret erfahren. Und in der vierten Klasse, die auf eine weiterführende Schule entlassen wird, geht es dann vor allem um den Segen, wie Abraham ihn von Gott empfängt, mit der Aufforderung: Geh Deinen Weg weiter! Gott begleitet Dich mit seinem Segen.

Und dann haben wir natürlich auch noch unsere täglichen Morgen- und Mittagsgebete und das Kirchenjahr mit seinen Festen, bei denen es exemplarisch immer um wichtige Kernbotschaften geht, wie an St. Martin ums Teilen oder am Erntedankfest um den Dank für die Schöpfung und das, was uns daraus an Lebensnotwendigem zuteil wird. Nicht zu vergessen Weihnachten und Ostern, die kirchlichen Hochfeste, die bei uns selbstverständlich im Mittelpunkt stehen. Sogar der Karneval mit seiner darauf folgenden Fastenzeit. Eines kommt bei allem – da ist unser Name Programm – nicht zu kurz: das Singen. Über das Singen können wir unseren Glauben und unsere Gottesbeziehung wunderbar zum Ausdruck bringen. Gerade die Kinder tun das sehr gerne. So hat bei uns die Musik neben dem religiösen Schwerpunkt einen sehr hohen Stellenwert, zumal die Kinder der Domsingschule auf ihr zukünftiges Mitwirken in den Chören am Dom vorbereitet werden. 

DOMRADIO.DE: Was macht denn das Wesen Ihrer Pädagogik als Schulseelsorger an einer erzbischöflichen Schule aus?

Hofer: Der Mensch ist Geschöpf Gottes. In der Gottebenbildlichkeit hat jeder Mensch eine unauslöschliche Würde, einen Wert, der ihm durch nichts und niemanden genommen werden kann. Das ist das Proprium unseres christlichen Glaubens. Als Schulseelsorger muss ich dafür sorgen, dass das aufscheint. Eine Fünf in Mathe macht kein Kind zu einem schlechteren Menschen. Da halte ich – in einer Gesellschaft, in der häufig allein der Erfolg zählt – mit Macht dagegen. In der Domsingschule geht es uns aufgrund ihrer Konzeption darüber hinaus auch darum, Kinder mit den Grundvollzügen unseres christlichen Glaubens vertraut zu machen, sie in den Glauben einzuführen. Dazu gehört unter anderem, ihnen die verschiedenen Formen der Liturgie näher zu bringen, dass sie lernen, wie zum Beispiel eine Eucharistiefeier aufgebaut ist und auf welche Weise Gott uns darin reich beschenkt. So sollen die Kinder später, wenn sie in den Chören mitsingen, die Gottesdienste im Dom bewusst mitfeiern und – salopp gesagt – wissen, worum es geht.

Wichtig ist außerdem, im Religionsunterricht Glaubenswissen und Werte zu vermitteln. Schon in der Grundschule beginnt ja die wichtige Aufgabe, die dann auf der weiterführenden Schule fortgeführt wird: die Kinder zu befähigen, ein eigenes Urteilsvermögen auszubilden, damit sie das Gelernte und die vermittelten Werte aus der christlichen Perspektive beurteilen können. Mir ist auch wichtig, dass die Kinder ihre Stärken ausbilden, das aber nicht in Konkurrenz zueinander tun, sondern dass sie sich auch über die Stärken der anderen freuen – ganz nach dem Motto: sich selbst und nicht andere übertreffen. Hier zeigen sich dann konkret Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft.

DOMRADIO.DE: An welchen Beispielen können Kinder so etwas denn konkret lernen?

Hofer: In erster Linie am alltäglichen Miteinander in der Klasse, auf dem Schulhof oder in der Nachmittagsbetreuung. Aber auch bei caritativem Engagement, indem wir beispielsweise im Libanon die St. Rita-Schule unterstützen und von Köln aus eine Patenschaft mit gleichaltrigen Christen im Nahen Osten unterhalten. Oder über die Sternsinger-Aktion am Kölner Dom, an der sich in jedem Jahr über 40 Schülerinnen und Schüler der Domsingschule mit ihren Eltern beteiligen. Und dann auch bei der Nikolaus-Aktion, bei der sich die Domsingschüler mit den Kindern eines Kinderheims solidarisieren und Päckchen von zuhause mitbringen, das heißt, sich von eigenen Spielsachen trennen und anderen etwas davon abgeben. Hilfsbereitschaft muss man fühlen können, und für Kinder muss sie dann auch konkret sichtbar sein.

