Russlands Regionen bremsen Gesetz gegen häusliche Gewalt

Jede fünfte Frau wird vom Partner misshandelt

Gewalt in der Partneschaft ist ein großes Problem in Russland. Meist sind Frauen die Opfer. Doch bisher schützt sie kein Gesetz. Menschenrechtler stoßen auf tiefsitzenden Widerstand - auch in den Reihen der Kirche.

Autor/in:
Von Irina Chevtaeva
Glückliches Familienleben? Zusammen Eis essen in Moskau / © fotocookie.com (shutterstock)
Glückliches Familienleben? Zusammen Eis essen in Moskau / © fotocookie.com ( shutterstock )

"Falls Sie getötet werden, kommen wir auf jeden Fall, um die Leiche zu protokollieren. Machen Sie sich keine Sorgen." Mehr hatte die ehemalige leitende Bezirkspolizistin Natalia Bashkatowa nicht anzubieten, als Jana Savchuk aus der Stadt Orjol rund 350 Kilometer von Moskau in Todesangst die Ordnungsmacht um Hilfe bat. Ihr Partner Andrej Bochkow hatte sie bedroht. Eine halbe Stunde später tötete er Jana. Bochkow wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt, Bashkatowa - zu zwei Jahren. Seitdem steht das Zitat in Russland sinnbildlich für den gleichgültigen Umgang der Behörden mit Opfern häuslicher Gewalt.

Kein Schutz vor häuslicher Gewalt

Bis heute gibt es in Russland kein Gesetz, das Menschen vor häuslicher Gewalt schützt. Eine Expertengruppe erarbeitete dazu erst im vergangenen Jahr einen umfassenden Gesetzentwurf. Dieser definiert häusliche Gewalt, berücksichtigt körperliche, wirtschaftliche, psychische und sexuelle Gewalt und verbietet dem Täter, sich dem Opfer zu nähern.

Der Föderationsrat veröffentlichte daraufhin im Dezember einen eigenen Gesetzesentwurf in einer gekürzten Fassung. In dieser Version besteht das Ziel nicht vornehmlich darin, das Opfer vor dem Angreifer zu schützen, sondern "die Familie zu unterstützen und zu bewahren". Der zahnlose Entwurf stellte weder die Befürworter noch die Gegner der Gesetzesvorlage zufrieden. Derzeit wird die Vorlage auf regionaler Ebene diskutiert. Mehrere lokale Gesellschaftskammern lehnen es ab.

Gesetzentwurf stark abgeschwächt

"Es ist beängstigend, dass man in mehreren Regionen gegen ein wirksames Gesetz ist. Die Opfer sind in Russland in keiner Weise geschützt", sagt die Co-Autorin des ursprünglichen Gesetzesentwurfs und Frauenrechtsaktivistin Aljona Popowa. Sie bezeichnet die Version des Föderationsrats als "Stummel" des Entwurfs der Expertengruppe, sieht aber derzeit keine Chance, dass der Text der Staatsduma vorgelegt wird.

Jeder Tag des Zögerns bedeute aber neue Opfer, so Popowa. Mindestens ein Fünftel aller russischen Frauen hat schon einmal körperliche Gewalt durch den Partner erlebt. Das zeigen Umfragen. Vier von fünf Frauen in Russland, die zwischen 2016 und 2018 wegen Mordes verurteilt wurden, gaben Notwehr gegen häusliche Gewalt als Motiv an.

Religions- und Elternorganisationen gegen Petition

Derweil haben mehr als 900.000 Menschen eine Petition zur Verabschiedung des Gesetzes gegen häusliche Gewalt unterzeichnet. Popowa hofft, dass bald die Million erreicht wird. Aber rund 80 Religions- und Elternorganisationen sprechen sich gegen die Petition aus. Sie befürchten, dass das Gesetz zu übermäßigen staatlichen Eingriffen in die Familienangelegenheiten führt. Die orthodoxe Kirche kritisiert das Vorhaben als "gefährlich" und behauptet, es sei "inkompatibel mit Russlands spirituellen und moralischen Werten".

Natürlich könne kein normaler Mensch häusliche Gewalt unterstützen, betonte kürzlich der Sprecher von Patriarch Kyrill I., Wladimir Legojda. Doch die Situationen, in denen, Gott bewahre, schon etwas geschehen sei, regele in Russland bereits das Verwaltungs- und Strafrecht, so Legojda. Zwar sei es ein "edles Ziel", Gewalt in der Familie zu verhindern. "Aber der Gesetzentwurf wirft viele Fragen auf, ob es überhaupt möglich ist, dieses Ziel mit den vorgeschlagenen Mitteln zu erreichen", so der Kirchensprecher.

Gesetz dringend notwendig

Nachdem sich Tatjana Merzlyakova, Mitglied des Menschenrechtsrats bei Präsident Wladimir Putin, die Argumente der Autorinnen des Gesetzentwurfs und die der regionalen Gesellschaftskammern angehört hatte, bemerkte sie: "Es sieht so aus, als ob die Menschen in zwei verschiedenen Staaten wohnen." Nun sei eine Pause im Gesetzgebungsverfahren notwendig, um sich gegenseitig zuzuhören, sagte Merzlyakova der KNA. "Man braucht das Gesetz und wir werden es verabschieden", betonte sie.

Laut einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts WZIOM vom Dezember halten 70 Prozent der Russen ein Gesetz gegen häusliche Gewalt für notwendig. Bei Frauen liegt der Anteil sogar bei 80 Prozent, bei Männern sind es 57 Prozent. Für inakzeptabel halten häusliche Gewalt 94 Prozent der Frauen und 85 Prozent der Männer. Dennoch: Mehr als 40 Versuche, ein solches Gesetz ins Parlament einzubringen, sind in den vergangenen zehn Jahren gescheitert.


Quelle:
KNA
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