Soziologe Bien: Goldenes Zeitalter für Familien

"Die Familie wird hervorragend gelebt"

Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist besser als früher, weil die Generationen mehr miteinander reden. Zu diesem Schluss kommt der Soziologe Walter Bien im domradio.de-Gespräch. Das Familienleben in Deutschland sei ausgesprochen gut.

Das Familienleben wird in Deutschland geschätzt (KNA)
Das Familienleben wird in Deutschland geschätzt / ( KNA )

domradio.de: Familie in der Alltags-Stressfalle - das ist ein beliebtes Bild in den Medien. Warum sprechen Sie stattdessen von einem goldenen Zeitalter?  

Dr. Walter Bien (Deutsches Jugendinstitut): Es sind zwei Gründe. Zum einen ist die Familie in allen gesellschaftlichen Bereichen in ihrem Wert anerkannt worden. Das heißt in der Politik ist klar, dass die Familie eine Bedeutung hat, und auch die Wirtschaft hat das erkannt.

Aber viel wichtiger ist, dass sich innerhalb der Familien die Verhältnisse so verändert haben, dass die Leute Familie sehr hoch schätzen. Viele glauben zum Beispiel, dass es um die Familie im Allgemeinen nicht gut stehe. Wenn sie sich aber auf ihre eigene Familie beziehen, sagen sie: In meiner Familie ist alles in Ordnung. Das heißt, das Bild der Familie ist nicht ganz so gut, aber die Familie wird in Deutschland hervorragend gelebt.

domradio.de: Woher kommt das gute Verhältnis zwischen Eltern und Kindern?

Bien: Es hat sich sehr viel verändert. Es gibt zum Beispiel mehr Platz in den Wohnungen, das heißt, man kann sich aus dem Weg gehen.  

Die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern hat sich auch verändert. Das heißt, Eltern und Kinder reden miteinander und schätzen sich gegenseitig. Früher wurde viel geprügelt statt Argumente ausgetauscht - das kommt heute sehr, sehr selten vor. Eltern nehmen Rücksicht auf ihre Kinder, reden mit ihnen. Die Kinder sehen das und lieben ihre Eltern, wie wir das bisher in der Forschung noch nicht gesehen haben.

domradio.de: Das Familienbild ist ja inzwischen sehr bunt, Stichwort Patchwork-Familie und Alleinerziehende. Sie sagen aber, dass das am meisten gelebte Modell immer noch die klassische Familie ist?

Bien: Die klassische Familie wird angestrebt. Es gibt eine Umfrage, bei der 66 Prozent der Bevölkerung angaben, an die lebenslange Liebe zu glauben. Nur 20 Prozent glauben nicht daran. Die Sehnsucht nach dem klassischen Familienmodell ist sehr hoch. Trotzdem werden die Scheidungszahlen noch weiter zunehmen, weil die Ansprüche, die man an sich und den anderen hat, so hoch sind, dass es schwerfällt, die über ein ganzes Leben zu verwirklichen.

domradio.de: Familien erleben ihren Alltag sehr oft als Stress. Wie meinen Sie, kann man die Familien besser fördern?

Bien: Familienleben ist anstrengend, Familienleben führt zu Stress, zu Familienleben gehört auch Streit. Wenn man in die Umfragen schaut, sieht man, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf das größte Problem ist. Wenn dort etwas verbessert würde, würde es den Familien besser gehen. 

Ein weiteres Problem ist die Unterstützung bei der Pflege von Angehörigen. Mehr Unterstützung gibt es dagegen inzwischen bei der Erziehung von Kindern.

domradio.de: Auch die Ehe soll gefördert werden, sagen Sie. Wie soll das funktionieren? Dass ein Paar zusammenbleibt und eine Familie gründet, kann ja von außen schlecht mitgestaltet werden, oder?

Bien: Das eine ist, dass die Menschen lange mit einem Partner zusammenleben wollen. Das ist der Wunsch der Menschen. Das zweite ist, dass Ehe nicht nur bedeutet, dass man Kinder großzieht. Zur Ehe gehört auch Solidarität, die bis ins Alter geht. Die Ehen dauern heute allerdings sehr viel länger als es früher der Fall war. Um die Jahrhundertwende hat die Ehe 18 Jahre gedauert und ist dann durch den Tod getrennt worden. Heute gibt es Goldene Hochzeiten schon sehr häufig.

Was man tun kann, ist den Menschen zu helfen, nicht zu große Ansprüche wechselseitig zu entwickeln und insbesondere nicht zu früh die Flinte ins Korn zu werfen. Ich denke, wenn ein Problem kommt und man würde mal wirklich das Gute und das Schlechte gegeneinander aufrechnen - das passiert aber oft nicht, man sieht in dem Moment nur das Schlechte - dann würden sehr viele Paare länger zusammenbleiben.

 

Das Interview führte Mathias Peter.

 


Quelle:
DR