DOMRADIO.DE: Schulpastoral versteht Schule nicht nur als Lernort, sondern – angesichts der Tatsache, dass Kinder mittlerweile einen Großteil des Tages in der Schule verbringen – auch als Lebensraum. Sie sprachen davon, dass Sie Gott in der Schule ein Gesicht geben wollen. Wie kann das im Alltäglichen aussehen?

Hofer: Schon allein im Umgang miteinander sollte deutlich werden: Ich bin Teil einer großen Gemeinschaft. Das heißt, wir fragen danach: Wie können wir diesen Zusammenhalt überzeugend leben? Wie verhalten wir uns zueinander? Wie gesagt, hier bietet uns die biblische Botschaft konkrete Antworten, dass ich zum Beispiel den tröste, der gerade traurig ist, oder dass ich mit dem auf dem Schulhof spiele, mit dem im Moment keiner zu tun haben möchte. Auch die Tatsache, dass wir jeden Morgen mit einem Gebet beginnen, zeigt, dass wir Gott nicht außen vor lassen wollen. Dabei kann religiöse Erziehungsverantwortung nicht an uns Pädagogen und Seelsorger delegiert werden. Da ist wichtig, dass Eltern diesen Weg mitgehen und eigentlich auch vorgehen.

DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist bei der Schulseelsorge denn überhaupt Elternarbeit?

Hofer: Sie ist ganz entscheidend, denn die Eltern sitzen immer mit im Boot. Daher beginnen wir die Erstkommunionvorbereitung auch sehr bewusst mit einem Elternnachmittag, bei dem einer der Impulse darauf abzielt, dass die Kinder bei den Eltern nachfragen, warum sie ihr Kind überhaupt haben taufen lassen. Auf diese Weise entstehen sofort recht intensive Eltern-Kind-Gespräche.

DOMRADIO.DE: Und wie erleben Sie die Kinder bei Ihrer Arbeit als Schulseelsorger?

Hofer: Kinder sind wie ein Schwamm: Sie saugen alles auf. Einem ersten Staunen folgen Neugier, Offenheit und eine große Lernbereitschaft. Ihr Interesse an Glaubensthemen wach zu halten ist dann meine Aufgabe, bei der man immer erfinderisch sein muss, um Kinder dauerhaft fesseln zu können. Denn natürlich sind sie auch anspruchsvoll, will man ihre Aufmerksamkeit gewinnen. Und ob ein Samenkorn aufgeht, zeigt sich mitunter erst später, wenn wir uns dann eventuell auf der Liebfrauenschule, wo ich ja ebenfalls Schulseelsorger bin, wieder begegnen. Doch von ihrer kindlichen Begeisterungsfähigkeit können wir Erwachsene uns in jedem Fall eine große Scheibe abschneiden. Denn wie sich Kinder dem Geheimnis unseres Glaubens nähern, ist schon ungeheuer spannend zu beobachten und für mich als Seelsorger auch oft ein unverhofftes Geschenk.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.


Schulseelsorger Burkhard Hofer / © Tomasetti (DR)
Schulseelsorger Burkhard Hofer / © Tomasetti ( DR )

Den größeren Kindern der Domsingschule erklärt Schulseelsorger Hofer, wie eine Eucharistiefeier aufgebaut ist. / © Tomasetti (DR)
Den größeren Kindern der Domsingschule erklärt Schulseelsorger Hofer, wie eine Eucharistiefeier aufgebaut ist. / © Tomasetti ( DR )

Für den Einschulungsgottesdienst denkt sich der Schulseelsorger immer etwas Besonderes aus. / © Tomasetti (DR)
Für den Einschulungsgottesdienst denkt sich der Schulseelsorger immer etwas Besonderes aus. / © Tomasetti ( DR )

Die Kinder zu beteiligen ist das Anliegen von Schulseelsorger Burkhard Hofer. / © Tomasetti (DR)
Die Kinder zu beteiligen ist das Anliegen von Schulseelsorger Burkhard Hofer. / © Tomasetti ( DR )

Gott ist Dein Freund - diese Zusage stellt Burkhard Hofer gerne ins Zentrum seiner Katechese. / © Tomasetti (DR)
Gott ist Dein Freund - diese Zusage stellt Burkhard Hofer gerne ins Zentrum seiner Katechese. / © Tomasetti ( DR )

Schulseelsorger Burkhard Hofer feiert mit den Drittklässlern Tauferinnerung vor dem Dreikönigenschrein. / © Tomasetti (DR)
Schulseelsorger Burkhard Hofer feiert mit den Drittklässlern Tauferinnerung vor dem Dreikönigenschrein. / © Tomasetti ( DR )

Die geistliche Heimat der Domsingschüler ist der Kölner Dom. / © Tomasetti (DR)
Die geistliche Heimat der Domsingschüler ist der Kölner Dom. / © Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR