Eremitin: Zwischen Vereinsamung und Einsamkeit unterscheiden

Eine wirklich stille Weihnacht

Für viele wird es die erste etwas stillere Weihnacht. Um Maria Anna Leenen herum ist es immer still. Sie ist Eremitin und lebt in einer abgelegenen Klause in Ankum. Könnte die coronabedingte Stille in diesem Jahr auch eine Chance für uns sein?

Eremitinnen und Eremiten leben freiwillig in Einsamkeit / © getIT (shutterstock)
Eremitinnen und Eremiten leben freiwillig in Einsamkeit / © getIT ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie still ist es denn gerade im Moment bei Ihnen?

Maria Anna Leenen (Eremitin aus Ankum): Zu hören ist nichts, außer die Stimme der Moderatorin. Ansonsten ist es hier absolut still.

DOMRADIO.DE: Ist es an Heiligabend nochmal stiller als sonst oder ist das immer so?

Leenen: Normalerweise ist das immer so. Außer ich habe gerade einen Menschen zum Gespräch da oder bin mit meinen Ziegen unterwegs. Die machen nämlich im Moment eine Menge Krach, weil das Wetter hier sehr schlecht ist.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie denn heute noch vor? Wie werden Sie diesen "Corona-Heiligabend" begehen?

Leenen: Gleich gibt es ein kurzes Mittagessen und dann muss ich noch ein bisschen putzen. Ich war noch nicht so schnell dieses Jahr. Und heute Abend fahre ich mit einer lieben Freundin zur Christmette nach Ankum in den großen Artländer Dom. Wir mussten uns anmelden. Wir haben ziemlich viel schon im Vorfeld regeln müssen, weil es nur mit Platzreservierung und Anmeldung und so weiter geht. Aber da freue ich mich sehr drauf.

DOMRADIO.DE: Sie gehen also davon aus, dass das auch tatsächlich stattfinden kann. Das weiß man ja in diesen Tagen nie so genau. Und Sie sagen, Sie freuen sich. Sie haben mir vorher auch gesagt, dass diese Christmette jedes Jahr sehr wichtig ist. Warum?

Leenen: Also die Gottesdienste natürlich sowieso, aber die anderen beiden, die normalerweise wären, da bleibe ich dies Jahr weg. Aber die Christmette ist für mich sozusagen der Startpunkt zu dem größten Geheimnis, das wir eigentlich haben. Nämlich, dass Gott Mensch geworden ist. Ich bin ja jetzt schon sehr lange hier und die früheren Jahre bin ich immer noch zu Fuß nach Ankum gelaufen. Das sind immer zweieinhalb Stunden durch die Nacht.

Inzwischen - es ist erstmal schlechtes Wetter und ich bin ein bisschen älter geworden - fahre ich dann mit dem Auto. Und das ist so der Anweg der Hirten zu diesem Geheimnis, was Bethlehem ist. Und das ist für mich einfach sehr wichtig, um das innerlich auch nachzuvollziehen und nochmal ins Staunen zu kommen, was für eine unglaublich große und fantastische Sache es ist, dass Gott wirklich Mensch geworden ist.

DOMRADIO.DE: Daran denken Sie ja auch jeden Tag, wenn Sie in Stille sind. Sie haben sich für ein Leben in großer Stille entschieden. Was gibt Ihnen die Stille?

Leenen: Für mich ist es ein sehr intensives Leben mit Gott und für Gott. Die Stille ist natürlich hier wirklich groß. Wenn ich gerade ein Trekker hier lang fährt oder ich jemanden zum Gespräch habe, passiert hier einfach nichts. Und das ist etwas, was die Sinne und auch meine Aufmerksamkeit immer wieder schärft. Auf das Geheimnis, das Gott in dieser Welt ist, dass Gott diese Welt geschaffen hat und dass ich Anteil haben darf an einem Leben, was, je länger ich es lebe, in eine immer größere Tiefe kommt, in eine größere Weite.

Das ist ja für mich auch ein sehr langer Erkenntnis- und Erfahrungsprozess gewesen, die letzten 25, 26 Jahre. Ich spüre einfach, dass es immer noch größer ist. Das Staunen und die Freude darüber, dass ich ein Mensch bin, dass ich Gott gehören darf und dass ich mithelfen darf, dass seine Botschaft - wie auch immer - in die Welt kommt.

DOMRADIO.DE: Sie sind natürlich hineingewachsen in diese Stille. Das geht anderen Leuten nicht unbedingt so. Tatsächlich ist es aber vielleicht auch für die so, dass, wenn es ganz still wird, sie Dinge hören können, die sie sonst nicht hören. Was meinen Sie? Gilt das auch für diese durch Corona erzwungene Stille heute Nacht? Ist das auch eine Chance für alle?

Leenen: Also eine Chance ist es sicherlich. Aber man muss schon unterscheiden zwischen Vereinsamung, die wirklich krank macht und die auch negativ ist, und Zurückgezogenheit und Einsamkeit. Wer sich darauf einlässt, der muss sich auch klar werden, dass das schon auch Prozesse auslöst, die mir Dinge über mich selber klar machen, die ansonsten durch den vielen Trubel, den man normalerweise hat, heruntergedrückt werden. Da kommt dann schon etwas hoch.

Aber es ist auch meine Erfahrung, dass, wenn ich mich diesen Dingen stelle und vielleicht auch jemand im Gespräch suche, der mir dabei hilft, wirklich eine größere Freude über mich selber kommt. Bei aller Schwäche, bei allen Mängeln, die man so hat. Dass ich wirklich erfahre und begreife mit dem Herzen: Ich bin, auch wenn ich ein kleiner Mensch bin, ein Mensch mit Schwächen und mit Fehlern, von Gott unendlich geliebt. Und das ist eigentlich die schönste Erfahrung der Einsamkeit oder der Stille, die man überhaupt machen kann. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR
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