Oberkirchenrätin verteidigt EKD-Papier zur Familie

"Keine lehramtlichen Äußerungen“

Auch in evangelischen Reihen werden Stimmen lauter, die Änderungen an der neuen Schrift zu Ehe und Familie fordern. Im domradio.de-Interview stellt sich Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx der Kritik. Sie gehört zum Autorenkreis.

Das Modell Ehe (dpa)
Das Modell Ehe / ( dpa )

domradio.de: Die Reaktionen auf das Papier waren teils heftig. Die deutschen katholischen Bischöfe äußerten sich besorgt. Das Papier sei die Aufgabe des biblischen Familienbildes, ein Bruch mit der Tradition. Können Sie das nachvollziehen?

Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx: Es gibt eine breite Debatte seit wir das Papier vorgestellt haben, die sehr nah dran ist an gesellschaftlichen Fragen und Verunsicherungen. Wir haben laut Medienanalyse ein Drittel positive Reaktionen, ein Drittel negative Reaktionen und ein Drittel Nachfragen. In der Tat, besonders die negativen Reaktionen sind heftig. Das hat wohl damit zu tun, dass es einfach gesellschaftlich und dann auch kirchlich eine große Verunsicherung darüber gibt, was gerade mit Familie passiert, wie wir Familie verstehen. Das geschieht im Umfeld des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur homosexuellen Partnerschaft. Die Frage der Adoption steht im Raum, die Familienpolitik der Bundesregierung wird analysiert. Insofern ist nachvollziehbar, dass das kirchliche Papier in dieser gesellschaftlichen Debatte jetzt auch in den Mittelpunkt rückt. Wir als Evangelische Kirche glauben nicht, dass es darum geht, alles muss bleiben wie es ist, sondern dass es darum geht, zu gucken, wie gehen wir in diesen Veränderungen mit unseren Kriterien mit und machen Menschen Mut zu Ehe und Familie, zu lebenslangen Partnerschaften.

domradio.de: Wenn Sie Mut machen wollen zur lebenslangen Partnerschaft, zur Ehe und Familie, wie kann man das verstehen, wenn man im Leitbild einen Satz findet, Paare sollen sich auch darauf einstellen, sich irgendwann vielleicht wieder zu trennen?

Coenen-Marx: Das ist eine Realität. Etwa ein Drittel der Ehen in unserem Land werden geschieden. Wir glauben, dass viele Scheidungen auch damit zusammenhängen, dass Familien bei all ihrem guten Willen extrem überfordert werden durch hohe Erwartungen an Mobilität, an Erwerbstätigkeit beider, an Erziehung von Kindern, an Pflege, wir haben einen demografischen Wandel… Wir ermutigen ja nicht zur Scheidung, sondern wir nehmen das als Realität wahr. Wir haben seit langer Zeit schon Geschiedene wieder getraut, was die katholische Kirche ja nicht tut. Für uns ist die Ehe ja kein Sakrament, sondern wir ermutigen zu einer lebenslangen Gemeinschaft. Insofern sind wir auch in der Lage zu ermutigen, wenn homosexuell lebende Paare eine lebenslange Gemeinschaft eingehen wollen, das - so wie es gerade die Kirche in Hessen-Nassau getan hat - auch unter dem Segen Gottes zu tun.

domradio.de: Das ist ja gerade für die katholische Kirche eines der Probleme mit dem Papier, die Frage nach der Gleichstellung einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft zur Ehe. Warum war Ihnen denn dieser Punkt so wichtig?

Coenen-Marx: Es geht uns um Verbindlichkeit, Verantwortung, Verlässlichkeit in allen Gemeinschaften. Gesellschaftlich muss man mit Blick auf Homosexuelle sagen, es sind ja noch gar nicht so viele, die den Mut haben, eine Lebenspartnerschaft einzugehen. Wir meinen eigentlich, das müssen wir anerkennen und unterstützen - und nicht zurückweisen.

domradio.de: Man nimmt der Ehe aber jetzt schon die Besonderheit durch ihr Papier.

Coenen-Marx: Für uns ist die Ehe das Modell, an dem man über lange Zeit sehen kann, wie eine gelingende Gemeinschaft einen Rechtsrahmen braucht, in dem sie auch wirklich geschützt ist, das ist bei der Ehe so. Dass eine Gemeinschaft Gottes Segen braucht, um auch über Brüche einen schweren Weg zu gehen, das kann man an der Ehe sehen. Insofern bleibt sie für uns auch ein besonderes Modell. Nichtsdestotrotz geht es uns darum, diese Kriterien auch auf andere Gemeinschaften, wo es möglich ist, übertragbar zu machen. Was das Thema Generativität, also das Kinder bekommen angeht, was immer im Zusammenhang mit der Schöpfungsordnung und der Eheschließung thematisiert wird, muss man sich natürlich klar sein, dass sich - und das ist vielleicht auch ein Reizthema - seit Erfindung von Pille und Reproduktionsmedizin die Dinge für viele Menschen geändert haben. Was eigentlich Gottes Gabe ist, erscheint plötzlich als planbar.

domradio.de: Lassen Sie uns noch einmal auf die Kritik aus den eigenen Reihen zurückkommen, zum Beispiel von Landesbischof July. Muss man das Papier im Endeffekt noch einmal verbessern oder bleiben Sie jetzt bei diesem Papier als Orientierungshilfe für die nächsten Jahre stehen?

Coenen-Marx: Unsere Papiere sind ja keine lehramtlichen Äußerungen des Rates der EKD, sondern sie sind Texte von Expertenkommissionen, in denen auch in diesem Fall zwei Bischöfe saßen, das ist auch von einer Theologieprofessorin begleitet worden neben den Politikern und Soziologen, die da drinnen saßen. Die Papiere werden anschließend diskutiert und dann entstehen auch neue Konsense. Was wir mit diesem Papier wollen, ist eigentlich genau die Diskussion, die läuft. Wir überlegen, wie wir über Landeskirchen und Akademien weiter zu einem Prozess der Debatte beitragen können, das begrüßen wir auch ganz ausdrücklich und da bleibt auch nichts stehen.

Das Interview führte Matthias Friebe (domradio.de)


Quelle:
DR