Seelsorger Piva über Homosexualität und Kirche in Italien

"Homophobie ist in Italien ein Problem"

Pater Pino Piva widmet sich in Italien der Seelsorge mit homosexuellen Menschen. Außerdem bildet der Jesuit andere Seelsorger zu diesem Thema fort. Durch das "Nein" der Glaubenskongregation wird das Thema noch brisanter als zuvor.

Autor/in:
Roland Juchem
Flagge und das italienische Sprichwort "andra tutto bene" bedeutet "alles wird gut" / © Florin Deperin (shutterstock)
Flagge und das italienische Sprichwort "andra tutto bene" bedeutet "alles wird gut" / © Florin Deperin ( shutterstock )

KNA: Pater Piva, Sie sind in der Seelsorge mit homosexuellen Menschen engagiert und bieten entsprechende Fortbildungen an. Wie groß ist der Bedarf dafür in Italien?

Piva: Ich glaube nicht, dass sich in Italien die Notwendigkeit einer Ausbildung im Bereich der Seelsorge mit Homosexuellen von anderen europäischen Ländern unterscheidet.

KNA: Wer nimmt Ihre Angebote wahr?

Piva: Spirituelle Wegbegleiter und Seelsorger. Am ersten Modul unserer Schulung zur Seelsorge mit Homosexuellen - aufgrund der Pandemie leider nur online - nahmen fast 100 Personen teil; etwa 70 sind Priester, ansonsten Ordensleute und Laien. Viele Bischöfe wurden über den Kurs informiert und einige haben Vertreter geschickt.

KNA: Was sehen Sie dabei als vordringlichste Aufgabe?

Piva: Wir sprechen von Pastoral mit homosexuellen Menschen; wohl wissend, dass die Protagonisten dieser Seelsorge homosexuelle Menschen selber und ihre Familien sind. Unsere Anliegen sind: Erstens: Wir versuchen diesen Menschen zu helfen, sich von Gott vollständig geliebt und gewollt zu fühlen.

Zweitens: Wir helfen der christlichen Gemeinde, diese Schwestern und Brüder willkommen zu heißen und sie zu integrieren.

Drittens: Wir helfen homosexuellen Menschen, ihr Gewissen im persönlichen Dialog mit Gott und in den Lehren der Kirche im Hinblick auf eine persönliche Unterscheidung zu formen.

Viertens: Wir fördern eine verantwortungsvolle und kreative Präsenz homosexueller Gruppen und Personen in christlichen Gemeinschaften. Das alles ist nicht einfach; es sollte "normale Seelsorge" sein, ist es aber nicht.

KNA: Ist Homophobie ein Problem in Italien? In welchem Ausmaß und mit welchen Formen?

Piva: Sicherlich ist Homophobie in Italien ein Problem. Unsere homosexuellen Schwestern und Brüder können da aus erster Hand berichten. Aus kultureller Sicht besteht eine gewisse Ambivalenz: Einerseits eine alte Fähigkeit zur impliziten und wohlwollenden Integration des für uns Italiener typisch "Anderen"; andererseits eine ignorante, oberflächliche Phobie, solche Vielfalt gefährde grundlegende soziale Institutionen. Diese Angst wird manchmal politisch ausgenutzt. Die Kirche in Italien spiegelt diese Ambivalenz wider.

KNA: Wie fühlen sich Schwule und Lesben, die ihren katholischen Glauben leben wollen?

Piva: In Schwierigkeiten, wegen dieser ambivalenten Einstellungen. Im Allgemeinen werden Nähe und Verständnis von Priestern und anderen Seelsorgern begrüßt. Aber das zeigt sich nur in der Vertraulichkeit persönlicher Beziehung. Tatsächlich ist es so, als gäbe es in unseren Gemeinden keine homosexuellen Menschen. Dies veranlasst homosexuelle Christen implizit, sich zu verstecken. Es kommt vor, dass dieselben Priester, die privat Homosexuelle willkommen heißen, öffentlich die Gruppe Homosexueller beschuldigen, Feinde der Kirche zu sein.

KNA: Werden Sie und andere Seelsorger mit Bitten um eine Segnung konfrontiert?

Piva: Hier in Italien wissen die Menschen, die wir begleiten, bis auf wenige Ausnahmen, dass wir Priester ihre Verbindung nicht segnen können. Aus dem Grund vermeiden sie es, uns zu fragen. Wenn überhaupt, segnen wir die Menschen individuell. Man kann sagen: Bisher war dies ein "importiertes" Thema aus anderen Ländern. Mit der neuesten Antwort der Glaubenskongregation ist das Problem jedoch auch in Italien explodiert.

KNA: Sind Sie enttäuscht von der Entscheidung der Glaubenskongregation? Wie bewerten Sie diese?

Piva: Homosexuelle Christen, die wir begleiten, ihre Eltern, sind sehr, sehr enttäuscht. Sie erfahren dies als Ablehnung ihrer Zuneigung zur Kirche, ihres Engagements für Treue in Beziehungen. Das hat viel Schmerz verursacht. Ich meinerseits habe in dieser offiziellen Position der Kirche nichts Neues gefunden, und für die pastorale Praxis hier in Italien ändert sich nichts.

In der Tat wird die Reflexion über dieses Thema jetzt immer aktueller und wir werden gezwungen sein, uns einer größeren Nachfrage zu stellen. Daher werden wir sehen, was zu tun ist, mit unseren Bischöfen sprechen. Andererseits hat diese jüngste Antwort keine große Autorität: Die übliche Formulierung, der Papst habe den Text "approbiert" wurde ersetzt durch: der Papst "wurde informiert". Die Absicht, das Dokument als weniger bedeutsam zu kennzeichnen, ist klar.

KNA: Haben sich Kirchenvertreter in Italien schon einmal für Segnungen homosexueller Partnerschaften ausgesprochen?

Piva: Noch nie. Sagen wir mal, dass es bisher keinen Anlass gab. Aber jetzt, nach dem Responsum, ändert sich die Situation auch in Italien.

KNA: Wissen Sie, ob es solche Segnungen in der Praxis gibt?

Piva: Bis jetzt nein, ich wüsste nicht, abgesehen von sehr sporadischen und sehr diskreten Fällen. Aber wie ich bereits sagte, wird sich die Situation nach dem Responsum zwangsläufig ändern.

KNA: In welcher Weise müsste sich die katholische Lehre zu Ehe, Familie und vor allem Sexualität weiterentwickeln?

Piva: Für mich ist klar: Die Lehre über die "Zwecke" sexueller Liebe - die Liebe der Ehepartner und die Fruchtbarkeit ihrer Beziehung - muss vertieft und besser begründet werden. Welches "Anderssein" braucht wahre Liebe? Nur anatomisch-physiologische oder eher eine "persönliche Andersartigkeit", die alle anderen Dimensionen der Person miteinbezieht? Was meinen wir wirklich mit "Fruchtbarkeit" oder "Generativität"? Wahre eheliche Liebe gibt man sich nur in einer treuen und stabilen Liebesbeziehung. Muss es dafür notwendigerweise ein "Sakrament" sein, wie es die Kirche heute für die Ehe versteht? Fragen, über die sich viele Theologinnen und Theologen mit großem Engagement Gedanken machen.


Quelle:
KNA