Saliya Kahawatte: Zuversicht trotz Schicksalsschlägen

"Es ist noch nicht das Ende"

Erblindung, Krebs, Sucht - Saliya Kahawatte kennnt Schicksalsschläge und lässt sich trotzdem nicht unterkriegen. Der Unternehmer und Autor sieht deshalb auch die Corona-Pandemie ein wenig entspannter. Zu Gast im Himmelklar-Podcast.

Saliya Kahawatte / © Markus Wissmann  (shutterstock)

Himmelklar: In erster Linie kennt man Sie durch Ihre großartige Geschichte, die im Film "Mein Blind Date mit dem Leben" verfilmt wurde. Sie sind mit 15 Jahren erblindet und haben dann trotzdem eine Ausbildung zum Hotelfachmann gemeistert und 15 Jahre in dem Luxushotel gearbeitet. Es ist aber ja nicht der einzige Schicksalsschlag in Ihrem Leben geblieben. Wirkt sich das, was Sie durchgemacht und auch erlebt haben, darauf aus, wie Sie mit dieser Corona-Krise umgehen?

Saliya Kahawatte (Unternehmer und Autor): Ich musste leider – oder zum Glück – in meinem Leben einige andere Krisen auch meistern, neben meinem Handicap: Krebserkrankung, Suchtgeschichten, Depressionen und solche Sachen. Ich glaube, in der Gesamtschau der Ereignisse hat es mich vielleicht sogar ein bisschen stärker gemacht, weil man aus Niederlagen mehr lernt als aus Erfolgen.

Von daher denke ich mal, dass mich diese ganzen Krisen für das heutige Meistern ein bisschen besser gewappnet haben, weil ich einfach ein bisschen cooler bleibe. Ich bleibe ein bisschen besonnener, was ich auch von meinem Team gespiegelt bekomme. Die sagen: Das lässt dich alles ein bisschen kalt. Ich sage: Ja, es ist ein bisschen doof und ist ein bisschen aufregend. Aber wichtig ist, dass man ruhig bleibt und nicht die Kontrolle über sich selber verliert. Weil das das völlig verkehrte Signal nach innen, in den eigenen Körper, und auch nach außen ist.

Himmelklar: War das bei den ersten Krisen, die Sie in Ihrem Leben durchgemacht haben, auch so?

Kahawatte: Natürlich nicht. Als meine Krebserkrankung oder meine Behinderung diagnostiziert wurden, hat mich das aus den Socken gehauen, ich war da völlig überfordert. Und nicht nur ich, sondern auch mein Umfeld. Und dann habe ich trotzdem aus dieser ganzen Überforderungs-Situation heraus auch gelernt, dass sich meine eigene Einstellung zu mir selbst und zu dem Problem erst mal ändern muss, um eine andere Sicht auf die Dinge zu gewinnen.

Und darüber hinaus habe ich dann diese Haltung entwickelt, mit dieser ganzen Schicksalsgeschichte anders umzugehen oder anders darauf zu schauen. Ich habe mir gesagt: Hey, das ist jetzt alles doof, es ist auch doof gelaufen. Aber es ist noch nicht das Ende.

Himmelklar: Ist denn die Corona-Pandemie für Sie das nächste, was in Ihrem Leben kam, also ist die Corona-Pandemie der nächste Schicksalsschlag?

Kahawatte: Es hat natürlich das Unternehmen getroffen. Es hat auch meine Kunden getroffen und mein Team. Wir mussten das Büro verkleinern und so weiter und so fort. Das hat auch finanzielle Folgen. Aber es ist, wie ich schon sagte, nicht das Ende. Es geht immer weiter. Die Erde dreht sich weiter und auch wir müssen einfach weiter denken: Es wird auch ein Leben nach der Krise geben. Darauf richte ich jetzt den Fokus. Denn darauf, wo man den Fokus als Mensch setzt, dahin fließt die gesamte Energie und die Aufmerksamkeit. Und mein Fokus ist nicht mehr im Jetzt und im Hier, sondern auf das gerichtet, was da kommt. Irgendwann ist die Krise zu Ende – und das ist absehbar.

Himmelklar: Das sagen Sie ja auch als Coach. Sie wollen das, was Sie selber stärker gemacht hat, auch weitergeben an andere. Was raten Sie denn den Menschen, die jetzt gerade tatsächlich verzweifelt sind durch diese Krise, durch die Corona-Pandemie?

