Zehn Jahre nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchives

Wenn Bürger nach Verantwortlichen suchen

Am Sonntag ist es zehn Jahre her, dass beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs zwei Menschen starben und Dokumente vernichtet wurden. Noch immer ist unklar, wer für den Milliardenschaden aufkommen soll. Kölner Bürger wollen endlich Klarheit.

Grablichter an der Einsturzstelle des Kölner Stadtarchivs / © Oliver Berg (dpa)
Grablichter an der Einsturzstelle des Kölner Stadtarchivs / © Oliver Berg ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was ist das für ein Gefühl angesichts der Tatsache, dass wohl niemand zur Rechenschaft gezogen wird?

Frank Deja (Mitorganisator der Bürgerinitiative "Köln kann auch anders"): Das ist ein schlechtes Gefühl, was aber gar nicht mit dem aktuellen Strafverfahren zusammenhängt. Wir fanden es von Anfang an unbefriedigend, dass dieses Strafverfahren nur gegen Personen der ausführenden Ebene angestrengt wurde. So nach dem Motto: Der Polier war es, der ist schuld. Und von daher kann ich gut damit leben, dass es gegen die Menschen, die jetzt auf der Anklagebank sitzen, nicht zu drakonischen Strafen kommt und vielleicht sogar etwas verjährt. Wir reden jetzt über den Strafprozess, es gibt aber nebenbei noch den Zivilprozess, bei dem es darum geht, wer am Schluss für den über eine Milliarde Euro teuren Schaden geradesteht. Und dort verjähren die Ansprüche nicht.

DOMRADIO.DE: Ihre Initiative hat sich nach dem Einsturz gegründet. Was waren Ihre Beweggründe?

Deja: Der Beweggrund war, dass nach der anfänglichen Schockstarre in der Medienberichterstattung immer deutlicher wurde, dass es unabhängig von der Frage der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Schuld eine unglaubliche Mischung aus Inkompetenz, Schlamperei und Verantwortungslosigkeit aufseiten der Stadt gegeben hat. Angefangen bei der KVB (Kölner Verkehrsbetriebe, Anm. d. Red.) und aufhörend bei der Gebäudewirtschaft, die einfach sämtliche Warnsignale, die es im Vorfeld der Katastrophe gegeben hat, ignoriert haben.

Selbst wenige Tage vor dem Einsturz gab es noch sehr deutliche Warnsignale. Da hätte man den Einsturz sehr wahrscheinlich nicht mehr verhindern können, aber immerhin Menschen evakuieren können, vielleicht noch mehr Archivgut retten können, aber das wurde einfach komplett ignoriert. Und das hat uns dazu veranlasst zu sagen, das kann doch wohl nicht sein, wir müssen irgendwas machen.

Wir sind weder eine Gewerkschaft, noch eine Partei, noch irgendwas. Das fing einfach nur als Freundeskreis an. Dann haben wir über unsere E-Mail-Verteiler zu einer Kundgebung vor dem Rathaus für den Rücktritt derjenigen aufgerufen, die in dieses Geschehen einbezogen waren. Zu unserer Überraschung kamen dann hunderte von Menschen. Dann haben wir gedacht: Mensch, Köln kann auch anders. Und so entstand die Initiative.

DOMRADIO.DE: Seit 2010 organisieren Sie immer am Gedenktag des Einsturzes eine Veranstaltung an diesem Kölner Loch. Auch dieses Jahr wieder. Was findet denn da statt?

Deja: Dieses Jahr gibt es natürlich eine besondere Herausforderung, weil Karnevalssonntag ist. Wir hatten 2011 und 2014 schon mal die Situation, da fiel der Jahrestag des Archiveinsturzes auf Weiberfastnacht bzw. Rosenmontag. Und weil wir auch im Karneval, insbesondere am alternativen Karneval, gut vernetzt sind, haben wir es beides Mal geschafft, mit karnevalistischen Mitteln eine Gedenkveranstaltung zu organisieren.

