Ehemaliger Schüler über Missbrauch an erzbischöflichem Konvikt

"Weil ein Priester prinzipiell so etwas nicht tut"

Jahrzehntelang hat Werner Becker für sich behalten, was ihm während seiner Internatszeit angetan wurde. Im Zuge des Missbrauchsskandals wendet er sich 2010 ans Erzbistum Köln. Nun hilft er dabei, die Missstände aufzuarbeiten.

Collegium Josephinum (bis 1997) (DR)
Collegium Josephinum (bis 1997) / ( DR )

domradio.de: Kardinal Woelki hat sich bei Ihnen entschuldigt, eine neu gegründete Kommission soll die Übergriffe von damals aufarbeiten - was bedeutet das für Sie und die anderen Betroffenen?

Prof. Dr. Werner Becker (Vertreter von fünf Missbrauchsopfern des ehemaligen erzbischöflichen Collegium Josephinum in Bad Münstereifel): Zunächst einmal hat bisher immer eine Verneinung dieser ganzen Dinge stattgefunden, besonders vom Vorgänger des jetzigen Kardinals. Ich finde es eine ganz große Geste, dass der neue Kardinal diese Dinge zu einer Chefsache gemacht hat und sich entschuldigt. Das ist für uns, die wir betroffen sind, von dieser ganzen Sache eine große große Geste.

domradio.de: Damit wir wissen, von was wir überhaupt sprechen: Was ist Ihnen damals als Schüler passiert?

Becker: Das Problem war, dass wir übergriffig behandelt wurden, und zwar hat der damalige Leiter des Konviktes sich herausgenommen, Schüler immer wieder persönlich anzufassen, anzupacken, zu kneifen, zu pitschen, teilweise sogar mit der Hand versucht, deren Geschlechtsteile zu ergreifen. Das sind Dinge gewesen, die in der laufenden Zeit des damaligen Internatslebens gang und gäbe waren.

domradio.de: Mit Ihren Eltern über diese Annäherungen des Kirchenmannes zu sprechen - das kam damals für Sie nicht in Frage?

Becker: Das war ein absolutes No-Go. Sie müssen sich die Zeit vergegenwärtigen. Damals war es so, dass ein Priester prinzipiell die höchste Instanz für Ethik und Moral war und somit natürlich außerhalb jedweder Kritik stand. Wäre ich da an meine Eltern herangetreten, um sie zu bitten, in dieser Sache tätig zu werden, Abhilfe zu schaffen - das wäre ein Geschehen gewesen, absolut undenkbar. Ich wäre mit Sicherheit körperlicher Züchtigung unterzogen worden, weil ein Priester prinzipiell so etwas ja nicht tut.

domradio.de: Jahrzehntelang haben Sie die verstörenden Erlebnisse für sich behalten, Sie sind ein wahrer "Verdrängungskünstler" geworden, so haben Sie das selbst gesagt. War das eine Überlebensstrategie?

Becker: Das war mit Sicherheit eine Überlebensstrategie insofern, als dass jedwede Nähe oder Näherungsversuch von außen, von fremden Personen immer mit sehr großer Distanz wahrgenommen worden ist und man prinzipiell versuchte- zumindest galt das für mich - sich aus diesen Dingen herauszulösen und nicht Nähe zu bekommen, weil man nicht wusste, wie man reagieren würde. Das hat sich bei mir dann im Grunde genommen das Leben lang durchgezogen, so dass ich nie in der Lage war, diese nahen Kontakte zuzulassen und damit natürlich eine gewisse Form der Unnahbarkeit hatte.

domradio.de: Damit haben Sie schon auf die nächste Frage geantwortet, nämlich der, nach den Folgen dieses Missbrauchs auf ihr späteres Leben, auf ihre Beziehungen.

Becker: Ich vermute mal, da ich auch ein Scheidungsgeschädigter bin, dass ein Großteil dieser Dinge aus den Tiefen meiner Seele kam und eine Bindungsfähigkeit nicht so zuließen, wie es für eine Partnerschaft hätte sein müssen.

domradio.de: Jahrzehnte nach den Geschehnissen von damals haben Sie durch einen absoluten Zufall einen anderen ehemaligen Josephinum-Schüler getroffen, und Sie haben sich gemeinsam ans Erzbistum gewandt.

Becker: Da ich nicht an Zufälle glaube, muss das in irgendeiner Form Fügung gewesen sein. Ich hatte einen Unfall, lag im Krankenhaus, habe in diesem Krankenhaus nach einem Geistlichen verlangt. Es war keine lebensgefährliche Situation für mich, aber ich wollte einfach ein Gespräch haben. Dieser Priester, der sich dann zu mir ans Krankenbett begab, war, wie es sich in einem längeren Gespräch herausstellte, ebenfalls ein Missbrauchter an dem gleichen Konvikt.

domradio.de: 2010 haben Sie sich zum ersten Mal ans Erzbistum gewandt, jetzt also endlich die Kommission - was erhoffen Sie sich von dieser Aufarbeitung?

Becker: An dieser Stelle möchte ich ganz besonders herzlich dem künftigen Bischof von Hamburg danken, der sich dieser Sache mit großem persönlichem Engagement angenommen hat. Generalvikar Dr. Heße hat in vielen, teilweise stundenlangen Gesprächen mit uns Betroffenen die Sache aufbereitet, so dass sie dann letztlich zu dieser Kommission führten.

domradio.de: Und was erhoffen Sie sich von der Kommission?

Becker: Ich erhoffe mir davon, dass noch weitere in der Tiefe schlummernde Verletzungen dadurch ausheilen können, gelöst werden können und dass vor allen Dingen für die Zukunft etwas erarbeitet werden kann, damit solche Dinge nie mehr passieren oder zumindest schnell aufgedeckt werden können, wenn sie denn passieren.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Prof. Werner Becker / © privat
Prof. Werner Becker / © privat
Quelle:
DR