Ein Notfallseelsorger über den Umgang mit der Trauer um Kinder

Trost spenden, wo es keinen gibt

Fünf Wochen nach dem tragischen Küstenabbruch an Rügens Kap Arkona ist am Dienstag am Strand der Steilküste die Leiche der vermissten zehnjährigen Katharina aus Brandenburg gefunden worden. Pater Jürgen Langer, Notfallseelsorger im Erzbistum Köln, im domradio.de-Interview aus Bonn, über Möglichkeiten der Hinterbliebenen mit dem schrecklichen Verlust umzugehen.

Pater Dr. Jürgen Langer (KNA)
Pater Dr. Jürgen Langer / ( KNA )

domradio.de: Am 14. Januar gab es schon die Trauerfeier für das vermisste Mädchen auf Rügen. Was bedeutet der Fund jetzt für die Familie von Katharina?

Pater Langer: Eine Vermissten-Situation nach so einem Unfall ist immer eine ganz schreckliche Sache für die Familie und die Angehörigen. Wenn so plötzlich ein Kind oder ein Jugendlicher einfach aus der Mitte einer Familie gerissen wird, dann ist das erst mal unglaublich für alle Beteiligten. Selbst wenn sie den Unfall miterlebt haben, ist es unbegreiflich für sie zu sagen: "Das Kind ist tatsächlich nicht mehr bei uns.  Es ist wahrscheinlich sogar verstorben. Und wir wissen nicht, ob das Kind wirklich tot ist, oder ob es doch noch lebt." Das ist das Erleben in der Anfangsphase und mit jedem Tag an dem das Kind nicht gefunden wird, wird im Grunde genommen die Gewissheit größer, dass das Kind vermutlich nicht mehr am Leben ist. Dann ist der Fund eines toten Körpers ein ganz wichtiger Punkt, wo die Familie sich von der Realität überzeugen kann und überzeugen muss, dass das alles wirklich passiert ist, dass die Tochter nicht mehr am Leben ist und wo sie dann auch in der Lage ist, wirklich Abschied zu nehmen.



domradio.de: Das heißt, der Fund war für die Familie sehr wichtig, und umgekehrt haben wir ja auch das Unglück der Costa Concordia im Kopf, wo die Suche abgebrochen wurde nach den restlichen Vermissten, wo vielleicht Leichen niemals mehr gefunden werden. Das ist dann für die Trauernden, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ein ganz, ganz großes Problem.

Pater Langer: Ja, richtig. Das ist bei Schiffsunglücken natürlich nicht selten der Fall, dass Leichen gar nicht mehr geborgen werden können. Aber trotzdem ist es für Angehörige, für die Trauernden, eine ganz schwierige Situation, dass man um einen Verstorbenen weiß, dass er nicht mehr am Leben ist, keine Möglichkeit hat Abschied zu nehmen, keine Möglichkeit hat ihn normal zu beerdigen und auch die Schwierigkeit hat, dass man keinen Gedenkort hat, wo man hin gehen kann, kein Grab in diesem Sinne.



domradio.de: Man kann sich auch nicht so ein einen Gedenkort schaffen?

Pater Langer: Es ist tatsächlich bei Schiffsunglücken üblich, das hat es ja immer gegeben, dass Menschen auf See geblieben sind, man kann das an vielen Küstenorten auch sehen,  dass es tatsächlich Gräber für die Verstorbenen gibt, die auf See geblieben sind. Sie sind natürlich leer, aber sie sind als reiner Gedenkort geschaffen.



domradio.de: In allen Fällen ist es auf jeden Fall eine ganz furchtbare Situation für die Familie, für die Angehörigen. Sie müssen mit solchen Situationen oft umgehen. Wie begleiten Sie die Trauernden in so einer schrecklichen Situation?

Pater Langer: Das Entscheidende für unsere Arbeit in der Notfallseelsorge ist, dass man die ganze Spannung in der Familie mit aushält, in so einer Situation, wo jemand vermisst wird. Das ist ein tagelanger, wochenlanger Kampf in der Familie. Ein gefühlsmäßiger Kampf, zwischen Hoffnung und Trauer, zwischen der Hoffnung, derjenige lebt doch noch und der Überzeugung, er ist wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Es ist ein ständiges Hin und Her, und das ist natürlich vom Gefühlsmäßigen her ein ständiges Auf und Ab. Auch von der Begleitung her ein schwieriger Prozess.  Aber wichtig ist, dass man bei der Familie bleibt und Kontakt hat, dass man regelmäßig entweder telefonisch oder persönlich im Gespräch bleibt und dieses Auf und Ab dann möglichst auch begleitet.



domradio.de: Wenn Sie erzählen, dass sie als Notfallseelsorger arbeiten, dann werden Sie wahrscheinlich oft Sätze hören, wie: "Das könnte ich nie! "  Wie schaffen Sie es selber, mit so vielen Unglückssituationen klarzukommen, die Sie ja wahrscheinlich in Ihrem Alltag erleben?

