Kölns Generalvikar zieht positive Jahresbilanz

Mit Vertrauen und Hoffnung weitergehen

2016 - das war das Heilige Jahr der Barmherzigkeit, das Jahr, indem 50.000 Besucher zum Event SilentMOD in den Kölner Dom kamen, aber auch das Jahr der Silvesterübergriffe. Generalvikar Dominik Meiering zieht Bilanz.

Spitzen des Kölner Doms im Sonnenuntergang / © Marius Becker (dpa)
Spitzen des Kölner Doms im Sonnenuntergang / © Marius Becker ( dpa )

domradio.de: Wenn wir das Jahr durchgehen mit allem, was wir erlebt haben rund um den Kölner Dom, müssen wir mit etwas weniger Schönem anfangen; wir müssen über die Übergriffe in der Silvesternacht am Kölner Dom reden - vor genau einem Jahr. Deutschland hat hingeschaut, die ganze Welt hat hingeschaut. Ich vermute mal, das war auch für das Bistum ein turbulenter Start ins Jahr.

Generalvikar Dominik Meiering: Ja, natürlich. Ganz am Anfang haben wir ja gar nicht erkannt, was dahinter steckte. Nach und nach wurde das mehr und mehr sichtbar. Wichtig war, dass man das Vertrauen neu weckt - in unsere Stadt, aber auch in unser ganzes Land. Dass wir die Fähigkeit haben, mit diesen Situationen gut umzugehen. Ich glaube, das ist uns sowohl am Dom gelungen als auch in unserer Stadt. Nicht nur durch ein höheres Maß an Sicherheit und Präsenz von Polizei und dergleichen, sondern auch durch eine etwas gelassenere Haltung diesen Themen gegenüber.

Natürlich darf man nichts beschönigen und muss diejenigen, die verbrecherisch unterwegs gewesen sind, auch hart rannehmen. Völlig klar! Aber gleichzeitig darf man nicht alle in Sippenhaft nehmen und unter Generalverdacht stellen. Statt dessen muss man mit Vertrauen und mit Hoffnung weitergehen und versuchen, zu schauen, wie wir ein Klima schaffen, in dem sich alle Menschen froh, sicher und gut fühlen können. Ich glaube, daran haben wir gut gearbeitet und das wird dieses Silvester ganz anders aussehen. 

domradio.de: Papst Franziskus hat für 2016 das Heilige Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Das Besondere dabei ist, dass er nicht Rom in den Mittelpunkt gestellt hat, sondern die Bistümer selbst - die Heimat der Gläubigen. Das hat auch für uns hier im Erzbistum Köln eine große Rolle gespielt dieses Jahr.

Meiering: Das war doch eine super Idee, dass es überall eine Pforte der Barmherzigkeit gibt! Hier bei uns am Kölner Dom war es das Hauptportal. So viele Menschen sind da durchgegangen. Ich habe immer wieder Beichte gehört im Dom und immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Menschen kamen und sagten: Jetzt ist ja das Jahr der Barmherzigkeit und deshalb habe ich gedacht, ich muss mal kommen. Das waren auch Menschen, die mit einer Lebensbeichte gekommen sind oder mit großen Fragen ihres Daseins. Ich merke schon, dass das nicht nur im Großen sondern auch im Kleinen ganz viel Wandel, Verwandlung und Umkehr in den Herzen der Menschen ausgelöst hat.

domradio.de: Wird davon was übrigbleiben, jetzt, nachdem das Jahr beendet ist?

Meiering: Das hoffe ich schon. Denn mit dem Jahr der Barmherzigkeit ist es ja mit der Barmherzigkeit nicht vorbei. Bestenfalls werden wir etwas von dieser Grundhaltung mitnehmen. Mir ist immer wichtig: Es geht nicht nur darum, gegenüber dem anderen barmherzig zu sein, sondern es geht zuerstmal darum, zu begreifen, dass Gott uns gegenüber barmherzig ist. Das verändert etwas im Inneren. Ich glaube, das ist etwas, was bleiben wird. Das ist eine Erkenntnis, die auch zu neuem Denken und neuen Taten führen wird.

domradio.de: Schauen wir auf den Fronleichnamstag - da ist Köln wieder international in die Presse gekommen, diesmal allerdings positiv. Die Washington Post hat sogar darüber berichtet: Ein Flüchtlingsboot aus dem Mittelmeer wurde am Kölner Dom aufgestellt und als Altar genutzt...

