Forscher sehen bei Eheschließungen in USA ökonomische Kluft

Heiraten ein Privileg der Mittel- und Oberschicht?

Arme in Amerika heiraten seltener, unter Einkommensstarken schließt mehr als jeder zweite den Bund fürs Leben. Forscher sehen bei der Entwicklung der Eheschließungen eine ökonomische und kulturelle Kluft.

Autor/in:
Thomas Spang
 (DR)

Eigentlich hat Marc Biddiscombe (35) nichts dagegen, seine langjährige Partnerin zu heiraten. Im Gegenteil, er wünscht sich, mit der Mutter seines Sohnes den Bund fürs Leben einzugehen.

Doch wie viele andere US-Amerikaner glaubt er, sich das "Ja-Wort" nicht leisten zu können. Die Familie des Bauarbeiters lebt in Seattle von Lohntüte zu Lohntüte. Nicht so, wie er oder seine Partnerin sich das vorgestellt haben.

Luxus der Privilegierten?

Laut einer Untersuchung des Pew Research Center suchen 78 Prozent der unverheirateten Frauen in den USA einen Ehemann mit regelmäßigem Einkommen. Es bestehe eine direkte Verbindung zwischen einem guten Einkommen und einer hohen Heiratsquote, sagt Kim Parker, Leiterin für soziale Trends bei PEW. Der Befund ist eindeutig: Stabile wirtschaftliche Verhältnisse fördern den Bund fürs Leben.

Hier kommt die Ausbildung ins Spiel. Der Soziologe Andrew Cherlin von der Johns Hopkins University spricht von einer Klassenbarriere.

Heiraten sei ein Luxus der Privilegierten. Das zeigen auch Studien aus der Wirtschaft. Der Abbau der Arbeitsplätze zwischen 1990 und 2014 habe Männer, die schlechtere Bezahlung oder Jobverlust in Kauf nehmen mussten, vom Traualtar ferngehalten, heißt es.

Noch in den 1970er Jahren war die überwiegende Mehrheit der Amerikaner zwischen 18 und 55 verheiratet. Vor allem gab es keine Unterschiede entlang der Einkommensskala. Das hat sich seit den 1990er Jahren verändert. Zwar wurde das Eheversprechen noch ähnlich häufig ausgesprochen, doch nicht mehr von allen gesellschaftlichen, beziehungsweise Einkommensschichten. Zwei Drittel der Mittelschicht gaben sich das Ja-Wort, aber nur die Hälfte der Armen.

2015 war etwa ein Viertel der Unterschicht verheiratet, aber immer noch 56 Prozent der Mittel- und Oberschicht. Was nicht heißt, dass die ärmeren US-Amerikaner überwiegend als Singles leben. Sie wählen aber häufiger den informellen Weg des Zusammenlebens. Gutverdiener und Hochqualifizierte tun dies nur zu etwa fünf Prozent. Auch umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Scheidungsraten sind vor allem bei wirtschaftlich erfolglosen und wenig qualifizierten US-Amerikanern hoch. In Umfragen geben die Besserverdiener demgegenüber regelmäßig an, "glücklich verheiratet" zu sein. Der Ehering gilt als Statussymbol.

Zunahme der Alterseinsamkeit

Auch andere Faktoren spielen beim Rückgang der Eheschließungen in ärmeren Verhältnissen eine Rolle, etwa die sexuelle Revolution der 1960er Jahre oder ein wachsender Individualismus innerhalb der Gesellschaft. Hinzu kommt der Verlust der Autorität von Religion und Kirche.

Mit sinkenden Eheschließungen geht eine Zunahme der Alterseinsamkeit einher. Psychologen warnen vor schwerwiegenden Folgen. Laut einer Studie der Brigham-Young-University in Utah, einer Mormonen-Hochschule, führt soziale Isolierung eher zum frühen Tod als Fettleibigkeit. Arme seien davon stärker betroffen als Wohlhabende.

Sozialwissenschaftler haben einen Rat an die jüngere Generation: Erst den höchstmöglichen Bildungsabschluss anstreben, dann den Job sichern. Anschließend könne über Hochzeit und Kinder nachgedacht werden. Wer sein Leben so angehe, lande viel seltener in Armut, heißt es.

Mark Biddiscombe hatte genau das vor. Doch seine Biografie verlief anders. Nach der Highschool ließ er sich von einem damals finanziell attraktiven Jobangebot ködern. Das College musste warten. Dann meldete sich Nachwuchs an. Dem freudigen Ereignis folgte ein Schicksalsschlag. Im Herzen des kleinen Sohnes entdeckten Kinderärzte ein Loch. Teure Operationen waren nötig. "Wir schaffen das", so Biddiscombe, "aber wir haben kein Sicherheitsnetz". Ein Schicksal, das er mit immer mehr US-Amerikanern teilt.


Quelle:
KNA