Experte für den christlich-islamischen Dialog begrüßt Fortschritte bei Islam-Unterricht

"Dialog braucht eigene religiöse Identität"

Für NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann ist es der entscheidende Durchbruch: die Gemeinsame Erklärung des Koordinierungsrats der Muslime und des Landes NRW zur Einführung eines bekenntnisorientierten Islamunterrichts. Im Interview begrüßt auch Dr. Thomas Lemmen (Experte für den christlich-islamischen Dialog im Erzbistum Köln) die Entwicklung als "großen Erfolg".

 (DR)

domradio.de: NRWs Schulministerin Sylvia Löhrmann bezeichnete die gemeinsame Erklärung als großen Erfolg für die rund 320.000 muslimischen Schülerinnen und Schüler in NRW. Wie bewerten Sie die Einigung?

Lemmen: Es ist in der Tat ein großer Erfolg! Seit nahezu 30 Jahren wird darüber diskutiert, islamischen Religionsunterricht einzuführen, und ich glaube , dass man gestern tatsächlich einen großen Schritt weitergekommen ist, dieses Ziel in die Wirklichkeit umzusetzen.



domradio.de: Woran ist die Einführung denn bislang gescheitert?

Lemmen: Der Religionsunterricht ist ja eine Angelegenheit, die der Staat in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften organisiert, d.h. der Staat braucht einen Ansprechpartner auf Seiten der Glaubensgemeinschaft. Bislang hat man sich auf der Seite der Muslime schwer getan, einen solchen Ansprechpartner zu finden, was damit zu tun hat, dass es sich um eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes oder des Schulgesetzes handeln muss. Das Hauptproblem war bislang, dass man sich nicht darüber einig war , ob die islamischen Organisationen eine solche Form und Struktur haben.



domradio.de: Wie ist denn nun der aktuelle Stand der Dinge?

Lemmen: Man hat jetzt eine Lösung gefunden, indem man sagt, es wird ein Beirat gebildet aus den Mitgliedsorganisationen des Koordinierungsrates. Und dieser Beirat soll der Ansprechpartner des Staats und es Landes sein, um nun gemeinsam den Religionsunterricht als bekenntnisorientierten  Unterricht für die Muslime in diesem Land einzuführen. Man hat klar gesagt, dass es sich um eine Übergangslösung handelt, in der Erwartung, dass in einiger Zeit dann die Kooperationspartner auch rechtlich als Religionsgemeinschaften betrachtet werden können.



domradio.de: Aktuell wird schon an 133 Schulen in NRW Islam-Kunde angeboten. Wenn ab dem Schuljahr 2012/13 dann wirklich der erste bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht eingeführt wird, wie sollte der Unterricht dann Ihrer Meinung nach gestaltet sein?

Lemmen: Man hat natürlich mit dem Schulversuch gute Voraussetzungen geschaffen, da man ein Curriculum entwickelt und erprobt hat und damit jetzt auf der inhaltlichen Seite und der methodisch-didaktischen Seite in der Tat schon weiß, was dann Gegenstand dieses Unterrichts sein soll. Das ist eine gute Voraussetzung. Der Religionsunterricht soll nach dem Grundgesetz und nach dem Schulgesetz des Landes stattfinden, d.h. in gemeinsamer Verantwortung, in deutscher Sprache, unter deutscher Schulaufsicht und von Lehrkräften, die dazu eigens ausgebildet worden sind. Das sind die Rahmenbedingungen, die nun auch für andere Religionsgemeinschaften gelten, die davon Gebrauch machen. Das ist auch ein wichtiger Schritt hin zu einer Integration und Gleichstellung der Muslime mit anderen Religionsgemeinschaften im Land.



domradio.de: Wie würde sich die Einführung auf die Muslime in NRW auswirken?

Lemmen: 320.000 Schülerinnen und Schüler haben bisher nicht die Möglichkeit, einen Religionsunterricht besuchen zu können, sie haben zwar entweder Angebote in den Moscheegemeinden oder werden zu Hause unterrichtet. Aber das kann natürlich nicht einen schulischen Religionsunterricht ersetzen, der nun auch nationalitätenübergreifend erteilt wird. Es geht da nicht mehr nur um türkische oder marokkanische, sondern alle muslimische Schülerinnen und Schüler, die hier leben und zwar in deutscher Sprache. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Integration und kann auch für den Dialog hilfreich sein. Weil Dialog immer eine eigene religiöse Identität voraussetzt und dazu ist dieser Unterricht eine wichtige Voraussetzung.



domradio.de: Ist das auch ein bundesweiter Durchbruch? Glauben Sie, diese Einigung wird Folgen für die Muslime in ganz Deutschland haben?

Lemmen: Das liegt in der Hoheit der jeweiligen Länder. Jedes Land entscheidet da alleine und eigenständig, aber ich kann mir schon denken, dass dieses Modell einen Vorbildcharakter auch für andere Länder hat. Es greift ja eine Empfehlung der deutschen Islamkonferenz auf, eines Papiers von 2008, in dem die deutsche Islamkonferenz einen solchen Weg empfohlen hat als eine Übergangslösung. Ich kann mir gut vorstellen, dass andere diesem gutem Beispiel folgen werden.

Interview: Aurelia Plieschke