Kahawatte: Verzweiflung und Angst – das sind ja ganz normale Gefühle, um das erstmal zu relativieren. Wenn wir Menschen Angst haben oder verzweifelt sind, dann ist das ein Signal unseres Körpers, weil wir glauben, dass wir die Situation, die uns gerade umgibt, nicht meistern können. Das ist so. Und die besten Medikamente gegen Angst sind Mut, Entschlossenheit und Zuversicht. Das kann ich jedem nur raten, an diese Dinge zu glauben und sich auch darin zu üben, ein bisschen zuversichtlich zu bleiben, seinen Mut nicht aufzugeben und entschlossen weiter nach vorne zu gehen – und auch nach vorne zu denken und zu handeln.

Himmelklar: Da ist das Jahr 2020 also eine gute Übung, wenn nicht sogar mehr. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen? Wie kann man diesen Mut üben oder wie kann man da an sich selber arbeiten?

Kahawatte: Ich bin der Auffassung, dass Mut wie ein Muskel ist, den man regelmäßig trainieren muss. Es bringt nichts, wenn man jetzt ein gutes Buch liest oder ein Seminar besucht zu Mut und Entschlossenheit. Das ist eine Aufgabe, der man sich täglich stellen sollte. Und wie ein Muskel, der jeden Tag trainiert werden soll, damit er wächst oder auch seine Flexibilität hat oder behält, sollte man auch an dem Thema „Mut und Entschlossenheit“ arbeiten. Das heißt, immer, wenn wir vor einer Aufgabe stehen, die wir glauben, nicht lösen zu können, dann sollten wir nicht sagen: "Das ist alles so schwer und das ist doof und nicht richtig." Da würde ich erst einmal innehalten und sagen: So, wo ist hier oben und wo ist hier unten? Was kann ich jetzt tun, um vorwärts zu gehen, um meinen Mut und meine Entschlossenheit wiederzufinden, um den nächsten Schritt zu tun?

Meistens sind große Aufgaben ja wie große Strecken, die man zurücklegt. Und wenn man eine große Strecke geht – ich sage jetzt mal einen Kilometer – dann besteht er aus tausend Metern, heißt tausend Schritten. Ich muss mich also jeden Tag darin üben, einen Schritt zu tun oder ich muss erst mal lernen, einen Schritt vor den anderen zu tun. Und wenn ich einen Schritt getan oder mich überwunden habe, den Mut zu entwickeln und die Entschlossenheit, den ersten Schritt zu tun, dann fällt der zweite Schritt meistens schon umso leichter. Und dann einfach weitergehen.

Himmelklar: Als junger Mensch haben Sie das in der Hotelausbildung auch gemacht. Was waren da so die Schritte? Mit was haben Sie Ihre Blindheit selbst ausgetrickst?

Kahawatte: Ich sage mal, wenn man mit einer so schweren Erkrankung in ein Luxushotel geht, dann ist das auch erstmal eine riesengroße Aufgabe. Man sagt sich: Oh Gott, wie soll ich das alles schaffen? Und dann habe ich mir gesagt: Okay, das bringt jetzt nichts. Du hast hier den Schritt in dieses Haus getan, jetzt musst du schauen, dass du weiterkommst.

Und hier kann ich das Beispiel des Schrittetuns gerne wieder aufgreifen. Ich habe erst einmal gesagt: Okay, jetzt bin ich an der Hotelbar. Jetzt muss ich hier Cocktails Mixen lernen. Ich muss lernen, wie ich hören kann, wie viel ich ausschenke. Ich muss lernen, wie man am Klang eines Glases hören kann, ob es sauber poliert ist oder nicht – und vieles mehr. Am Ende konnte ich meine Bar selbstständig führen. Am Ende musste ich Tische eindecken und so weiter und so fort. Ich habe mir quasi in jeder Abteilung einen neuen Weg überlegt, mit den Aufgaben oder mit den Herausforderungen klarzukommen. So bin ich am Ende auch durch meine gesamte Ausbildung gekommen. Und mit dieser Haltung oder mit diesem Selbstbild gehe ich auch seither durch mein Leben.

Himmelklar: Was lernen wir denn jetzt als Gesellschaft aus den vergangenen Monaten?

