Wie Missbrauchsprävention im Erzbistum Köln funktioniert

Verpflichtende Schulungen - auch für Bischöfe

Prävention. Dieses Wort wird ganz oft genannt, wenn es darum geht, dass die katholische Kirche Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt schützen möchte. Wie funktioniert die Prävention? Die Expertin des Erzbistums Köln gibt Auskunft.

Pfarrer und Messdiener im Weihrauch / © Sebastian Widmann (KNA)
Pfarrer und Messdiener im Weihrauch / © Sebastian Widmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Bei der Prävention geht es darum, eine Kultur der Achtsamkeit zu entwickeln. Wie sieht diese aus?

Manuela Röttgen (Präventionsbeauftragte im Erzbistum Köln): Wir verstehen unter der Kultur der Achtsamkeit einen respektvollen und wertschätzenden Umgang mit den uns anvertrauten Personen. Das können zum einen die Minderjährigen sein, die sich in den vielen Einrichtungen in unserem Erzbistum Köln aufhalten. Das können aber auch schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene sein, die zum Beispiel in unseren Alteneinrichtungen, Seniorenheimen, Behinderteneinrichtungen oder Krankenhäusern untergebracht sind.

DOMRADIO.DE: Jetzt hat das Erzbistum Köln seit fast acht Jahren eine Präventionsbeauftragte und diese Kultur der Achtsamkeit soll weiter wachsen. Wodurch wächst sie denn?

Röttgen: Sie wächst zum einen durch die Präventionsschulungen, die verpflichtend für alle Tätigen in unserem Bistum sind, also sowohl für Haupt- und Ehrenamtliche, für die Geistlichen, für alle, die bei uns tätig sind.

DOMRADIO.DE: Auch für die Bischöfe?

Röttgen: Auch für die Bischöfe. Die Bischöfe, der Generalvikar, alle haben sich einer solchen Schulung unterzogen. In dieser Schulung geht es primär darum, eine Sensibilität zu entwickeln, auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu achten. Die Haltung einzunehmen: "Ich bin ein fähiger Beschützer für das mir anvertraute Kind, weil Kinder sich selber nicht schützen können, wenn sie in eine Situation der Grenzverletzung oder des Übergriffs kommen."

Die hat dann zwei Facetten, diese Kultur der Achtsamkeit: Zum einen, dass ich sehr genau das Kind beobachte und auch konsequent eingreife, wenn ich feststelle, das Wohl des Kindes ist nicht mehr gewährleistet. Zum anderen aber auch, dass ich sehr selbstreflexiv auf mein eigenes Verhalten achte. Also, wie ist mein persönlicher Umgang mit den mir anvertrauten Personen, mit dem Kind, das sich in meinem Kindergarten oder in meiner Bücherei oder wo auch immer aufhält? Also, dass ich zum Beispiel auf ein angemessenes Nähe- und Distanzverhalten achte.

DOMRADIO.DE: Was heißt das konkret? Was ist zum Beispiel heute anders als noch vor einigen Jahren?

Röttgen: Wir erinnern uns in unserer Erstkommunionzeit noch sehr gut daran, dass zum Beispiel die Erstbeichte in einem geschlossenen Raum stattgefunden hat, wo man mit dem Pfarrer alleine war, um dann auch ein vertrauliches Gespräch führen zu können.

Das ändert sich heute weitgehend. Es findet zum Beispiel in der Gesamtgruppe in der Kirche statt. Die Kinder sitzen dann in der Reihe und das Kind, das gerade die Erstbeichte ablegt, ist dann mit dem Pfarrer zum Beispiel im Altarraum. Aber der ist einsichtig.

DOMRADIO.DE: Die Priester stehen ja durch die MHG-Studie gerade im Fokus. Wo werden angehende Priester, die dann in der Gemeinde arbeiten, geschult?

Röttgen: Die Priester werden sofort in der Ausbildung der Präventionsschulung unterzogen. Gleich im Studium im Albertinum in Bonn findet die sogenannte Präventionsschulung des Typs B, also eine ganztägige Präventionsschulung statt.

Dazu gibt es ein Aufbaumodul im Priesterseminar hier in Köln, wo es dann nochmal darum geht, den Priester wirklich auf seine Rolle als Priester in der Gemeinde im Hinblick auf die Prävention sexualisierter Gewalt vorzubereiten.

DOMRADIO.DE: Wenn er dann bei der Arbeit ist, kommt dann eine Auffrischung?

