Die politische Dimension des Muttertags

"Nicht nur kitschige Mutterliebe"

Blumen und Herzchen hatten wieder Hochkonjunktur: am Muttertag. Renate Holze erklärt im Interview, worum es an diesem Tag auch geht: um mehr politische Wertschätzung für die Leistungen von Müttern.

Autor/in:
Paula Konersmann
 (DR)

KNA: Frau Holze, ist der Muttertag ein reiner Kommerz-Tag?

Holze: Der Muttertag beschert natürlich Blumen- und Süßwarengeschäften einen sehr hohen Umsatz. Dennoch ist der Tag das, was Familien daraus machen. Die liebevoll ausgewählte Kleinigkeit zählt genauso wie ein besonders schön gedeckter Tisch, der Ausflug zu Mamas Lieblingsort, ein Besuch bei der alten Mutter - einfach ein kleines Dankeschön.

KNA: Warum ist ein fest installierter Tag wichtig? Jeder könnte doch seiner Mutter an irgendeinem Tag Blumen schenken...

Holze: Zeichen der Verbundenheit und der Dankbarkeit sind natürlich nicht nur an einem Tag im Jahr für eine gute Beziehung notwendig. Aber mit dem Muttertag ist es wie mit allen Ritualen: An diesem Tag wird die Wertschätzung für die Mütter in besonderer Weise zum Ausdruck gebracht. So, wie wir an jedem Sonntag in der Messe Ostern feiern, aber einmal im Jahr ist eben das Osterfest. Zugleich ist die Beziehung zur Mutter wie eine Blume: Sie nur einmal im Jahr zu gießen reicht nicht.

KNA: An einem speziellen Tag ist es vielleicht sogar leichter, besonders aufmerksam zu sein. Wie gelingt das auch im Alltag?

Holze: Man sollte nicht alles selbstverständlich hinnehmen. Das fängt bei scheinbaren Kleinigkeiten an, etwa der gerechten Aufteilung von Haushaltspflichten. Junge Paare setzen oft eine faire Verteilung um - und sobald ein Kind da ist, fallen sie in die klassische Aufteilung zurück, und vieles bleibt an den Müttern hängen. Das ist eine der größten Belastungen für junge Paare mit Kind.

KNA: Laut Umfragen halten die Deutschen das vierte Gebot - die Eltern zu ehren - für das wichtigste. Was bedeutet das?

Holze: "Ehren" würde ich heute mit Wertschätzung und Respekt übersetzen und das gilt in der Familie, aber auch in der Gesellschaft. Das Mutterbild hat sich heute stark gewandelt, Leitbild ist die lebenslang erwerbstätige Mutter. Lässt sich das aus irgendwelchen Gründen nicht verwirklichen, etwa, weil ein Kind krank wird oder eine Mutter alleinerziehend ist, dann droht Müttern die Altersarmut. Das widerspricht meines Erachtens nicht nur dem vierten Gebot, sondern auch dem Artikel 6 des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft."

KNA: Also hat die Gesellschaft noch etwas nachzuholen in punkto Wertschätzung von Müttern?

Holze: Der politische Aspekt sollte nicht untergehen, auch wenn Mütter sich natürlich über Gedichte und selbst gemalte Bilder ihrer Kinder freuen. Der Muttertag, wie wir ihn heute kennen, ist eine Erfindung des frühen 20. Jahrhunderts. Der Muttertag soll öffentlich die Liebe und Dankbarkeit ausdrücken, die den Müttern entgegen gebracht wird. Und er sollte nach dem Willen seiner Begründerin, Anne Marie Jarvis, die Anerkennung der Leistungen von Müttern und mehr Rechte für Frauen bewirken. Dieses Anliegen ist heute noch so aktuell wie vor 100 Jahren, wenn wir zum Beispiel an die aktuelle Debatte um die Anrechnung von Kindererziehungszeiten von vor 1992 geborenen Kindern in der Rente denken. Es geht also nicht nur um kitschige Mutterliebe.

KNA: Ob alleinerziehend oder glückliches Elternpaar: In jeder Familie gibt es Krisen. Was bedeutet das für das Ehren der Eltern?

Holze: Der ganz normale Alltag in Familien bringt schon genügend Gelegenheiten mit, sich an den Eltern zu reiben. In einer scheinbar grenzenlosen Gesellschaft ist es eine wichtige Aufgabe von Eltern, Grenzen zu setzen. Das stößt nicht immer auf spontane Zustimmung der Kinder. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass Kinder, denen ermutigend und respektvoll Grenzen gesetzt wird, sich in der Beziehung sicherer fühlen und ihrerseits Respekt und Wertschätzung geben können.

Als Referentin für Familien- und Alleinerziehendenpastoral im Bistum Essen arbeitet Renate Holze mit Ehepaaren und Familien.

 

Quelle:
KNA