Pater Langer: Ich glaube, bei der Notfallseelsorge geht es darum, dass man sich speziell für diese Aufgabe zur Verfügung stellt, dass man auch weiß, worauf man sich einlässt. Es geht um Ausbildung, um Qualifikation für die Tätigkeit, die einem auch ermöglicht, den Dienst zu tun. Dann gehört für uns auch dazu: Die Begleitung als Notfallseelsorger, dadurch dass wir versuchen, auch im Team Austausch darüber zu haben, was wir erleben und was für Situationen wir begleiten oder was für Gespräche wir führen.  Eventuell auch fachliche Begleitung, also Prävention.  Und für mich persönlich ist die Basis der christliche Glauben. Wenn ich diesen Horizont nicht hätte, als glaubender und hoffender Christ, dass auch über den Tod hinaus, der Mensch noch bei Gott geborgen ist, dann könnte ich das auf Dauer nicht tun.



domradio.de: Und was ist es, was Sie motiviert, dass Sie sagen: "Ja, ich stelle mich zur Verfügung als Notfallseelsorger! "  ?

Pater Langer: Bei mir persönlich ist das eine ganz lange Geschichte, weil ich aus dem Rettungsdienst komme. Noch bevor ich Priester und Ordensmann geworden bin, war ich schon im Rettungsdienst aktiv, bei den Maltesern. Von daher habe ich auch diese Erfahrung gemacht, dass etwas passieren kann und dass Menschen in Notsituationen geraten können. Das war für mich eine Motivation, mich auch um diese Menschen zu kümmern.

Das Interview führte Susanne Becker-Huberti.



Hintergrund

Fünf Wochen nach dem tragischen Küstenabbruch an Rügens Kap Arkona ist am Dienstag am Strand der Steilküste die Leiche eines Mädchens gefunden worden. Der Bekleidung nach handle es sich eindeutig um das seit Weihnachten vermisste zehnjährige Mädchen aus Brandenburg, sagte Putgartens Bürgermeister Ernst Heinemann (Bündnis für Rügen) der Nachrichtenagentur dapd. Mitarbeiter des Fördervereins Kap Arkona hatten den Leichnam am Morgen während eines täglichen Kontrollgangs auf dem Strand entdeckt. Zu diesem Zeitpunkt habe schwerer Sturm geherrscht, sagte Heinemann. Es sei unklar, ob die Leiche des Kindes verschüttet und freigespült oder ob sie von den bis zu einen Meter hohen Wellen vom Meere aus an Land gespült worden sei. Die Angehörigen des Mädchens seien benachrichtigt worden, sagte Heinemann.



Endgültige Gewissheit über die Identität werde eine noch für Dienstag geplante Obduktion ergeben, sagte ein Polizeisprecher. Mit einem Ergebnis sei frühestens am späten Dienstagabend, vermutlich aber erst am Mittwoch zu rechnen. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft Stralsund spricht vieles dafür, dass es sich tatsächlich um die vermisste Katharina aus Brandenburg handle. "Wir brauchen aber einhundertprozentige Sicherheit", sagte Oberstaatsanwalt Ralf Lechte. Daher würden am Rechtsmedizinischen Institut in Greifswald Zahnstatus und DNA überprüft.

Am Zweiten Weihnachtsfeiertag war eine Familie aus Brandenburg bei einem Spaziergang unterhalb der 38 Meter hohen Steilküste von herabstürzenden Kreide- und Mergelmassen erfasst worden. Die Mutter und die 15-jährige Schwester der Vermissten konnten verletzt gerettet werden.



Trotz mehrtägiger Suche durch zeitweise über 150 Einsatzkräfte von Feuerwehren und Technischem Hilfswerk (THW) konnte das Mädchen nicht gefunden werden. Auch der Einsatz eines schweren Baggers brachte keinen Erfolg. Die Arbeiten waren daraufhin vor drei Wochen eingestellt worden. An einer Trauerfeier in Vitte und am Unglücksort hatten am 14. Januar mehr als 200 Gäste, unter ihnen der Vater des Mädchens, Abschied von der Vermissten genommen. Unterdessen läuft nach Angaben der Staatsanwaltschaft das allgemeines Vorermittlungsverfahren gegen die Gemeinde Putgarten weiter. Die Untersuchungen von Verdachtsmomenten auf eine Straftat seien noch nicht abgeschlossen, sagte Lechte. Gegen die Mutter des Kindes werde aber nicht ermittelt.