Röttgen: Genau, in der Präventionsordnung ist das so vorgesehen, dass alle Tätigen, alle Mitarbeiter, alle Ehrenamtlichen und auch die pastoralen Dienste alle fünf Jahre an einer sogenannten Vertiefungsveranstaltung teilnehmen, wo es dann nach fünf Jahren noch mal darum geht, explizit zu gucken: Was ist in meinem Tätigkeitsfeld im Hinblick auf die Vorbeugung sexualisierter Gewalt wichtig.

DOMRADIO.DE: Reichen denn all diese Maßnahmen?

Röttgen: Die Maßnahmen richten sich nach den gängigen fachlichen Standards, so wie sie beispielsweise auch der unabhängige Beauftragte der Bundesregierung, Johannes Röhrig, empfiehlt. Ob sie wirklich tatsächlich sexuellen Missbrauch verhindern, können wir redlich nicht sagen. Es wird sicherlich immer wieder Täter oder Täterinnen geben, die es dennoch versuchen.

Aber gerade durch die gewachsene Sensibilisierung, durch die Kultur der Achtsamkeit, können wir feststellen, dass wesentlich früher eingegriffen wird, wenn es zu Grenzverletzungen kommt und damit das sogenannte "Grooming", also die Anbahnung des sexuellen Missbrauchs, sehr früh unterbrochen, der Schutz des Kindes wiederhergestellt und entsprechend auch mit dem Beschuldigten gesprochen werden kann, um dieses Fehlverhalten einzustellen.

DOMRADIO.DE: Wenn sich jemand an Sie wendet, der von Missbrauch betroffen ist, was tun Sie dann?

Röttgen: Ich gebe diese Meldung entweder an eine der drei Ansprechpersonen, die vom Bistum für die Betroffenen oder für Meldungen von Übergriffen benannt sind, weiter. Oder aber ich wende mich direkt an den Interventionsbeauftragten, der dann seinerseits mit entsprechenden Fachleuten - das sind alles externe Personen, die im Beraterstab des Erzbistums Köln sind - die Klärung dieses Falles initiiert.

DOMRADIO.DE: Noch einmal zurück zu der Kultur der Achtsamkeit. Inwiefern gehört zu der Kultur der Achtsamkeit, zum Hinschauen, auch, dass wir die Kinder stärken müssen, dass die Kinder statt Gehorsam eher lernen, eine starke Persönlichkeit zu werden und sich auch wehren zu können?

Röttgen: Das ist eine wichtige Facette der Arbeit, die auch in der Präventionsordnung verortet ist, dass alle Einrichtungen und Schulen und Kindergärten entsprechende Projekte, Maßnahmen, Elternabende zu diesem Thema durchführen.

Grundsätzlich können Kinder sich nicht alleine wehren. Aber wir können den Kindern ganz viel mit auf den Weg geben, damit sie ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln und das dann auch zeigen und dadurch weniger anfällig für Täter werden. Wenn sie dann selbst nochmal in die Situation kommen, fällt es ihnen immer noch schwer, sich dagegen zu wehren. Aber sie haben einfach gelernt: Ich bin wichtig. Das was ich sage wird gehört. Ich darf Nein sagen. Auch bei meinen Eltern."

Das ist von den Eltern nicht immer gerne gehört, aber auch da lernen sie: "Ich bin wichtig und ich darf meine Meinung sagen." Und wenn sie das in diesem Kontext lernen - auch durch das Vorbild von Erzieherinnen von Lehrern -, dann nehmen sie das als Rüstzeug mit ins Leben und es stärkt sie.

DOMRADIO.DE: Diese Kultur der Achtsamkeit geht uns alle an. Da müssen wir alle mitmachen?

Röttgen: Genauso ist es. Jeder Einzelne und jede Einzelne, ob wir ehrenamtlich eingesetzt sind oder ob wir hauptamtlich für die Kirche arbeiten, sind aufgefordert, diese Kultur der Achtsamkeit zu leben.

DOMRADIO.DE: Die MHG-Studie geht auch auf das Thema Prävention ein. Was können Sie als Präventionsbeauftragte aus der Studie lernen, um die Präventionsarbeit noch weiterzuentwickeln, zu verbessern?

Röttgen: Die Betroffenen wünschen sich, deutlich mehr auch in die Präventionsarbeit eingebunden zu werden. Und das ist tatsächlich eine Aufgabe, die ich mir auch noch auf die Fahne schreiben muss. Denn wir können von den leidvollen Erfahrungen, die die Betroffenen gemacht haben, durchaus auch für die Präventionsarbeit lernen, wie wir unsere Maßnahmen noch verbessern können.

Das Interview führte Susanne Becker-Huberti.


Quelle:
DR