Vor einem Monat endete in Kairo eine Kopten-Demonstration blutig

"Die Kirchenführer tun zu wenig"

Am 9. Oktober kamen bei der Gewalt von Kairo 27 koptische Christen ums Leben, Dutzende wurden verletzt. Ein domradio.de-Interview mit Nadim K. Ammann, Leiter des Referats Hilfen für die Mission im Erzbistum Köln und Ägyptenkenner, über die aktuelle Situation, die Scharia und Shenouda III.

 (DR)

domradio.de: Vor wenigen Tagen sprach die Menschenrechtsorganisation "Egyptian Union for Human Rights" von 100.000 koptischen Christen, die das Land bereits seit dem Sturz des Regimes Mubarak Ägypten verlassen haben. Ist diese Zahl realistisch?

Ammann: Die Zahl 100.000 wird schon längere Zeit genannt. Aber ob es so viele oder nur 50.000 oder 80.000 sind - es sind zu viele. Denn es verlässt das Land, wer es sich leisten kann: die Ober- und Mittelschicht des Landes. Das wird über kurz oder lang auch die Wirtschaft zu spüren bekommen. Und das wiederum müsste auch die aktuelle Regierung aufschrecken. Grundsätzlich gilt: Die Großzahl der Christen kann sich eine Ausreise nicht leisten. Und Ausreise ist auch keine Lösung für die Probleme Land.



domradio.de: Sie haben nicht nur beruflich regelmäßig Kontakt zu Ägypten, auch Teile Ihrer Familie leben dort. Wie erleben sie die aktuelle Situation?

Ammann: Ähnlich wie wir im Wesentlichen über Medienberichte. In echter Gefahr waren sie noch nie. Aber natürlich sorgen sie sich. Gleichzeitig sind sie aber - wie die meisten Ägypter - stolz, dass seit dem Sturz Mubaraks vieles so gut läuft. Erstaunlich gut für die Regierungssituation seitdem.



domradio.de: In Deutschland ist - auch mit Blick auf Ägypten - immer häufiger die Rede von Christenverfolgung…

Ammann: …in Ägypten gibt es keine Christenverfolgung. Niemand kommt im Land wegen seines Glaubens ins Gefängnis. Sonntags sind die Kirchen rappelvoll. Die christliche ist eine lebendige und junge Kirche. Was richtig ist: Christen werden benachteiligt und diskriminiert; für sie ist es schwerer einen Job zu finden. Aber wer die entsprechende Bildung und Ausbildung mitbringt, schafft auch das.



domradio.de: Auch mit Blick auf Libyen und Tunesien ist immer wieder die Rede von der Scharia, dem religiösen Gesetz des Islam, die rechtliche Grundlage werden soll. Kommt dieses Modell auch für Ägypten in Frage?

Ammann: Die Scharia ist ein schwieriges Thema. Im Kontext Tunesiens empfinde ich es beispielsweise als nicht dramatisch, dass eine muslimisch Partei gewonnen hat. Warum nicht? Wenn sie das macht, was sie angekündigt hat, ist das auch nicht verkehrt. Die CDU ist nach dem Zweiten Weltkrieg auch mit einem religiös-konservativen Programm angetreten. Religiös-konservativ ist im Grunde nicht schlecht. Die Frage ist: Um was genau geht es bei der Scharia? Nicht gut wäre es, wenn bestimmte religiöse Vorschriften auch auf für Christen gelten würden, zum Beispiel die Verschleierung der Frauen. Das wäre schwierig.



domradio.de: Was wünschen Sie sich mit Blick auf die Situation in Ägypten?

Ammann: Ein großes Problem der christlich-orthodoxen Kirchen in Ägypten ist ihre enorme Zurückhaltung! Die Kirchenführung - auch der koptisch-orthodoxe Papst-Patriarch Shenouda III. - muss sich mehr für die  Rechte der Christen einsetzen. Nach Vorfällen wie dem vom 9. Oktober muss etwas gesagt werden. Öffentlich und laut. Das habe ich vermisst - aber auch von muslimischer Seite. Im Großen und Ganzen wird geschaut, das zu halten, was man hat. Dabei haben die christlichen Kirchen im Land einiges zu bieten. Aber insgesamt tun die Kirchenführer reichlich wenig. Sie igeln sich ein.



Das Gespräch führte Michael Borgers.



Hinweis: Zu Besuch bei domradio.de Menschen Kopten-Bischof Anba Damian.