Bonner Schüler treffen polnische KZ-Überlebende

"Fragt uns, wir sind die Letzten"

Es gibt sie noch: die Zeitzeugen, die den Nazi-Terror überlebt haben. Acht von ihnen besuchten jetzt auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werkes das Erzbistum Köln. Die polnischen Bürger im Alter zwischen 70 und 85 Jahren trafen dabei auch mit Schülern zusammen, um über ihr Schicksal zu berichten und zu Toleranz und Versöhnung aufzurufen.

Autor/in:
Agathe Lukassek
 (DR)

Beim Stichwort Nationalsozialismus ist der Fall John Demjanjuk derzeit wohl am präsentesten. Wenn es sein Gesundheitszustand zulässt, wird der 89-jährige mutmaßliche Kriegsverbrecher bald in München vor Gericht gestellt. Es könnte der letzte NS-Prozess in Deutschland werden. Denn die meisten Täter von einst sind inzwischen gestorben. Und das gilt auch für die Opfer.

"Fragt uns, wir sind die Letzten..." - so ist das achttägige Zeitzeugenprojekt überschrieben. Im Bonner Tannenbusch-Gymnasium warten rund 45 Schüler der Klassen 10 a und b auf ein Treffen mit vier der Überlebenden. Als die Zeitzeugen eintreffen und vorgestellt werden, wird es allmählich ruhiger im Raum - als sie dann anfangen zu erzählen, kann man eine Stecknadel fallen hören. Die 71-jährige Alodia Witaszek-Napierala ist erkältet und liest mit leiser Stimme ihre Geschichte vor. Frei von ihrem Schicksal erzählen möchte sie nicht, auch die Sprache könne sie nicht mehr gut.

Als sie fünf Jahre alt war, wurde ihr Vater ermordet, weil er im polnischen Widerstand war, die Mutter kam ins Gefängnis. Weil die Nazis Alodia und ihre Schwester als "rassisch wertvoll" befanden, wurden sie im Kinderverwahrlager Litzmannstadt (Lodz) und später von Ordensschwestern zwangsgermanisiert. Sie erinnert sich noch an ihre guten Schulnoten und ihre "neue, deutsche Mutti". Zwei Jahre nach dem Krieg wird aus Alice wieder Alodia. Und ihre deutsche Pflegemutter erfährt, dass das vermeintliche Waisenmädchen eine Familie in Polen hat, zu der sie nun zurückkehrt.

Dann erzählt Maria Maka. Vom Hunger und Dreck. Sie kam als 14-jährige ins Internierungslager Potulice, musste in einer 80 Meter langen, nur 80 Zentimeter hohen "Hundebaracke" hausen. Ein Brot wurde auf sechs, manchmal auf zehn Personen verteilt. Ihre sechs- und achtjährigen Brüder wurden gezwungen, Beeren zu sammeln. Abends kontrollierten Aufseher die Zungen der Kinder, um zu prüfen, ob jemand von den Früchten gegessen hatte. Duschen durften sie nur alle zwei oder drei Monate. Trotzdem sagt die Frau aus Danzig am Ende: "Man kann mit Deutschen zusammenleben, manche haben uns geholfen. Ich sehe, dass ihr aus vielen Ländern seid: Pflegt eure Freundschaften, das ist so wichtig."

"Ich finde es wichtig, nicht nur über das Thema zu lesen"
Diese Botschaft kommt an im Gymnasium des Bonner Stadtteils mit hohem Migrantenanteil. Der 16-jährige Ilias Lakhloufi ist beeindruckt, "dass sie zu uns kommen und so etwas wie einen guten Rat dalassen". Für Mariam Wahabzada, deren Eltern aus Afghanistan stammen, ist es wichtig, mit Leuten aus anderen Nationen auszukommen. Die Situation von damals versucht sie, auf ihr eigenes Volk zu übertragen: "Wenn ich mir vorstellen würde, dass alle Afghanen so verfolgt werden würden..."

Berührt sind die Jugendlichen auch von den Schilderungen aus dem Ghetto in Lodz, von dem Ignacy Krasnokucki erzählt. Dort hatte er seine kranke Mutter in einen Strohsack eingenäht, damit sie bei Hauskontrollen nicht entdeckt und als Kranke "aussortiert" würde. Für die Zehntklässler ist schier unvorstellbar, wie die Frau diese Qualen ausgehalten hat. Und sie sind sichtlich betroffen, als Krasnokucki erzählt, wie die Mutter ein Jahr später in seinen Armen verhungert ist, während er nur überlebte, weil er jünger und stärker war.

Der letzte Gast kann kein Deutsch. Nur die Worte, mit denen er in den Konzentrationslagern Mauthausen und Gusen in Österreich beschimpft wurde, kommen ihm über die Lippen. Der Pole Eugeniusz Sliwinski war "politischer Häftling" und erzählt detailliert, wie er "desinfiziert" und "geimpft" wurde, wie er die ersten zwei Wochen im Lager im Januar 1943 in Unterwäsche verbringen musste, bevor er einen gestreiften Anzug erhielt. Übersetzt wird von einer polnischen Schülerin des Gymnasiums, Karolina Bocionek. Sie war im vergangenen Jahr selbst in Auschwitz. "Ich finde es wichtig, nicht nur über das Thema zu lesen", sagt sie mit fester Stimme.