Meiering: ... und das Boot ist jetzt sogar noch weiter unterwegs. Es wandert im Augenblick durch das Bistum. Bis Mitte 2018 sind schon alle möglichen Termine angefragt. Im Moment steht die Krippe in Sankt Maria in Lyskirchen auf diesem Boot. Das Museum für deutsche Geschichte interessiert sich dafür. Also es ist ganz spannend. Die Aktion kam durch den Kontakt zu den Seenotrettern von MOAS (Migrant Offshore Aid Station, registrierte gemeinnützige Stiftung in Malta mit der Aufgabe Flüchtlinge in Seenot zu retten; Anm. d. Red.) zustande. Als wir gesagt haben, wir bräuchten eigentlich mal ein Zeichen, dass vor Augen führt, was wir für ein Problem haben haben die uns ein Boot organisiert. Einige fleißige Helfer haben es dann nach Köln gebracht.

Ich glaube, das Boot ist ein wichtiges Zeichen, nicht nur für die vielen Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken, sondern vor allem dafür, dass wir in einer globalisierten Welt leben und Solidarität miteinander üben müssen. Das wird auch eine Herausforderung für das kommende Jahr sein: Wie bekommen wir die großen Fragen in den Blick und wie gehen wir damit um? Gerechtigkeit, Teilhabe an den Gütern dieser Welt, die Möglichkeit, in Sicherheit leben zu können - das sind ja Dinge, die sich alle Menschen auf der Welt wünschen. Deshalb werden diese Probleme bleiben - egal ob in Afrika oder im Nahen und Mittleren Osten. Wir müssen uns mit diesen Grundfragen des Mensch-Seins auseinandersetzen - auch als Christen. Wenn wir das nämlich nicht tun, gehen wir an unserer eigentlichen Berufung vorbei, dass Gott Mensch werden kann und der Mensch in Gott eine Heimat finden kann. 

domradio.de: Haben Sie ein persönliches Highlight des Jahres 2016, das Ihnen besonders im Kopf geblieben ist? 

Meiering: Ja, da geht es um das Thema Barmherzigkeit und um die Beichten, die ich dort hatte. Es gibt eine Grunderkenntnis bei manch einem, dass Gott einer ist, der es gut mit uns meint. Das haben wir ja auch auf der Fahne zum Domjubiläum stehen gehabt: Gott tut uns gut. Das ist in der Tat eine Erkenntnis, die in den Herzen vieler Menschen im vergangenen Jahr gewachsen ist. Darüber freue ich mich sehr, weil das ja eine der Kernbotschaften ist, die wir weitererzählen sollten - über alle Fragen und Schwierigkeiten hinaus. 

domradio.de: Eines der Highlights, die ich persönlich am beindruckendsten fand, war die Veranstaltung SilentMOD - als an drei Abenden der Kölner Dom geöffnet wurde für eine Licht-, Klang- und Duftinstallation mit den Techno-Künstlerin Blank and Jones und man wirklich durch die halbe Innenstadt anstand, um sich dieses Spektakel anzusehen. Was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal gehört haben: Wir machen jetzt eine Techno-Veranstaltung im Dom?

Meiering: Mir war von Anfang an klar, dass das keine Techno-Veranstaltung ist, sondern, dass das ein neuer Erfahrungsraum ist, der da eröffnet wird. Darum ging es ja auch - den Dom mal auf andere Art und Weise erfahren, sodass diejenigen, die vielleicht noch gar keinen Zugang zu Themen des Glaubens oder der Spiritualität haben, mal die Chance haben, da hineinzuschnuppern. Ich glaube, dass das hervorragend gelungen ist.

Vielleicht ist nicht so sehr gelungen, diejenigen, die bei der Gamescom waren, in den Dom hineinzuholen, obwohl davon auch einige da waren. Aber es ist gelungen, dass ganz viele, die den Dom schon kennen, ihn nochmal neu entdeckt haben. Mit einer Atmosphäre, in der man plötzlich merkt, dieser Dom ist so gebaut, dass man in sich selbst hineinhorcht und anfängt, auf die Suche nach Gott zu gehen. Wenn ich nämlich auf die Suche nach mir selbst gehe, entdecke ich Gott in mir, der mich ja geschaffen hat. Wenn man sich die Installation angesehen hat, wurde man in einer Weite hineingeführt. Und immer, wenn man in eine Weite hineingeführt wird, wird man auch in die Innerlichkeit hineingeführt. Ich glaube, das ist bei vielen Menschen gut gelungen. Ich bin mir sicher, wir werden etwas Ähnliches nocheinmal erleben. 

domradio.de: Wir sprechen von knapp 50.000 Leuten, die an diesen drei Tagen im Dom gewesen sind. Da müsste man doch eigentlich gleich die Anschlussveranstaltung planen. 

