Warum sich die katholische Kirche mit der "Pille" so schwer tut

"Aus Sorge für den ganzen Menschen"

Ganze 60 Jahre ist die "Antibabypille" nun alt. Aber warum tut sich die katholische Kirche seitdem mit der "Pille" so schwer? Moraltheologe Peter Schallenberg versucht sich an der Aufklärung und blickt dabei in die Kirchengeschichte zurück.

"Antibabypillen" in einer Handtasche / © matka_Wariatka (shutterstock)
"Antibabypillen" in einer Handtasche / © matka_Wariatka ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Margot Käßmann bezeichnete die "Pille" 2010 auf dem Ökumenischen Kirchentag in München als "Geschenk Gottes". Was halten Sie von dieser Bezeichnung?

Prof. Dr. Peter Schallenberg (Moraltheologe, Theologische Fakultät Paderborn): Das halte ich, für milde gesagt, relativ undifferenziert. Wir wissen heute über die schweren medizinischen Nebenwirkungen und die Folgen einer sehr langen Einnahme der "Pille". Außerdem muss man auch verschiedene Präparate, die sich unter diesem Gesamtetikett "Pille" verbergen, unterscheiden.

Ganz abgesehen davon hat die katholische Kirche immer die Auffassung vertreten, dass eine künstliche Empfängnisverhütung, die sehr früh und dauerhaft passiert, nicht bereichernd ist, um ein Eheleben zu befördern und eine gegenseitige Atmosphäre des Vertrauens und des Zugehens aufeinander hervorzurufen.

DOMRADIO.DE: Vor allem den Frauen brachte die Einführung der "Pille" mehr Selbstbestimmung, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Warum tut sich die katholische Sexualmoral mit dieser Selbstbestimmung so schwer?

Schallenberg: Mit der Selbstbestimmung hat die Kirche eigentlich kein Problem. Wenn der Akzent darauf gelegt würde, dass Mann und Frau zusammen über eine richtige Familienplanung entscheiden - gegen die die Kirche übrigens gar nichts hat - und eine verantwortete Elternschaft, dann wäre das ein richtiger Akzent. Und wenn die Pille einfach nur ohne weitere Nebenwirkungen dazu dienen würde, die Frau zu einer gleichberechtigten Partnerin in einer Ehe zu machen, dann wäre nichts dagegen zu sagen.

Die Kirche ist ja nicht dafür eingetreten, dass die Frau ein ideologisches Werkzeug der Fortpflanzung ist oder schon gar ihrem Mann in jeder Hinsicht ständig zur Verfügung stehen muss. Vielmehr tritt die Kirche für ein gleichberechtigtes Miteinander von Mann und Frau in der Ehe ein. Ebenso setzt sie sich für ein liebendes Zugehen aufeinander und eine verantworteten Elternschaft ein. Aber sie sagt, dass die künstliche Empfängnisverhütung auf Dauer kein richtiger Weg ist, wenn man dies in einer technischen Weise - mithilfe dieser künstlichen Empfängnisverhütung und der Pillenpräparate - tut.

DOMRADIO.DE: Papst Paul VI. hat in seiner Enzyklika "Humanae vitae" jegliche künstliche Form von Empfängnisverhütung als verwerflich bezeichnet. Also ging es dabei nicht nur um die "Pille", sondern auch um das Kondom. Warum ist der Geschlechtsakt nach dieser Vorstellung so stark an die Zeugung von Kindern gekoppelt?

Schallenberg: Eigentlich ist der Geschlechtsakt durch die Natur an die Zeugung von Kindern gekoppelt. Papst Paul VI. hat vor 60 Jahren dem Minderheitsvotum der Studienkommission Folge geleistet. Diese Minderheit hat erklärt, dass es besser für ein gutes, gedeihliches, partnerschaftliches Zusammenleben in der Ehe wäre, wenn die Verantwortung für Fortpflanzung nicht einfach in einen technischen Bereich wegdelegiert wird, sondern wenn es Thema des ständigen Gespräches zwischen den Eheleuten ist. Dazu gibt es ja heute im Rahmen von natürlicher Familienplanung auch verschiedene, sehr gute Ansätze.

Die Idee war ebenfalls, dass beide Eheleute, Mann und Frau, die Aufgabe haben, darüber nachzudenken. Der Mann soll also nicht einfach sagen "nimm die Pille" und dann ist gut. Oder der Mann sollte nicht einfach das Kondom nehmen und dann ist gut. Vielmehr soll, mit dem Verweis auf die natürlichen empfängnisbereiten Tage, ein Gespräch der Eheleute ermöglicht werden und so eine ständige gemeinsame Sorge vorhanden sein.

Im Grunde geht es nicht um einen Biologismus, sondern die Natur dient als Eingangstor, um eine Verantwortung für Familienplanung und Elternschaft zu ermöglichen.

