Debatte um katholische Sexualmoral dauert an

Lehrmeinung und Lebenswirklichkeit

Wie hält es die Kirche mit dem Sex? Kaum eine Frage bewegt katholische Gemüter in diesen Tagen mehr. Nun äußerten sich zu diesem Thema der Trierer Bischof Ackermann und der Freiburger Moraltheologe Schockenhoff.

Sex ohne Ehering: Bislang eine schwere Sünde / © Artem Furman
Sex ohne Ehering: Bislang eine schwere Sünde / © Artem Furman

Der katholische Trierer Bischof Stephan Ackermann hat sich für deutliche Veränderungen in der katholischen Morallehre ausgesprochen. Die Kirche müsse Gewissensentscheidungen der Menschen respektieren, forderte er in einem Gespräch mit der "Allgemeinen Zeitung" in Mainz (Donnerstagsausgabe). So sei es nicht mehr zeitgemäß, die erneute Heirat geschiedener Eheleute als dauernde Todsünde aufzufassen. Ackermanns Äußerungen stehen im Zusammenhang mit einer vom Vatikan in Auftrag gegebenen Umfrage zur Sexualethik. Deren Ergebnisse hatten die große Kluft zwischen offizieller Lehre und Lebenswirklichkeit der deutschen Katholiken offenbart.

Auch die offizielle Haltung zu Verhütungsmitteln sei für die Gläubigen nicht mehr nachvollziehbar, sagte Ackermann. Die Kirche sollte auch nicht mehr jede Art von vorehelichem Sex als Sünde werten. "Wir können die katholische Lehre nicht völlig verändern, aber Kriterien erarbeiten, anhand derer wir sagen: In diesem und diesem konkreten Fall ist es verantwortbar", zitiert die Zeitung den Bischof. "Es geht nicht an, dass es nur das Ideal auf der einen und die Verurteilung auf der anderen Seite gibt."

Verantwortungsbewusst gelebte Homosexualität dürfe von der Kirche nicht als widernatürlich eingestuft werden, sagte der Bischof. Eine Segnung homosexueller Paare wie in der evangelischen Kirche schloss Ackermann zugleich aus. Die katholische Kirche halte an der Einzigartigkeit der Ehe zwischen Mann und Frau fest.

Der Vatikan hatte im Herbst 2013 einen Fragebogen zu Ehe, Familie und Sexualmoral erstellt, um eine außerordentliche Bischofssynode zum Thema Familie in Rom vorzubereiten. Den in den deutschen Bistümern gesammelten Rückmeldungen zufolge halten selbst die meisten gläubigen Katholiken die Lehrmeinung der Kirche für lebensfern und rückschrittlich.

Schockenhoff: Familien-Umfrage bestätigt eigene Erfahrungen

Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff hält die Auswertung der Vatikan-Umfrage zu Familie und Sexualität für gelungen. "Meist sind kirchliche Stellungnahmen in einem Ton gehalten, der die Realität nicht zur Kenntnis nimmt und die deshalb oft gar nicht wahrgenommen werden", sagte Schockenhoff am Donnerstag dem Internetportal katholisch.de in Bonn. "Das kann man von dieser Zusammenstellung nicht sagen."

Das Ergebnis selbst habe ihn nicht überrascht, so Schockenhoff weiter. Es entspreche dem Bild, das Umfragen diverser Institute immer wieder gezeichnet hätten. "Außerdem deckt es sich auch voll mit meinen persönlichen Erfahrungen, die ich als Priester in der Pfarrei mache." Eigens ging Schockenhoff auf die Haltung der Katholiken zur Unauflöslichkeit der Ehe ein. Die Antworten hätten gezeigt, "dass unter Katholiken eine Hochschätzung der Ehe noch weit verbreitet ist". Im Falle eines Scheiterns gebe es aber das Interesse an einem barmherzigeren Umgang mit den Betroffenen. Das sähen "zum Glück" auch immer mehr Bischöfe so.

"Eine zivile Zweitehe kann und soll der ersten, sakramentalen Ehe, die ein Abbild der Liebe Gottes zu den Menschen ist, nicht gleichgestellt werden", betonte Schockenhoff. "Man kann sie aber akzeptieren und tolerieren, da dort häufig die moralischen Werte gepflegt werden, die auch nach christlicher Auffassung das Wesen einer Ehe ausmachen; so wie zum Beispiel Treue oder Verantwortung für Kinder."

Die Kirche stehe nun vor der Aufgabe, Konsequenzen zu ziehen, sagte der Theologe. Das Besondere an der Umfrage sei, "dass sie vom Papst selbst initiiert wurde und ohne methodische Beschränkungen - zum Beispiel durch eine Vorauswahl der Befragten - weltweit jeden erreichen konnte". Es gebe jetzt keine Möglichkeit mehr, das Ergebnis in irgendeiner Weise in Frage zu stellen. "Auch die Ausflucht, dass man den kirchlichen Glauben nicht durch Meinungsumfragen bilden, sondern nur durch normative Maßstäbe herleiten kann, hilft nicht mehr, wenn auch in zentralen Aussagen der kirchlichen Sexualethik eine so weite Distanz zu den Gläubigen besteht."

Die Umfrage, deren Ergebnisse die Bischofskonferenz auswertete, ist Teil einer vom Vatikan angestoßenen Bestandsaufnahme, die Grundlagen für eine im Oktober geplante Weltbischofssynode liefern soll. In ihrer nach Rom übermittelten Auswertung stellen die deutschen Bischöfe eine "große Differenz zwischen den Gläubigen und der offiziellen Lehre" der Kirche fest. Er hoffe, so Schockenhoff, dass in Rom nun eine offene Diskussion stattfinde. Dazu müsse allerdings auch ein "klares Signal" von Papst Franziskus kommen.

Soziologe: Umfrage zu katholischer Sexualmoral nicht überbewerten

Der Religionssoziologe Detlef Pollack rät der katholischen Kirche, der Umfrage zur Sexualmoral unter den Gläubigen keine zu große Bedeutung beizumessen. "Wenn die Kirche sich davon abhängig macht, was Mehrheitsmeinung ist, gibt sie Theologie und Offenbarung als eigene Erkenntnisquelle preis", sagte der Münsteraner Forscher dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwochsausgabe).

Die Neuausrichtung kirchlichen Handelns müsse letztlich aus theologischen Überlegungen kommen.

"Der Widerspruch zwischen Lehre und Leben ist in der katholischen Kirche ja mit Händen zu greifen", sagte Pollack. "Aber aus dieser Diagnose folgt keineswegs, dass die Kirche ihre Vorgaben an das Verhalten der Menschen anpassen müsste." Es sei zwar gut, die Einstellung der Katholiken zu Ehe und Familie zu erheben. "Aber die Methode einer Umfrage unter Funktionären kann keine repräsentativen Ergebnisse liefern, zumal dann nicht, wenn sie - wie in Deutschland - stark onlinegestützt arbeitet", kritisierte der Wissenschaftler der Universität Münster.


Quelle:
epd , KNA