Kirchen wegen Corona seit einem Jahr im Ausnahmezustand

Seelsorge, Gottesdienst und neue Formate

Seit einem Jahr beherrscht das Coronavirus den Alltag. Niemand kann sich entziehen. Auch die Kirchen nicht. Ein schweres Jahr zwischen "Geister-Gottesdiensten", scharfer Kritik und der Suche nach kreativen Alternativen.

Autor/in:
Gottfried Bohl
Mann mit medizinischen Handschuhen hält ein Kreuz / © elena_prosvirova (shutterstock)
Mann mit medizinischen Handschuhen hält ein Kreuz / © elena_prosvirova ( shutterstock )

Ein Jahr Corona in Deutschland - das heißt auch: ein Jahr Ausnahmezustand für die Kirchen. "Auch kirchlich gesehen keine einfachen Zeiten", wie es jetzt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, ausdrückte, ist da fast schon eine Verniedlichung.

"Geister-Gottesdienste" ganz ohne oder mit nur wenigen Besuchern und Gesangsverbot gehören längst zum Alltag. Und ob Kommunionunterricht, Altentreff, Jugendarbeit oder die Pfarrgemeinderatssitzung - wenn sie überhaupt stattfinden können, dann allenfalls als Videokonferenz. Das gilt nicht nur auf Gemeindeebene, sondern auch in den Bistümern bis hin zu den Vollversammlungen der Bischofskonferenz und des Reformprojekts Synodaler Weg.

Zwischen Winterschlaf und Schockstarre

Und die Folgen? In manchen Gemeinden herrscht weiter ein Zustand zwischen Winterschlaf und Schockstarre. Ab und zu mal einen Gottesdienst als Video auf die Website zu stellen, gilt hier schon als Höchstmaß an Innovation.

Dass es auch anders geht, beweisen zahllose Initiativen haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter im ganzen Land: Da nutzen Pfarrer die coronabedingte Freizeit, um alle Gemeindemitglieder anzurufen, da organisieren Messdienerinnen und Jugendgruppen Einkaufsdienste oder Briefpatenschaften für Alte und Kranke. Da verteilen Familienkreise Material für Hausgottesdienste; Firmgruppen und die Frauengemeinschaft entwickeln neue digitale Formate für Gottesdienste und Gemeindeleben.

Kirche vor Ort ist aber nur die eine Seite. Wie sieht es mit der Rolle der Kirche in der Gesellschaft aus? Hier gibt es viele Debatten und auch heftige Kritik. Etwa in der Frage, ob die Kirchen zu Ostern viel zu schnell "klein beigegeben" hätten, statt sich gegen Versammlungs- und Gottesdienstverbote energischer zur Wehr zu setzen?

Noch mehr ins Mark traf die Kirchen die Kritik, die allen voran die Theologin und Ex-Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht (CDU), formulierte: Sie warf ihnen Versagen in der Corona-Krise vor. Die Kirchen hätten "Hunderttausende Menschen allein gelassen. Kranke, Einsame, Alte, Sterbende".

Ein Vorwurf, den die Kirchen entschieden zurückweisen. Sicher hätte vieles besser laufen können und müssen, doch habe es auch unzählige Seelsorger gegeben, die sich aufgerieben und selbst in Gefahr gebracht hätten, um alte, kranke und sterbende Menschen zu begleiten.

Eine Gratwanderung

Auf der anderen Seite fragte etwa Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki: "Was hätten wir zu hören bekommen, wenn ein Priester ein Virus in ein Pflegeheim eingeschleppt hätte?"

Es bleibt eine Gratwanderung: Auf der einen Seite wollen die Kirchen den Eindruck vermeiden, sie wollten Sonderrechte einfordern im Vergleich etwa zu geschlossenen Museen und anderen Kultureinrichtungen. Zudem betonen sie immer wieder, verantwortlich handeln zu wollen, um Menschenleben zu schützen.

Auf der anderen Seite pochen sie auf den hohen Wert der Religionsfreiheit. Auch Kirchen und Gottesdienste seien "systemrelevant", erklärte zum Beispiel der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg - zumal Menschen hier die Chance hätten, Trost zu finden und Ängste zu verarbeiten.

Wie lange die Krise auch noch dauern wird - die entscheidende Frage lautet: Was bleibt? Zum einen wohl ein beschleunigter Rückgang der Kirchensteuern, noch früher als bisher eingeplant. Auf der Habenseite stehen sicher digitale Entwicklungen und kreative Fortschritte, hinter die niemand mehr zurück möchte.

Aber auch die bange Frage, ob etwa die Gottesdienstbesucher von vor der Krise wieder den Weg zurückfinden - oder ob viele gemerkt haben, dass sie eigentlich gar nichts vermissen. Die Pandemie könne "so etwas wie ein Brandbeschleuniger" sein, fürchtet etwa Essens Bischof Franz-Josef Overbeck.

Bischof Bätzing kündigt unter anderem eine "selbstkritische Diskussion" über das Verhältnis von Staat und Kirche nach dem Ende der Krise an. Doch er will nicht schwarzmalen. Denn vielleicht - so seine Hoffnung - kann die "große Unterbrechung" bei manchen auch eine Art "heilsames Innehalten" bewirken oder sogar einen "kraftvollen Innovationsimpuls".

Wie es für die katholische Kirche in Deutschland weitergeht, hängt aber nicht nur von Corona ab, sondern vor allem auch davon, wie es weitergeht bei der Aufarbeitung des Missbrauchs. Denn bei diesem schwierigen Thema gab es in den vergangenen Monaten weder "Corona-Muße" noch einen "Lockdown" - ganz im Gegenteil.


Quelle:
KNA