Anselm Grün gibt Tipps für den Corona-Advent

"Von Erwartungen verabschieden"

1500 Jahre lang hat der Benediktinerorden über Krisen hinweg Weihnachten gefeiert. Und 2020? Mönch und Bestseller-Autor Anselm Grün blickt voraus und gibt Tipps für die stille Zeit des Advents und das Weihnachtsfest in der Pandemie.

Pater Anselm Grün / © Harald Oppitz (KNA)
Pater Anselm Grün / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Für Sie sicher keine Frage: Sie feiern auch dieses Jahr Weihnachten. Aber wie sieht das in diesem Jahr aus?

Pater Anselm Grün OSB (Benediktinerpater, Kloster Münsterschwarzach): Wir im Kloster feiern natürlich wie immer, nur ohne Gäste. Das ist schon ein Unterschied. Aber unsere Feiern sind nach wie vor gleich. Wir singen die Psalmen. Wir halten die Christmette um Viertel vor elf bis um halb zwei in der Nacht - wie auch unsere andere Liturgie. Aber für die Leute draußen wird das schon ein Verlust sein, dass die schönen Gottesdienste in der Kirche mit den Weihnachtsliedern so nicht stattfinden können.

Ich hoffe, dass die Kirche trotzdem kreative Angebote macht, im Freien oder in kleineren Kreisen. Und es ist die Herausforderung, dass die Familie für sich selber schaut, wie sie sinnvoll Weihnachten feiern kann. Das kann man nur, wenn man überlegt: Was bedeutet eigentlich Weihnachten für uns?

DOMRADIO.DE: Was bedeutet Weihnachten für jeden Einzelnen von uns? In welcher Form haben Sie denn Ideen oder auch praktische Tipps für ein gelungenes Fest in diesem ungewöhnlichen Jahr? Wie können wir herausfinden, wie und was Weihnachten für uns ist?

Grün: Weihnachten heißt, dass Gott herabgestiegen ist zu uns, dass Er auch in unserem Haus ist. Wenn wir unser Haus schmücken, dann ist es ein Ausdruck, dass wir nicht alleine sind, sondern dass Gott da ist. Die deutsche Sprache sagt ja, daheim sein kann man nur, wo das Geheimnis wohnt. Weihnachten heißt es, dass das Geheimnis Gottes zu uns gekommen ist. Dadurch wird unsere Wohnung wirklich zur Heimat. Die ist dann auch offen für all die Menschen, mit denen wir uns vielleicht nicht treffen können, indem wir uns innerlich verbunden fühlen.

Für die Feier daheim braucht es viel Stille, aber natürlich auch ein paar Texte aus der Bibel. Wir können gemeinsam Lieder singen. Und man sollte einfach für all die Menschen beten. Wer ist uns wichtig, wer gehört zu unserem Verwandtenkreis. Jeden kann man dann einfach so vor dem eigenen Auge vorbeiziehen lassen und sagen: Ja, ihnen wünschen wir ein gesegnetes Weihnachten, dass sie einen Frieden finden und dieses innere Licht von Weihnachten in ihrem Herzen spüren.

DOMRADIO.DE: Kann man denn die aktuelle Situation ernst nehmen und gleichzeitig Weihnachten retten? Wie kann man Geborgenheit erleben, wenn man Abstand halten muss und nicht alle lieben, nahestehenden Menschen treffen kann?

Grün: Natürlich ist es eine Herausforderung, aber ich kann ja auch bei mir selbst Heimat finden. Wenn Gott in mir wohnt, dann bin ich auch bei mir selbst daheim. Das kann man auf jeden Fall. Wir können die Situation nicht verdrängen, die ist da – und es ist auch eine schmerzliche Situation. Aber wir sollten eben kreativ darauf antworten und uns nicht nur als Opfer fühlen. Sonst jammern wir nur. Es sind vielleicht auch neue Möglichkeiten da. In der Familie kann man sich wirklich überlegen - und vielleicht gibt es auch einen Erfahrungsaustausch, wenn sich jeder fragt: Was hat für mich Weihnachten in meinem ganzen Leben bedeutet? In der Kindheit, in der Jugend, als Erwachsener und im Alter. Man kann andere Formen finden, Erzählrunden machen. Dann kann man einfach spüren, was das Wesentliche ist und was jetzt in dieser Situation Weihnachten ist.

Damals war es ja auch keine heile Welt, sondern Palästina war von den Römern besetzt und Jesus ist im Stall geboren worden, in der Fremde. Das ist ja auch ein Bild für uns.

DOMRADIO.DE: Gemeinsam mit Maite Kelly haben sie das Buch "Weihnachten für alle" geschrieben, das heute im Herder-Verlag erschienen ist. Für Maite Kelly ist Weihnachten ein Familienfest mit liebgewonnenen Traditionen, mit Weihnachtsliedern natürlich auch. Welche Botschaften hat sie denn in Ihrem gemeinsames Buch eingebracht?

Grün: Maite Kelly hat natürlich ganz konkret behandelt, wie man in der Familie Weihnachten feiern kann. Und sie sagt auch immer, was ihr wichtig war, ist, dass wir uns von Erwartungen verabschieden sollen. Wir haben ja alle bestimmte Erwartungen an Weihnachten und diese Erwartungen werden dieses Jahr so nicht erfüllt. Man kann dem nachtrauern oder man kann sich bewusst davon verabschieden. Dann ist da frei und offen für neue Möglichkeiten.

DOMRADIO.DE: Wie kann man schon im Advent und in der Vorweihnachtszeit ein bisschen daraufhin arbeiten, dass die Erwartungen nicht zu hoch sind und dass wir ein friedliches und ein doch auch schönes Weihnachtsfest erleben können?

Grün: Die Adventszeit ist ja die stille Zeit. Meistens war sie ja sehr laut durch die Weihnachtsmärkte und das Einkaufen. Da ist jetzt sicher die Chance, dass wir in die Stille gehen und wirklich warten. Wir können darauf blicken: Worauf warte ich eigentlich? Was ist so meine tiefste Sehnsucht?

Die Adventszeit will uns ja in Berührung bringen mit unserer Sehnsucht. Man kann sagen, wir sollten unsere Süchte wieder in Sehnsucht verwandeln, denn Sucht ist eine verdrängte Sehnsucht. Ich denke, wenn wir uns vor die Kerze setzen oder den Adventskranz gemeinsam anzünden, dann kommt ja auch eine Sehnsucht hoch. Der Kranz heißt ja, dass unser Leben gelingt, dass unsere Gemeinschaft gelingt, unser Miteinander gelingt und dass das Licht immer mehr in uns eindringt.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Anselm Grün OSB

Der Münsterschwarzacher Benediktinerpater gilt als der bekannteste Mönch Deutschlands und als einer der erfolgreichsten Autoren christlicher Literatur. Seine Werke bringen es nach eigenen Angaben auf rund 20 Millionen Auflage. Übersetzt wurden sie demnach in rund 30 Sprachen. Derzeit seien etwa 300 Titel lieferbar.

Wenn die eigenen Bücher gelesen würden und Säle bei Vorträgen voll seien, sei er dankbar; darüber dürfe man sich aber nicht definieren. "Das ist ein Geschenk, und es ist nicht mein Verdienst." 

Pater Anselm Grün / © Harald Oppitz (KNA)
Pater Anselm Grün / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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