Kardinal Meisner sieht tiefen Riss in der Ökumene durch EKD-Orientierungshilfe

"Zeitgeist statt Heiliger Geist"

Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner kritisiert die Orientierungshilfe der Evangelischen Kirche zu Ehe und Familie aufs Schärfste.Ein tiefer Riss in der Ökumene könne nur durch die Rücknahme des Papiers verhindert werden.

Joachim Kardinal Meisner (dpa)
Joachim Kardinal Meisner / ( dpa )

Gegenüber domradio.de zeigte sich der Kölner Kardinal am Freitag überrascht über die Orientierungshilfe. Einen "so tiefen Riss in der Ökumene" gerade bei so grundlegenden Themen wie Ehe und Familie habe er nicht für möglich gehalten. Das Papier sei "von Anfang an inspieriert vom Zeitgeist und nicht vom Heiligen Geist und nicht vom Evangelium," klagte Meisner. Es bringe mehr Verwirrung und Desorientierung als Orientierung. Er frage sich, so der Kardinal weiter, was die Muslime über das Evangelium denken müssten, wenn sich die Protestanten bei einer solchen Orientierungshilfe auf die Heilige Schrift berufen. Er könne die Evangelische Kirche "nur bitten, diese Orienierungshilfe schnellstens zurückzuziehen und eine neue vom Evangelium inspirierte Orientierungshilfe herauszugeben."

Im Wortlaut: Stellungnahme von Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, zur Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) "Zwischen Autonomie und An­gewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken"

Nur mit tiefem Bedauern und nicht ohne Erschütterung kann ich die Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken" zur Kenntnis nehmen, die der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland jüngst herausgegeben hat. In eklatantem Widerspruch zu seinem Titel redet dieses Papier der Beliebigkeit und Relativierung von Ehe und Familie das Wort. Dass man in der Seelsorge "gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse" registriert, liegt auf der Hand. Fatal und ohne Bezug zu Christi Handeln ist es dagegen, diese in den Rang eines Wahrheitskriteriums zu erheben.

Die Ehe gewinnt ihre besondere Bedeutung und Heiligkeit daraus, dass sie an der Schnittstelle des Verhältnisses von Gott und Mensch steht. Einerseits lebt sie ganz aus dem freien, rückhaltlosen "Ja" von Mann und Frau zueinander; andererseits erwächst sie nach christlicher Überzeugung unmittelbar dem Willen des Schöpfers. Diesen Schöpferwillen hat Jesus Christus ausdrücklich bestätigt; in der Schule des Apostels Paulus lernen wir darüber hinaus, dass die eheliche Verbindung hereingenommen ist in die Zuwendung Christi zu seiner Kirche, in die Liebe Gottes zu uns Menschen.

Die Reformatoren haben die christliche Überzeugung von der Sakralität der Ehe aufgegeben und diese zu einem "weltlich Ding" erklärt, worauf sich auch das vorgelegte Dokument beruft. Wie sich nun in aller Deutlichkeit zeigt, wird die Ehe so zu einer rein innerweltlichen Institution, die durch andere Zweckverbindungen ersetzt werden kann. Dass ausgerechnet Christen einen solchen Rückschritt im Verständnis von Ehe und Familie initiieren würden, hätte ich nicht für möglich gehalten! Es schmerzt zu sehen, wie die traditionell als "Kirche des Wortes" bezeichnete Evangelische Kirche in Deutschland das Wort der Offenbarung, das die Ehe über den Profanbereich hinaushebt, zur Seite schiebt. "Das Wort sie sollen lassen stahn!" – so würde Martin Luther heute seinen Anhängern zurufen.

Zugleich begeben sich die Autoren der Orientierungshilfe in eine äußerst heikle Nähe zu den Pharisäern, die einst ebenfalls zu Jesus kamen, um die Ehe zu relativieren. Sie meinten sich dabei zur Legitimierung der Ehescheidung auf die Autorität des Mose stützen zu können. Insofern ist die heutige Situation keineswegs neu! Jesus jedoch mahnt in leidenschaftlicher Liebe zu seinem göttlichen Vater dazu, den hartherzigen Egoismus abzulegen und dem Schöpferwillen zu folgen: "Am Anfang der Schöpfung … hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. … Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet" (Mk 10,6-9;11-12). Als Christus die Ehebrecherin vor der Todesstrafe bewahrt, gibt er ihr mit auf den Weg: "Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!" (Joh 8,11).

Die Ehe zwischen Mann und Frau, aus der Kinder hervorgehen, ist in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte als Abbild der göttlichen Dreifaltigkeit verstanden worden. Was Gott aus seinem inneren Wesen nimmt und uns als Gabe sowie Aufgabe in die Hände legt, steht nicht zur Disposition aktueller Tendenzen und Strömungen! Im Zeitalter der Ökumene ist es geradezu die Pflicht der katholischen Kirche, an den Geschehnissen in anderen Kirchen und Gemeinschaften Anteil zu nehmen. Darum bitte ich die Evangelische Kirche in Deutschland eindringlich, ihre Position hinsichtlich von Ehe und Familie zu überdenken und zurückzukehren zur Überzeugung, die unser Herr Jesus Christus uns gelehrt hat.


Quelle:
DR