Auch Kardinal Woelki befürwortet offeneren Umgang mit Geschiedenen

Die ringende Kirche

Die Debatte um wiederverheiratete Geschiedene nimmt weiter an Fahrt auf. Jetzt spricht sich auch der Berliner Erzbischof, Kardinal Woelki, für einen offeneren Umgang aus. Das Erzbistum Köln hat einer Gruppe von reformwilligen Priestern im Ruhestand ein Gespräch über diese und andere kritische Punkte angeboten.

 (DR)

"Es muss doch auch möglich sein, katholisch zu sein, ohne dass das bis ins Letzte immer überprüft wird", so äußerte sich der Berliner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, in einem am Mittwoch vorab veröffentlichten Interview der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit". Er spricht sich in dem Interview für einen offeneren Umgang der katholischen Kirche mit Homosexuellen und wiederverheirateten Geschiedenen aus. Die Lehren der Kirche müssten beachtet werden, aber es gelte zugleich praktikable Wege zum Wohl der Menschen zu finden.



"Heute leiden wir kirchlicherseits vielleicht manchmal an einem falschen Perfektionismus", fügte der frühere Kölner Weihbischof hinzu, der seit fast einem Jahr Berliner Erzbischof ist. "Es geht um das Bewusstsein, als Gläubiger in einer Spannung aus Nähe und Distanz zur eigenen Kirche stehen zu dürfen."



Woelki verteidigt Kommunion an Seehofer

Mit Blick auf die Debatte um den Umgang der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen verteidigte der 55-Jährige, dass Papst Benedikt XVI. dem in einer zweiten Ehe lebenden bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) die Kommunion gegeben hatte. "Als Priester muss ich bei jedem, der von mir die Eucharistie erbittet, davon ausgehen, dass er dies mit reinem Herzen tut", sagte Woelki. Zugleich wolle er aber auch "diejenigen nicht aus dem Blick verlieren, die sich in Anerkennung des Zerbrechens ihrer Ehe um ein Leben nach der kirchlichen Lehre bemühen und die Kommunion nicht empfangen. Sie geben auf diese Weise ein starkes Zeugnis des Glaubens".



Grundsätzlich ist die Ehe nach katholischer Lehre unauflöslich. Deshalb sind Geschiedene nach einer zweiten zivilen Eheschließung vom Empfang der Kommunion und auch von der Beichte ausgeschlossen, da sie laut gängiger Interpretation des Kirchenrechts dauerhaft in einem Zustand schwerer Sünde leben.



Orthodoxe Wege als Vorbild?

Der Berliner Kardinal plädierte dafür, dass sich die katholische Kirche intensiver mit dem Weg der orthodoxen Kirche in dieser Frage auseinandersetzt. Auch die orthodoxe Kirche halte an der Unauflöslichkeit der Ehe fest; eine Scheidung und eine zweite Eheschließung würden dort allerdings toleriert. "Das erlaubt unter bestimmten Bedingungen die Zulassung zu den Sakramenten."



Auch der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff plädiert für ein Umdenken. Die Betroffenen sollten unter bestimmten Bedingungen zum Kommunionempfang zugelassen werden können, schreibt Schockenhoff in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" (Mittwoch).  Voraussetzung dafür sei, dass sich die zweite Eheschließung über eine längere Zeit bewährt habe.



Vergebung und Neuanfang

Das kirchliche Lehramt tue sich keinen Gefallen damit, "nur moralische Prinzipien zu lehren, ohne ihren Gläubigen zugleich eine zuverlässige Begleiterin auf ihren Lebenswegen zu sein", so Schockenhoff. "Für Jesus selbst ist es kein Widerspruch, sondern Ausdruck göttlicher Vollmacht, dass er einerseits die Unauflöslichkeit der Ehe lehrt und eheliche Treue einfordert, andererseits aber der Ehebrecherin vergeben und ihr neue Zukunft eröffnen kann."



Das Erzbistum Köln sucht unterdessen mit der auf Kirchenreformen drängenden Priestergruppe das Gespräch. Personalchef Ansgar Puff habe den zehn Geistlichen aus der Erzdiözese ein entsprechendes Angebot gemacht, sagte ein Bistumssprecher. Die Unterredung soll am Freitag stattfinden; auch der Sekretär des Priesterrates werde daran teilnehmen. Das kündigte der Sprecher der Kölner Geistlichen, Pfarrer Franz Decker an.



Die Priester hatten sich der "Pfarrer-Initiative Österreich" und ihrem "Aufruf zum Ungehorsam" angeschlossen. In dem im Juni 2011 veröffentlichten Aufruf werden neben der Kommunionspendung an Wiederverheiratete die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe und die Aufhebung des Pflichtzölibats gefordert, außerdem kirchliche Leitungsämter für Laien.



Kardinal Meisner: Unauflöslichkeit der Ehe nicht in Frage stellen

Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner hatte sich in der Vergangenheit bereits von Reformankündigungen distanziert. Die Kirche könne die Unauflöslichkeit der Ehe keinesfalls in Frage stellen, betonte der Kardinal gegenüber domradio.de.



Kritiker fürchten einen Dammbruch. Sie treibt die Sorge um, dass allzu häufig angewandte Barmherzigkeit letztlich am Prinzip selbst rüttelt: der Unauflöslichkeit der Ehe. Weil Scheidungen in der westlichen Welt eben alles andere als Einzelfälle sind. Außerdem erinnern sie an das Jesus-Wort "Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen". Anfang Juni betonte Papst Benedikt XVI. erneut, dass wiederverheiratete Geschiedene "nicht die Absolution und die Kommunion empfangen können". Zugleich müssten die Gemeinden dafür sorgen, dass sie sich geliebt und nicht ausgeschlossen fühlten, so der Papst.



Bischöfe uneins

Wegen der Situation vieler Menschen seien Verbesserungen "überfällig", mahnt das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx sieht auch die Deutsche Bischofskonferenz gefragt: "Wie gehen wir mit einem Scheitern um?" Und der Konferenz-Vorsitzende Erzbischof Robert Zollitsch sprach hier von einer "Frage der Barmherzigkeit".



Der Freiburger Erzbischof plant gemeinsam mit Initiatoren der Freiburger Pfarrerinitiative die Seelsorge für Wiederverheiratete weiterzuentwickeln. Es bestehe Einigkeit im Anliegen, in absehbarer Zeit zu konstruktiven Lösungen zu kommen, die in "Einklang mit dem Evangelium und dem Kirchenrecht stehen", teilte das Erzbistum mit. Es gehe um "bedrängende Fragen kirchlichen Lebens und kirchlicher Glaubwürdigkeit".

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