Ein Kommentar zu den Kirchenaustrittszahlen

Sag mir, wo die Christen sind ...

Die katholische Kirche im Jahr 2013: Mehr Kirchenaustritte, weniger Gottesdienstbesucher, weniger Priester in Deutschland. domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen begibt sich in seinem Kommentar auf Spurensuche.

Ingo Brüggenjürgen / © Ide Lödige (DR)
Ingo Brüggenjürgen / © Ide Lödige ( DR )

Sag mir wo die Christen sind, wo sind sie geblieben? Über 17.000 Katholiken sind alleine im Erzbistum Köln im vergangenen Jahr aus ihrer Kirche ausgetreten. Haben ihr meist verbittert oder verärgert den Rücken gekehrt.

Wer das letzte Jahr aus kirchlichem Blickwinkel Revue passieren lässt, dem fällt erst einmal der neue Papst Franziskus ein. Seine Amtsführung und sein Engagement für Flüchtlinge, Arme und die am Rande Stehenden aber kann doch kein Austrittsgrund sein. Ganz im Gegenteil: Der Bischof von Rom genießt weltweit ein enormes Ansehen und eine selten vorher dagewesene Zustimmung. Selbst die ärgsten Kirchenkritiker schieben ob seiner authentischen Verbreitung der christlichen Botschaft tief beeindruckt ihre Unterlippe nach vorne und stimmen in das Loblied ein.

Nein, wer die Gründe für die höchsten Kirchenaustrittszahlen der jüngeren Geschichte sucht, der muss im eigenen Land, vor der eigenen Haustür anfangen. Der Missbrauchsskandal steckte der Kirche noch in den Knochen, da kam Anfang 2013 die bundesweit beachtete Kölner Geschichte mit der Verweigerung der Pille im Vergewaltigungsfall. Dass die wahren Details dieses Falls hinter den großen Schlagzeilen völlig aus dem Blick gerieten, machte die Sache nicht besser. Als die Kirche dann angeschlagen am Boden lag, kam Limburg. Die skandalösen Vorgänge rund um die Finanzierung der Baumaßnahmen gaben vielen Katholiken den Rest. Einen Bischof, der log und offensichtlich jeden Bezug zur Realität verloren hatte? "Nein – Danke. Auf so einen Verein kann ich verzichten! – Mir reicht es endgültig!"

Auch bundesweit kehrten immer mehr Katholiken ihrer nicht mehr geliebten Mutter Kirche einfach so den Rücken zu. Zählt man zum Beispiel am Rhein zu den Kirchenaustritten im Erzbistum Köln noch die Differenz zwischen Taufen und Beerdigungen hinzu, so fehlten am Ende des Jahres 2013 dem Erzbistum Köln fast 24.000 Katholiken, also in etwa so viel wie ein halbes Fußballstadion voll. Eine Stadt groß wie Meckenheim mit all ihren Einwohnern, einfach am Ende des Jahres nicht mehr dabei. Das muss jeder Schwester und jedem Bruder im Glauben Sorge und Kummer bereiten. Das darf alle Katholiken und erst recht die Entscheidungsträger nicht kalt lassen. Einfach so zur Tagesordnung übergehen? Alles halb so schlimm, wird im nächsten Jahr schon irgendwie alles wieder besser werden? Das ist ein Trugschluss.

Wenn Deutschlands größter Automobilclub ADAC trotz Tricks und Betrügereien eigentlich kaum Mitglieder verliert, eine Kirche, die doch viel mehr als ein Verein sein will und den ganzen Menschen im Blick hat, massiv Mitglieder verliert, läuft etwas falsch im Kirchenstaat. Die christliche Botschaft brauchen die Menschen heute vielleicht noch nötiger als vor 2000 Jahren. Zahlreiche Studien zeigen eine Sehnsucht nach Religion, Werten und Glück. Die Katholische Kirche hat eigentlich genau für diese Menschen ihre Heilsbotschaft. Aber sie hat ihre Strahlkraft, wenn man mal vom Papst in Rom absieht, weitgehend verloren. Hier gilt es anzusetzen. Die Freude am Glauben muss spürbar sein und nicht nur verkündet, sondern glaubwürdig gelebt werden. Die Begeisterung für die Frohe Botschaft muss wieder ansteckend sein. Christen dürfen nicht länger wie tote Gralshüter der heiligen Glut daher kommen, vielfach mit Antworten auf Fragen, die heute kein Mensch mehr stellt. Es braucht auf allen Ebenen lebendige Boten des Feuers, das ansteckend ist. Mutige Zeitgenossen, die nicht länger wie die letzten Fußkranken der Gesellschaft daher kommen, sondern das Selbstbewusstsein einer Avantgarde ausstrahlen. Die wissen, wo es lang geht, weil sie dem Erlöser der Welt freudig entgegen gehen.

Gerade aber die kirchlichen Verantwortungsträger dürfen sich jetzt im Angesicht dieser besorgniserregenden Austrittszahlen nicht ängstlich wegducken und wie Realpolitiker daherkommen. Es braucht nicht nur die Vorbilder der Heiligen aus der langen Kirchengeschichte. Es braucht auch mehr als einen sich redlich abrackernden und überzeugenden Bischof in Rom. Es braucht gerade heute hier bei uns viele mitreißende Christen in Führungspositionen und begeisternde Priester, die nicht als überforderte Manager sondern begleitende Seelsorger daherkommen. Und wenigstens eine Handvoll Bischöfe, die wie der neu ernannte Erzbischof von Köln, künftig mutig und selbstbewusst auf Sieg spielen wollen. "Ich möchte, dass wir so auftreten wie die deutsche Mannschaft beim Spiel gegen Brasilien!", antwortete Kardinal Woelki auf die Frage nach seiner Strategie für Köln. Dafür sind nicht unbedingt Jesusfahnen an Autos und Fanmeilen vor dem Kölner Dom von Nöten. Wenn so aber wenigstens der schmerzliche Exitus des Kirchenaustritts zurückgedrängt und gestoppt werden könnte, wäre das ein Mut machender Anfang. Sag mir wo die Christen sind, sie sind treu geblieben …


Quelle:
DR