So ähnlich machen wir das dieses Jahr auch. Man muss ja sagen, dass die Tragik dieses Unglücks in Verbindung mit dieser Verantwortungslosigkeit, die wir anprangern, auch etwas Absurdes hat. Und so werden wir dieses Jahr mit Schauspielern arbeiten, die Texte von Franz Mon und Ernst Jandl rezitieren, und mit Musikern, die Texte und Lieder von Gerd Köster und von den Bläck Fööss vortragen. Denn diese Stadt bringt ja nicht nur viel Absurdes hervor, sondern auch sehr schöne bewegende Texte, die dieses Absurde auf den Punkt bringen.

DOMRADIO.DE: Sie machen einiges in ihrer Initiative. Was gehört denn noch dazu?

Deja: Jüngstes Beispiel war etwa unser Agieren, als die Börschel-Affäre plötzlich ruchbar wurde. Da hat man in einem kommunalen Betrieb versucht, extra einen Vorstandsposten zu schaffen, den es vorher nicht gab, um einen Politiker zu versorgen und das Ganze noch in einem Handstreich, ohne den Rat auch nur zu informieren (Anm. d. Red.: Die Stelle des Geschäftsführers der Stadtwerke Köln war extra eingerichtet und nicht öffentlich ausgeschrieben worden. Die Vergabe an den SPD-Politiker Martin Börschel wurde als Kölner Klüngelei kritisiert).

Ein anderes Beispiel sind unsere Veranstaltungen zum Thema Ost-West-Achse. Das ist ein wichtiges verkehrspolitisches Thema, wo wir sehr darum bemüht sind, dass diese Diskussion nicht auf die einfache Frage "Wollen wir eine U-Bahn oder soll es oberirdisch sein?" reduziert wird. Stattdessen wollen wir die Frage diskutieren, wie denn ein Verkehrskonzept für Köln aussehen kann, das verantwortungsbewusst ist und wo man nicht nur einen Aspekt im Auge hat, sondern das Gesamtbild.

DOMRADIO.DE: Was bei Ihnen aber ganz deutlich wird: Natürlich hat jede Stadt ihre eigenen Probleme, aber dann heißt es immer, da kann man doch nichts machen. Sie sind zehn Leute und stoßen alles Mögliche an. Eine ganz kleine Gruppe kann also etwas bewegen.

Deja: Absolut. Das liegt daran, dass wir ein Netzwerk haben. Wir haben viele Unterstützer. Wir haben viele Menschen, die uns freundlich gesonnen sind und je nach Thema können wir sehr viele Kräfte um uns herum mobilisieren. Und vor allem können wir Know-how und Expertise mobilisieren – das ist für uns immer das Wichtigste.

Es ist ja im Moment so, jeder redet über die Krise der Parteien. Die Parteien verlieren immer mehr an Einfluss und Wählern. Die Antwort kann jetzt nicht populistisches Geschrei gegen die da oben sein. Das gefährdet unsere Demokratie. Viel interessanter ist die Frage, wie man Bürgerengagement und Bürgerexpertise in die Diskussion darüber einbrinen kann, wo unser Gemeinwesen hinsteuern soll.

DOMRADIO.DE: Am Sonntag findet die Gedenkveranstaltung zum Einsturz des Historischen Archivs statt. Sie haben schon gesagt, es wird Texte geben. Sie mobilisieren aber auch die Oberbürgermeisterin von Köln. Das ist ja nicht selbstverständlich.

Deja: Dafür sind wir auch sehr dankbar. Das finden wir sehr anerkennenswert von Frau Reker, die übrigens schon zum dritten Mal kommt. Seit Frau Reker das Amt übernommen hat, hat sie sehr viel Wert darauf gelegt, an dieser Gedenkveranstaltung teilzunehmen und auch einen Beitrag dazu zu liefern. Was sie sehr von ihrem Vorgänger unterscheidet, der das immer ignoriert hat. Und wir freuen uns auch über die logistische Unterstützung der Stadt für die Veranstaltung. Wir sehen in dieser Bereitschaft von Frau Reker ein Zeichen für den Willen, einen anderen Umgang mit der eigenen Verantwortung zu pflegen.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Frank Deja, Mitorganisator der Bürgerinitiative "Köln kann auch anders" / © Viola Kick (DR)
Frank Deja, Mitorganisator der Bürgerinitiative "Köln kann auch anders" / © Viola Kick ( DR )
Quelle:
DR
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