Krankenhausseelsorger über den Corona-Alltag auf den Stationen

"Es ist großartig, was die leisten"

In Krankenhäusern herrscht seit Ausbruch der Corona-Pandemie Ausnahmezustand. Ärzte und Pflegepersonal kommen an ihre Belastungsgrenzen. Seelsorger Ulrich Hennes ist Ansprechpartner für Patienten, Angehörige und Mitarbeiter.

Msgr. Ulrich Hennes (Erzbistum Köln)

DOMRADIO.DE: Sie sind aktuell gerade im St. Vinzenz-Hospital in Köln-Nippes. Wo holen wir Sie da jetzt heraus?

Msgr. Ulrich Hennes (Seelsorger am St. Vinzenz-Hospital in Köln-Nippes): Ich komme gerade von zwei Krankensalbungen, eine auf der Intensivstation, eine auf der Palliativstation. Jetzt hole ich mal etwas Luft und bin mit ihnen verbunden.

DOMRADIO.DE: Erleben Sie, dass die Pandemie das ohnein schon nicht gute Gefühl, das Patienten in einem Krankenhaus haben, noch weiter verstärkt?

Hennes: Ja, deutlich. Jede Krankheit ist eine Krise, die die verschiedensten Themen im Menschen hochbringt. Das eigene Leben wird nochmal neu betrachtet. Im Krankenhaus hat man Zeit, über vieles nachzudenken. Das verstärkt sich in der Pandemie deswegen, weil ja kaum jemand zu Besuch kommen kann.

Das heißt, der Mensch ist viel mehr als Kranker im Krankenhaus auf sich selber verwiesen. Er ist in seinem Zimmer, wenn er Glück oder Pech hat - je nachdem -, hat er ein Einzel- oder ein Mehrbettzimmer, und es gibt nur noch ihn selber und vielleicht einen Telefonkontakt nach draußen.

Deshalb ist das viel schwieriger für Menschen, diese Krankheit, die sie gerade haben, auch auszuhalten.

DOMRADIO.DE: Haben Sie als Krankenhausseelsorger immer und überall Zutritt zu den Patienten?

Hennes: In aller Regel ja, zumindest in den Häusern, wo ich zuständig bin, da kann ich überall hin. Das ist auch gut so, denn manches Mal bin ich neben den Pflegenden und den Ärzten der einzige Kontakt, den die Patienten haben. Vor allen Dingen bin ich der einzige neben den Therapeuten, die oft eine Stunde mit einem Patienten beschäftigt sind, der einfach Zeit hat.

Das ist das Großartige und Schöne an dieser Aufgabe, dass sie darin besteht, für die Menschen Zeit zu haben. Die Pflegenden, die Ärzte, auch die Ehrenamtlichen, die zurzeit nicht da sind, bemühen sich ja wahnsinnig viel. Aber sie haben natürlich eine Aufgabe, die ihne angesichts der vielen Patienten oft nicht die Zeit lässt, die sie eigentlich auch gerne hätten.

DOMRADIO.DE: Was für Themen kommen in den Gesprächen mit den Patienten an die Oberfläche?

Hennes: Ich muss vorweg sagen, nicht nur mit Gesprächen, manchmal ist das mehr Zuhören als Gespräch und manchmal ist es auch einfach das Dasein. Es gibt ja auch eine Reihe von Patienten, die gar nicht mehr ansprechbar sind, aber die irgendwie doch spüren, dass jemand da ist und das mit aushält. Auch im Gebet dabei zu sein, noch etwas vorzulesen, wo jemand vielleicht gar nicht mehr reagiert und es trotzdem gut tut, das ist auch ein Bestandteil davon.

Aber wenn ein Gespräch, auch ein Dialog möglich ist, dann kommen im Krankenhaus natürlich viele Themen hoch. Es ist eine Frage des Alters. Ich rede jetzt nicht von Leuten, die ein Bein gebrochen haben, sondern ich rede auch von Leuten, die vielleicht Krebs, eine Herzoperation oder die unterschiedlichste Problemlagen haben, die sie gerade im hohen Alter dann vielleicht auch nochmal ganz anders mit dem Sinn des Lebens konfrontieren.

Sobald man mindestens 80 ist, ist das Thema Sterben und Tod auf jeden Fall bewusst oder unbewusst an der Tagesordnung und damit verbunden oftmals der Rückblick, habe ich gut und richtig gelebt? Habe ich etwas versäumt? Habe ich gelebt oder was an Leben hat vielleicht nicht stattgefunden? Wo bin ich zu kurz gekommen, wo habe ich mich anderen gegenüber nicht gut verhalten?

Alles das ist an der Tagesordnung.

DOMRADIO.DE: Kommt Gott auch vor?

Hennes: Gott kommt auf unterschiedliche Weise vor. Die Tatsache, dass ich als Priester zu einem Menschen komme, löst das schon mal bei dem einen oder anderen aus, aber nicht notgedrungen. Die Krankheit macht den Menschen nicht unbedingt frommer, aber lässt vielleicht manche Wurzeln wieder lebendig werden oder in Erinnerungen bringen.

