Caritas-Kritik am geplanten Betreuungsgeld

"Es fehlt eine familienpolitische Vision"

Es ist die umstrittenste Initiative der Regierung seit langem: Heute sollte der Bundestag in erster Lesung über den Gesetzentwurf für ein Betreuungsgeld, allerdings war das Parlament nicht beschlussfähig. Caritas-Präsident Peter Neher ist gegen die Regierungsinitiative - und für eine Weiterführung des Elterngeldes.

 (DR)

KNA: Herr Prälat Neher, die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf für das Betreuungsgeld auf den Weg gebracht. Während die katholischen Bischöfe das begrüßen, ist der Caritasverband gegenüber der neuen Leistung eher skeptisch, warum?
Neher: Mit den Bischöfen treten wir gemeinsam dafür ein, dass Familien unterstützt werden und sie wählen können, wie sie ihre Kinder erziehen wollen. Was wir jedoch kritisch bewerten ist, dass die Zahlung des Betreuungsgeldes daran gekoppelt sein soll, dass Eltern keinen öffentlich geförderten Kita-Platz oder Kindertagespflege in Anspruch nehmen. Dies benachteiligt Familien, in denen die Eltern aufgrund ihres geringen Einkommens beide arbeiten müssen und auf einen Kita-Platz angewiesen sind. Dagegen bekommt eine Familie die Leistung, die sich die Betreuung der Kinder durch ein Au-pair leisten kann. Aus unserer Sicht wäre die Weiterführung des Elterngeldes in Höhe des Sockelbetrages von 300 Euro an alle Berechtigten sinnvoller, weil es gerade die Handlungsspielräume der Eltern mit niedrigem Einkommen erhöht. Die Voraussetzung wäre allerdings, dass das Elterngeld bei Hartz IV-Empfängern nicht angerechnet werden darf, was jetzt noch der Fall ist.

KNA: Kritiker warnen vor Bildungs- und Integrationsdefiziten, wenn Eltern ihre Kinder nicht in die Krippe bringen. Werden hier Klischees bedient?
Neher: Die ganze Debatte wird sicher sehr emotional geführt. Für viele Kinder ist der Besuch einer Kita sinnvoll. Sie kommen mit anderen Kindern zusammen und lernen voneinander. Wenn eine Familie allerdings nur über geringe finanzielle Möglichkeiten verfügt, können 100 oder 150 Euro sehr wohl den Ausschlag geben, sich gegen einen Kita-Platz zu entscheiden. Dies muss nicht zwingend zum Nachteil der Kinder sein, doch besteht die Gefahr, dass gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten besonders betroffen sind. Dann würden genau die Kinder nicht erreicht, für die der Besuch einer Kita besonders hilfreich wäre. Dies kann nicht das Ziel sein.

KNA: Sehen Sie die Gefahr einer Unterordnung der Familie unter ökonomische Sachzwänge?
Neher: Viele Familien sehen sich ganz real ökonomischen Sachzwängen ausgesetzt. Schwierig finde ich, dass wir die Debatte viel zu verkürzt führen. Wir sollten uns nicht immer wieder in Detailfragen verlieren, wenn es um die Unterstützung von Familien geht. Familienpolitik erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit zentralen Fragen wie Zeit haben für die Familie oder die Gestaltung familienfreundlicher Arbeitsplätze, die nicht die Eltern benachteiligen, die sich für Kind und Beruf entscheiden möchten. Hier sind die Arbeitgeber gefordert. Der Politik fehlt insgesamt eine familienpolitische Vision, die Familien stärkt und stützt.

KNA: Der Streit wird ausgesprochen hitzig geführt. Spielt dabei auch der Konflikt zwischen traditionellem und modernem Familienbild eine Rolle?
Neher: Solche Fragen spielen sicher eine Rolle. Dabei sollte jede Familie den Weg gehen können, den sie gehen möchte. Es geht nicht um ein besser oder schlechter, sondern darum, was zur Zufriedenheit der Eltern und der Kinder führt. Das setzt aber voraus, dass Familien wirklich die Wahlfreiheit haben, ob sich ein Elternteil ganz auf die Familie konzentriert oder wie sie die Mischung aus Beruf und Familie gestalten. Diese Wahlfreiheit ist für viele Familien aber leider nicht gegeben.

KNA: Wie könnte der Gesetzgeber jungen Familien besser helfen?
Neher: Derzeit steht noch die Evaluation der familienpolitischen Leistungen aus, die das Bundesfamilienministerium im kommenden Jahr vorlegen will. Wir sollten das Ergebnis dieser Prüfung abwarten, wie gut die bestehenden Leistungen wirken. Die Politik sollte sich auch verstärkt mit den Ergebnissen des 8. Familienberichts auseinandersetzen, der das Thema "Zeit für Familie" behandelt hat. Das sind auch drängende Fragen, die die Familien beschäftigen.

KNA: Im August 2013 tritt der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für unter Dreijährige in Kraft. Ist der Zeitplan realistisch? Wie engagiert sich die Caritas?
Neher: Dass es immer unwahrscheinlicher wird, eine ausreichende Zahl an Betreuungsplätzen zur Verfügung zu stellen, ist kein Geheimnis. Die katholischen Träger werden sich weiterhin am Ausbau der Betreuungsplätze für diese Altersgruppe beteiligen. Bundesweit stellt die katholische Kirche rund 18 Prozent aller Plätze für unter Dreijährige. Die Bistümer und die Gemeinden tun hier sehr viel.

KNA: Experten verlangen gerade bei der Betreuung unter Dreijähriger eine besondere Erfahrung und Ausbildung. Wie sollen fehlende kompetente Erzieher in dieser Kürze gefunden werden?
Neher: Es ist abzusehen, dass bis zum Sommer 2013 nicht ausreichend qualifizierte Fachkräfte zu Verfügung stehen werden. Wir setzen uns gemeinsam mit dem Fachverband der Katholischen Kindertagesstätten dafür ein, dass Teilzeitkräfte aufstocken oder befristete Verträge überdacht werden. Wir müssen das Potenzial von Wiedereinsteigerinnen stärker nutzen und wir werden für den Erzieherinnenberuf noch stärker werben müssen als bisher.

Das Gespräch führte Birgit Wilke.

Hintergrund: Am Freitag sollte die Erste Lesung des Gesetzentwurfs zum Betreuungsgeld im Bundestag stattfinden. Allerdings beendete Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau die Plenarsitzung vorzeitig, weil das Parlament nicht beschlussfähig war. Möglicherweise fällt deswegen eine endgültige Entscheidung zum Betreuungsgeld erst nach der Sommerpause.