DOMRADIO.DE: Nun wird die "Pille" nicht ausschließlich zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften verschrieben. Bei manchen Frauen hilft sie auch gegen Beschwerden während der Regelblutung. Ist das aus Ihrer Sicht so eine Art Schlupfloch, gegen das dann die kirchliche Lehre nicht mehr argumentieren kann?

Schallenberg: Es gibt in der Medizin Mittel, die einen Nebenzweck haben. Wenn der ursprüngliche Zweck aus verschiedenen Gründen, wie in diesem Falle bei der "Pille", abgelehnt wurde, könnte man trotzdem darüber nachdenken, ob der Nebenzweck gerechtfertigt ist. So könnte man in diesem Falle auch sagen: Wenn die "Pille" aufgrund einer medizinischen Indikation notwendig wäre, um ein gutes gesundheitliches Ziel zu erreichen, was nichts mit der technischen Empfängnisverhütung zu tun hat, wäre die Beurteilung dieses Medikamentes möglicherweise eine andere. Da müsste man noch mal die Nebenwirkungen unter verschiedenen Aspekten hinzunehmen. Dann könnte man zu einer anderen Beurteilung kommen.

Grundsätzlich liegt die Gutheit einer Handlung nicht in dem Instrument, was ich benutze, sondern in der Intention des Handelnden: Ein Messer ist ein Messer, ein Medikament ist ein Medikament. Das Messer lässt sich zu einem guten Zweck verwenden, indem man damit etwas schneidet. Zu einem schlechten Zweck kann man damit auch andere Menschen verletzen. Und so verhält sich das auch bei einem Medikament.

Der wesentliche Punkt läge somit in der Intention: Mit welcher Intention wird dieses Medikament, dieses Pillenpräparat genommen? Es bleibt die Frage: Was sind die Nebenwirkungen dieses Präparats?

DOMRADIO.DE: Ich beziehe mich noch einmal auf "Humanae vitae". Damals wie heute waren viele Katholiken damit nicht einverstanden. Warum überlässt die katholische Sexualmoral solche Dinge nicht der persönlichen Gewissensentscheidung, wie es 1968 die deutschen Bischöfe in ihrer "Königsteiner Erklärung" vorgeschlagen hatten?

Schallenberg: Weil die katholische Kirche sagt, der Mensch ist als leibliches und geistiges Wesen Abbild Gottes. Deswegen kommt es nicht nur darauf an, dass die Kirche ihn dazu anleitet, gut zu beten, in eine gute Beziehung zu Gott und in eine grundsätzlich gute Beziehung zum Mitmenschen zu treten. Die Kirche hat vielmehr die Sorge für den ganzen Menschen. Das heißt, sie trägt auch für seine leiblichen Vorzüge und für seine leiblichen Handlungen Sorge. Und damit gerät natürlich der ganze Bereich der Sexualität mit in den Blick.

Es ist ganz selbstverständlich, dass der Bereich der Sexualität auch der Sorge der Kirche anvertraut ist, so wie der ganze Mensch ihr anvertraut ist und dass sie darüber Aussagen macht. Je konkreter diese Aussagen natürlich sind, sowohl im Bereich der Medizin, wie auch im Bereich der Sexualität, desto schwieriger wird es manchmal. Die Kirche ist auf sehr konkrete Aussagen, die sich auf naturwissenschaftliche, medizinische Fakten beziehen, angewiesen. Sie ist auch auf entsprechendes Wissen angewiesen.

Im Allgemeinen kann man sagen: Du sollst nicht die Ehe brechen. Aber um zu regeln, wie das konkret ein Eheleben betrifft, hat Paul VI. die Kommission eingesetzt. Er hatte den Anspruch, die Gewissensfreiheit des Menschen nicht einzuschränken, aber das Gewissen zu bilden, zu lehren und anzuleiten. Die deutschen Bischöfe haben sich in der "Königsteiner Erklärung" dafür entschieden, ähnlich wie die österreichischen Bischöfe in der "Mariatrost Erklärung", den Verweis auf das Gewissen noch einmal stark zu machen. Das ist kein Widerspruch zu "Humanae vitae", aber eine gewisse Milderung, wenn man so will.

Im Übrigen kann man vielleicht noch anfügen, dass das Thema von "Humanae vitae", der Enzyklika von Paul VI., nicht nur einfach das Verbot der "Pille" gewesen ist, sondern, dass es eine Enzyklika über das Eheleben ist, die in einer Tradition der Kirche steht. Pius XI. hat schon 1931 eine Eheenzyklika verabschiedet. Und darum geht es: um die Ehe und das Sakrament der Ehe als Schule der Heiligkeit, als Schule der gegenseitigen Liebe und Fürsorge.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Prof. Peter Schallenberg / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Peter Schallenberg / © Harald Oppitz ( KNA )

Ehepaar betet zusammen (shutterstock)
Quelle:
DR