Kahawatte: Ob wir was lernen, das weiß ich nicht. Ob alle was lernen, das weiß ich auch nicht. Ich glaube aber, wir sollten was lernen. Ich denke mal, in dieser Krise haben wir natürlich Hausaufgaben bekommen und wir haben auch gesehen, wo eigentlich die Schwachstellen sind oder was eigentlich nicht mehr funktioniert. Wir sollten diese Zeit des Innehaltens, nicht nur des weihnachtlichen Innehaltens in der Adventszeit, auch mal nutzen, um in uns zu gehen und zu sagen: So, was war jetzt alles? Was hat uns hierhin gebracht und was führt uns hier wieder heraus? Das ist natürlich auch das Thema Glaube. Das ist völlig klar. Aber auch der Glaube an sich selbst und seine eigenen Fähigkeiten und auch der Glaube an die Gemeinschaft, weil es am Ende die Gemeinschaft ist, die uns weiterbringt.

Himmelklar: Wie setzen Sie das in diesem Advent um? Oder auch fürs Weihnachtsfest?

Kahawatte: Ich feiere natürlich Weihnachten. Es ist ein christliches Fest und ich habe da immer viel Freude dran. In diesen Tagen ist es halt ein bisschen beschwerlich. Man muss es irgendwie distanzierter durchziehen. Aber auch das geht vorbei. Es ist nur ein Weihnachten von vielen, die da noch kommen werden. Deswegen bleibe ich da eher ganz entspannt. Und man muss ja nicht nur Weihnachten feiern, wenn Weihnachten ist, sondern ich feiere eigentlich Weihnachten jeden Tag und auch meinen Geburtstag, weil ich hab halt den Krebs überlebt und ich habe so viele andere Krisen überlebt. Und ich bin dankbar für jeden Tag, den ich erleben kann, an dem meine Beine mich tragen und mein Herz schlägt. Deshalb gehe ich mit einer anderen Dankbarkeit durch mein eigenes Leben.

Himmelklar: Das ist die eine Seite. Und sie haben auch gerade schon gesagt, das ist nicht das letzte Weihnachten. Für manche Menschen aber leider doch. Was geben Sie denn den Menschen mit auf den Weg, die jetzt durch die Pandemie möglicherweise auch Freunde, Nahestehende oder Verwandte verlieren?

Kahawatte: Also, das ist natürlich ganz bitter, was ich da auch selber sehe, was um mich herum passiert in Altersheimen und so. Dass geliebte Menschen jetzt durch diese Pandemie eher von uns gehen, als sie eigentlich gehen sollten. Das ist natürlich hart und es ist auch bitter, weil niemand gerne einfach einen Menschen verliert. Und diesen Menschen könnte man ja vielleicht helfen, wenn der Impfstoff schon da wäre. Aber er ist nicht da. Ich habe mich damit in meinem Leben abfinden müssen, dass ich irgendwann gehen muss. Irgendwann müssen wir alle gehen. So bitter das klingt, dann müssen wir einfach die Sache mal hinnehmen oder sich mit den Leuten so verabschieden, dass es für alle Leute okay ist und dass es ein würdiger Abschied wird.

Himmelklar: Wenn das noch geht …

Kahawatte: Ja, wenn das noch geht. Mit Abstand und Hygieneregeln und was nicht alles. Das ist ja alles sehr distanziert. Und dass da Leute einsam versterben auf irgendwelchen Stationen, finde ich auch total bitter.

Himmelklar: Wollen wir trotzdem auch das Positive daraus ziehen: Was gibt Ihnen Hoffnung in dieser Zeit?

Kahawatte: Hoffnung ist die Frucht, die in mir selber reift und nur ich kann dazu beitragen, dass diese Frucht auch weiter wächst, indem ich diesen Baum, an dem diese Frucht hängt, weiter gieße und pflege. Deswegen sehe ich das eher als meine eigene Aufgabe, erst einmal an mir zu arbeiten. Und wenn ich eine gewisse Strahlkraft und eine gewisse Zuversicht entwickle, mit der ich durch mein Leben gehe, oder wenn ich mit Menschen spreche oder zu Menschen spreche, dann strahlt das auf Menschen ab und das gibt ihnen auch wieder Kraft und Hoffnung. Das ist meine Art, durch diese Krise durchzugehen und damit umzugehen.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch und Katharina Geiger.


Saliya Kahawatte / © Ehsan Bordbar (privat)
Saliya Kahawatte / © Ehsan Bordbar ( privat )
Quelle:
DR
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