Meiering. Ja, aber ich glaube, wir müssen die noch gut überlegen. Denn ein paar Dinge sind noch nicht so gelungen, wie wir uns das vielleicht gewünscht hätten. Nämlich, dass wir auch nochmal über den Glauben oder diese innerliche Erfahrung miteinander ins Gespräch kommen. Ich glaube, es braucht Menschen, die noch mehr als Angebot zur Verfügung stehen. Und es braucht vielleicht auch nochmal Hilfen zu sehen, worum es geht, und zu verstehen, warum der Raum diese Anziehungskraft und diese Ausstrahlungskraft besitzt. Genau diese Punkte müsste man nochmal besser herausarbeiten. Aber ich glaube, da lernen wir auch und da werden wir immer wieder neue Erfahrungen machen.

domradio.de: Jetzt haben wir trotz dieser 50.000 Dombesucher innerhalb von drei Tagen trotzdem die Situation: Die Kirchen im Bistum werden leerer, die Gläubigen werden älter, die Zahlen der Katholiken gehen zurück. Sie waren in diesem Jahr auf den Philippinen unterwegs, um sich Impulse zu holen, wie man in dieser neuen Situation den Glauben verkünden kann. Was haben Sie sich von dort mitgenommen?

Meiering: Das war eine Lernreise, wenn man so will. Wir waren unterwegs mit einigen pastoralen Diensten, mit Priestern, mit pastoralen Gemeindereferenten, Diakonen, Leuten aus dem Generalvikariat. Dort haben wir zwei Wochen lang kennengelernt, wie sich die pilippinische Kirche organisiert. Dann haben wir auf einer Rundreise einzelne Gemeinden und Pfarren kennengelernt. Das Spannende ist: Da gibt es zum Teil einen Priester, der für hunderttausend Leute zuständig ist. Trotzdem gibt es vor Ort in den Gemeinden ein lebendiges, kirchliches Leben. Nun sind die alle sehr fromm, das muss man sagen. 85 Prozent der Philippinos sind katholisch, und wenn die auf dem Moped an der Kirche vorbeifahren, machen die ein Kreuzzeichen. Aber sie haben es auch so organisiert, dass Menschen sich vor Ort verantwortlich machen.

Ich finde, das ist auch eine Herausforderung für uns. Es geht ja nicht nur darum, dass wir weniger Priester haben und dass wir vielleicht weniger Gläubige sind, sondern vielmehr darum, wie wir Orte schaffen können, wo wir Glauben miteinander leben können. Wie wir Orte schaffen, wo wir erfahren können, das Glaube eine Relevanz für mein alltägliches Leben hat. Wie wir Orte schaffen können, an denen Menschen unmittelbar mit Cristus in Berührung kommen. Das sind Fragen, die sich uns dort gestellt haben. Wir werden das in aller Ruhe miteinander auswerten. Im März treffen sich einige von denen, die dabei gewesen sind, um mal zu schauen: Wie können wir damit weitergehen. Es wird einige Impulse geben, die wir dann auch in unser Erzbistum hineinbringen werden.

domradio.de: Was auch eine große Aufgabe für das Jahr 2017 werden wird. Wenn Sie nach vorne gucken - was wird uns hier rund um den Kölner Dom im kommenden Jahr bewegen?

Meiering: Da wird es vieles geben. Ich freue mich jetzt zunächst einmal auf den Silvestertag und auf den Neujahrstag. Dann haben wir ja auch Dreikönige hier am Dom. Das wird wieder ein Hochfest werden mit vielen Menschen, die von überallher kommen. Das heißt, wir dürfen noch ein bisschen länger und besser feiern als die allermeisten in der Welt das können oder dürfen. Dann gehen wir mit frohem Mut in all diese großen Herausforderungen und Projekte, die sich unserer Kirche heute stellen. Ich bin aber sicher, wir tun das mit dem Vertrauen, das wir hier vom Jesuskind gelernt haben; das kindliche Vertrauen in die Führung Gottes, des Vaters, der barmherzig ist. Jedenfalls habe ich mir vorgenommen, das so anzugehen. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Die Heilige Pforte am Kölner Dom (Erzbistum Köln)

Flüchtlingsboot als Krippe in Köln / © Oliver Berg (dpa)
Flüchtlingsboot als Krippe in Köln / © Oliver Berg ( dpa )
Quelle:
DR