Eine Jüdin erinnert sich an ihren Retter Joseph Höffner

Das Mädchen und der Kardinal

In diesen Tagen erinnert das Erzbistum Köln an seinen vor 20 Jahren verstorbenen Kardinal Joseph Höffner. Am Sonntag überträgt domradio das Gedenkpontifikalamt mit Erzbischof Joachim Kardinal Meisner. Höffner ist vielen Menschen in guter Erinnerung, eine ganz besondere Dankbarkeit aber empfindet Lisa Lehner: Die Jüdin wurde 1943 von ihm vor den Nazis gerettet. Viola van Melis traf die heute 72-jährige am Donnerstag in Köln.

Autor/in:
Viola van Melis
 (DR)

Ohne Kardinal Höffner würde Lisa Lehner wohl nicht mehr leben. "Er war wie ein Vater für mich", sagt die 72-jährige Jüdin ganz ohne Pathos. "In dieser angstvollen Zeit hatte er eine sehr beruhigende Wirkung auf mich", erinnert sich die Amerikanerin an ihren Sommer 1943 ganz allein in Kail an der Mosel. Der junge Pfarrer Joseph Höffner, später Kardinal von Köln, brachte das siebenjährige Mädchen, das damals noch Alice Esther Meyerowitz hieß, dort in einer vertrauenswürdigen Familie seiner Pfarrei unter. Seine Berliner Schwester Elisabeth hatte den Kontakt vermittelt. Unter dem Decknamen Christa Koch überlebte das Kind den Terror der Nazis.

Heute fällt es der Frau im attraktiven Anzug, der man ihr Alter nicht ansieht, sichtlich schwer, über diese Zeit zu sprechen. Sie wählt die Worte bedacht, wechselt von Deutsch zu Englisch und innerhalb eines Satzes wieder zurück. Stockend räumt sie ein: Sich für die Reise nach Köln und Kail zu entscheiden, die sie am vergangenen Wochenende schließlich angetreten hat, sei schwer gewesen. "Gemischte Gefühle" hätten sie beschlichen, als das Erzbistum sie vor einem Jahr einlud, an Höffners Wirkungsstätten zu kommen. "Doch wie hätte ich diese Ehre abschlagen können", sagt Lehner und schmunzelt bei dem Gedanken, dass sie mehr als 60 Jahre lang nicht wusste, dass ihr Retter Erzbischof geworden war.

Nach Kriegsende kehrte das Mädchen zu seinen Eltern nach Berlin zurück, die ebenfalls unter falscher Identität überlebt hatten.
"Ich war sicher, dass Höffner wegen seiner Ansichten die Nazi-Zeit nicht überlebt hat", so Lehner, die zwei Jahre danach mit den Eltern und ihrer zweijährigen Schwester nach Chicago auswanderte. Dort lebt sie noch heute und arbeitet in einem Kulturzentrum als Sekretärin. Ihre Kindheitsgeschichte war in Köln lange nur mündlich tradiert worden, berichtet der Direktor des Archivs der Erzdiözese, Ulrich Helbach. Sein Haus machte die deutschstämmige Jüdin erst ausfindig, als es 2006 eine Ausstellung zum 100. Geburtstag von Höffner vorbereitete.

Bitte um Reisepass nach Berlin

Die Forscher fanden ein Schreiben Höffners von 1945, in dem er die Militärregierung bittet, dem von ihm versteckten Kind einen Reisepass für Berlin zu besorgen. Was danach aus dem Mädchen wurde, erfuhr er nie. Ohnehin habe der 1987 verstorbene Erzbischof um seine Hilfen für Juden - für die das Land Israel ihn 2003 als "Gerechter unter den Völkern" auszeichnete - nie viel Aufhebens gemacht, so Helbach. "Doch er würde sich sicher freuen, dass Lisa Lehner nun in Köln ist", so der Archivleiter.
Und wäre die Amerikanerin nicht so eine feine Frau, bescheiden und zurückhaltend, würde sie wohl dasselbe sagen.

Wie gern die Jüdin den Geistlichen einmal wiedergesehen hätte, wenn die Zeiten nur unkomplizierter gewesen wären, ist vielen ihrer Worte anzumerken: "Er war ein Mensch voller Wärme, sehr nachdenklich. Er hat nicht viele Worte gemacht, aber sich um mich gekümmert." Gebete, Kniebeugen, Händefalten - das brachte er dem Mädchen bei, damit im Dorf nicht auffiel, dass sie jüdisch war.
Zur Tarnung ging sie später, als Höffner schon Pfarrer in Trier war und von ihr schmerzlich vermisst wurde, zur Taufe und zur Erstkommunion.

Die schwierige Trennung vom Judentum, die damit verbunden war, empfand eher die Mutter, die sie unter Lebensgefahr besucht hatte. Das Kind selbst nahm das Gegebene hin: "Der Glaube war mir wichtig, ich war auch innerlich beteiligt", so Lehner. Das ging so weit, dass sie sich schwor: "Wenn die Eltern nicht überleben, dann werde ich Nonne." Doch es kam anders und erst in den USA nahm die Überlebende ihre Identität als Jüdin wieder an. Den Kölner Dom hat sie Anfang dieser Woche dennoch gern gleich nach der Ankunft besucht: Am Grab des Kardinals erinnerte sie sich dankbar an ihren Retter Joseph Höffner - dem einzigen Menschen, dem sie als Siebenjährige an der Mosel vertrauen konnte.