Es gibt schon Menschen, die mir erzählen, dass sie aus der Kirche ausgetreten sind und plötzlich für sich merken, dass ihnen da etwas verloren gegangen ist. Ich habe gestern jemanden besucht, der nach einem Selbstmordversuch jetzt im Krankenhaus liegt und mir seine ganze Geschichte erzählt hat, was in seinem Leben alles schief gelaufen ist.

Und dann kommt auch, dass er mal Messdiener gewesen ist, dass er eigentlich wieder in die Kirche eintreten wollte, dazu aber nicht mehr gekommen ist. Das ist jetzt nicht so, dass er mir diese Dinge sagen muss. Ich spüre schon, da wird etwas wach und lebendig, was in seinem Leben für ihn noch zu tun ist. Solche Dinge passieren.

Insgesamt würde ich sagen, es verstärkt sich das, was schon da ist. Wenn jemand eine gläubige Haltung in seinem Leben hat, dann ist das auch im Krankenzimmer ein ganz wichtiges Thema; auch die Kommunion zu empfangen, zu beten, den Rosenkranz zu haben oder ein Bild von der Gottesmutter oder von Jesus auf dem Beistelltisch stehen zu haben oder auch um die Krankensalbung zu bitten.

DOMRADIO.DE: Sind Sie auch als eine Art Mittler zwischen den Angehörigen und sehr schwerkranken Menschen, die keinen Besuch von ihren Angehörigen bekommen können, zuständig?

Hennes: Zuständig will ich nicht sagen, aber zumindest kommt das vor. Wir wollen natürlich im Augenblick alle Wege nutzen, das die Menschen gut im Krankenhaus sein können, dass auch ihre Einsamkeit, ihr Alleinsein nicht zu schwer ist. Und da ist natürlich jeder, der kommt, willkommen.

Das machen aber die Mitarbeitenden ganz genauso, dass sie das Telefon anreichen, dass man das Stationstelefon zur Verfügung stellt, gerade wenn ältere Menschen kein eigenes Smartphone haben oder damit nicht zurechtkommen. Oder wir bringen selber schon mal die Botschaften mit nach draußen, da wo keinen Besuchsmöglichkeiten bestehen.

Aber das mit den Besuchsmöglichkeiten ist je nach Situation des Krankenhauses unterschiedlich, wie gerade die Infektionsrate ist. Je nachdem, wie krank jemand ist, wie wie schwierig die Situation oder die Lebenserwartung ist, gibt es da schon Ausnahmeregelungen, die sehr menschlich in unseren Häusern gehandhabt werden.

DOMRADIO.DE: Haben Sie Angst davor, sich vielleicht selber mit dem Coronavirus zu infizieren?

Hennes: Ich möchte das nicht so tapfer sagen, aber um ehrlich zu sein: Ich hatte nie Angst. Ich weiß nicht warum, aber es ist nie so gewesen. Ich bin von Anfang an sehr offensiv mit dem Thema umgegangen, habe gesagt, wenn die Corona-Patienten Beistand brauchen, dann gehe ich selbstverständlich dahin.

Es gibt genügend Schutzmassnahmen. Auch die die Pflegenden, die einen viel intensiveren Kontakt mit den Corona-Patienten haben, sind ja mit mit ihnen zusammen. Natürlich gibt es die entsprechenden Vorgaben, die Schutzmaßnahmen, die Schutzkleidung, die lege ich genauso an wie jeder andere auch. Deshalb ist das bisher für mich kein großes Thema gewesen, das zu tun.

Selbstverständlich, spende ich regelmäßig die Kommunion zu Corona-Patienten. Ich bringe die Krankensalbung dorthin. Ich habe gerade gestern noch eine sterbende coronainfizierte Patientin begleitet. Das gehört dazu. Selbstverständlich.

DOMRADIO.DE: Sind Sie auch für das Klinikpersonal als Seelsorger da?

Hennes: Ja, zur Krankenhausseelsorge gehört, dass Seelsorger für die Kranken, ihre Angehörigen und auch für die Angestellten, für die Mitarbeitenden in allen Bereichen - pflegende Ärzte wie Verwaltung - da sind. Und ich glaube, dass das im Augenblick auch ganz, ganz wichtig ist.

Zum einen bilden die Mitarbeitenden auch die ganze Breite unserer Gesellschaft ab. Das heißt, die haben eine ganz unterschiedliche Nähe zum Glauben und zur Kirche. Aber was ich vor allem auch wichtig finde und das ist ganz kostbar in unserem Dienst, dass wir unabhängig von der kirchlichen und religiösen Zugehörigkeit von Menschen für sie da sind - gerade jetzt in der Belastung.

Gerade die Mitarbeitenden auf den Corona-Stationen arbeiten echt am Limit. Was die zu leisten haben Tag für Tag, das ist so viel. Und manchmal reicht da einfach ein freundliches Wort, ein Nachfragen: Wie geht es Ihnen? Dann merkt man richtig, dass es ihnen gut tut, weil sie unter Strom stehen, am Limit arbeiten und es ist großartig, was die leisten.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR
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