Wie solidarisch sind wir in der Corona-Pandemie?

"Jeder Einzelne ist gefragt"

In Deutschland sind laut Robert-Koch-Institut bereits mehr als 165.000 Menschen gegen Corona geimpft worden. Für viele Länder dieser Welt ist derweil offen, ob, wann und wie sie einen Impfstoff erhalten. Die Rede ist zum Teil von "Impfperialismus".

Symbolbild Impfen / © Guido Kirchner (dpa)
Symbolbild Impfen / © Guido Kirchner ( dpa )

DOMRADIO.DE: Welche Folgen hatte die Corona-Pandemie bereits für das Gesundheitswesen in den ärmeren Ländern dieser Welt?

Michael Kuhnert​ (Geschäftsführer des Missionsärztlichen Instituts in Würzburg): Die Folgen sind sehr ausgeprägt, sehr komplex. Es hängt auch davon ab, auf welchen Kontinent man schaut. Schaut mal nach Südamerika: Das ist ja der Kontinent oder der Subkontinent mit den meisten bisher nachgewiesenen Fällen und auch einer Fülle von Toten. In Mexiko sind es mehr als 120.000, in Argentinien fast 50.000. Also dieser Kontinent wird schon seit Mai wirklich gebeutelt und die Gesundheitssysteme sind viel zu schwach aufgestellt, um die Kranken behandeln zu können und um auch nur Ausrüstungsgegenstände oder Masken zu liefern, Desinfektionsmittel und so weiter.

Die Pandemie ist über diesen Kontinent wirklich drüber gerollt, ebenso wie über Indien. Und die Leidtragenden sind wie immer die Armen. Es gibt ganze Regionen, die immer noch unterversorgt sind, die völlig auf sich allein gestellt sind und die Situation ist da wirklich prekär. Hinzu kommt der Hunger durch die Lockdowns. Es kommt dazu, dass die Leute nicht auf dem informellen Sektor arbeiten können und deswegen keine Einnahmen haben und deswegen tatsächlich auch Hunger haben. 

DOMRADIO.DE: Welche Chancen haben denn ärmere Menschen überhaupt auf eine Impfung gegen Covid-19? Gibt es überhaupt ein System der gerechten Verteilung wie bei uns zum Beispiel?

Kuhnert: Angezielt ist es schon, dass auch die Risikogruppen, die Alten und das Klinikpersonal geimpft werden. Die Frage ist nur, wann und mit welchen finanziellen Ressourcen. Vielen Ländern bleibt nichts anderes übrig, als auf Covax Facility, also einen Zusammenschluss der WHO, der Gavi, der Impf-Allianz oder auch der Gates Foundation zurückzugreifen, die angezielt hat, bis Ende 2021 zwei Milliarden Impfdosen für die Ärmsten zur Verfügung zu stellen.

Das Problem an dieser Covax Facility ist, dass die Mittel bisher überhaupt nicht zur Verfügung stehen. Derzeit haben sie ungefähr 5 Milliarden US-Dollar gesammelt, aber um überhaupt 2 Milliarden Impfdosen haben zu können, bräuchte es 6,8 Milliarden US-Dollar. Also da klafft noch eine große Lücke.

Hinzu kommt, dass man auch darüber nachdenken muss: Gibt es in den betroffenen Ländern überhaupt die Logistik her, um groß angelegte Impfungen durchführen zu können? Wir wissen ja, dass zumindest der Biontech-Impfstoff bei minus 70 Grad gelagert werden muss. Letzte Woche habe ich mit einem Freund aus Paraguay telefoniert. Der sagt: In ganz Paraguay gibt es keine Vorrichtung, keinen Kühlschrank, der überhaupt bis minus 70 Grad kühlen kann. Es ist also eine Fülle von Problemen.

Auch die Infrastruktur: Die normalen Impfprogramme für Säuglinge sind ja auch schon ein Problem. Die sind ja in der Pandemie auch nicht zusammengebrochen, aber viel geringer geworden. Und wie will man jetzt in den Ländern mit schwachen Gesundheitssystemen und mit schlechter Logistik und Infrastruktur großflächige Risikogruppen impfen? Also da bin ich sehr skeptisch. Und da sind die armen Länder wirklich auf die Solidarität der reichen Länder angewiesen. 

DOMRADIO.DE: In dem Zusammenhang wurde ja auch der Begriff des "Impfperialismus" geprägt. Ist das ein Versagen der reicheren Länder? 

Kuhnert: Nein, ist es nicht. Die haben ja ihre Impfdosen und zum Teil auch viel mehr Impfdosen gekauft als sie Bevölkerung haben. Wenn man da nationalistisch denkt, ist es kein Versagen. Es gibt genügend Impfdosen oder es wurden genügend Impfdosen für die einzelnen Länder, in reichen Ländern zumindest, mal reserviert. Das Versagen ist dann vor allem bei der Solidarität. Warum sollen Impfdosen nur an die reichen Länder verkauft werden und die Armen kommen wie fast immer mal wieder zu kurz.

Also Impfperialismus - ich weiß nicht, ob man es so nennen kann, aber es gibt eine große Ungerechtigkeit da. Eben weil es an die Kostenfrage gebunden ist und an die Verteilungsfrage. Die Kosten für die Impfungen sind ja auch hoch. Wenn man Moderna anschaut, da kostet eine Einheit so 35 bis 37 Dollar oder Biontech kostet 20 Dollar. Dann bleibt vielen Ländern gar nichts anderes übrig, als sich Sputnik 5 aus Russland zu kaufen, weil die nur 10 Dollar kostet. Dass machen jetzt z.B. die Argentinier; die haben sich die ersten 300.000 Dosen reserviert und die sind jetzt auch letzte Woche geliefert worden, ohne zu wissen, ob das überhaupt so ein durchschlagender Impfstoff ist. Also da sind schon große ethische und moralische Probleme, die durch die Pandemie aufgeworfen werden. 

DOMRADIO.DE: Was kann man gegen diese Probleme und die Ungerechtigkeit, die Sie angesprochen haben, machen? Welche Forderungen stellen Sie? 

Kuhnert: Naja, die EU ist ja einen Schritt vorangegangen. Die haben zum Beispiel 500 Millionen Euro für diesen Impf-Zusammenschluss Covax Facility reingelegt. Da müsste sicher noch was nachgelegt werden. Denn für die einzelnen Länder der EU würden viel größere, viel höhere Beträge zur Verfügung gestellt. Die USA haben überhaupt noch nichts bezahlt für diese Covax Facility. Da kann man darauf hoffen, dass mit dem neuen Präsidenten vielleicht nachgelegt wird.

Und dann ist natürlich auch jeder einzelne gefragt. Man kann nicht einfach sagen: Na gut, das ist Sache des Staates, ist Sache der einzelnen Regierungen. Sondern jeder Einzelne ist gefragt. Jeder Einzelne muss die Hygiene- und Abstandsregeln einhalten. Und er muss sich auch fragen: Was kann ich selber dazu beitragen, damit mehr Geld zur Verfügung steht, um Impfungen durchführen zu können? Da ist jeder einzelne, der es kann, an sein Portemonnaie erinnert. Die Deutschen haben im letzten Jahr, im Jahr der Pandemie, über 300 Millionen Euro mehr gespart und zurückgelegt. Wir haben so viele Sparkonten wie noch nie mit 7,1 Billionen Euro. Da müsste doch was drin sein. Dann muss man auch den ärmeren Ländern und den ärmeren Geschwistern auf der Welt Geld zur Verfügung stellen. 

Das Interview führte Katharina Geiger.


Quelle:
DR