Erzbischof Lackner über Österreich zwischen Corona und Terror

"Da fehlten die Worte zum Beten"

Erst der Terror, dann der Corona-Lockdown: Der November 2020 ist kein leichter Monat für Österreich. Der neue Vorsitzende der österreichischen Bischöfe spricht davon, wie ihn die Zeit persönlich bewegt - und wo er Hoffnung findet. 

Erzbischof Lackner am Ort des Wiener Terroranschlags (Erzdiözese Salzburg)

Himmelklar: Nach dem Terroranschlag in Wien am 2. November ist Österreich in Trauer, gleichzeitig ist das Land in einem strikten Corona-Lockdown. Wie geht es Ihnen persönlich im Moment?

Franz Lackner (Erzbischof von Salzburg und Vorsitzender der österreichischen Bischofskonferenz): Die ganze Situation hat mich schon ordentlich durcheinander gebracht, muss ich sagen. Mit Corona hatte ich gedacht, dass wir gefunden haben, wie man damit lebt, sodass man trotzdem die Normalität in einem großen Ausmaß auch leben kann. Und jetzt ist es mit einer Wucht zurückgekommen, von der ich wiederum sehr überrascht war. Fast 10.000 neue Infektionen täglich in Österreich.

Dazu ist auch dieser Terroranschlag gekommen. Auch das haben wir in den Medien immer wieder wahrgenommen. Die schrecklichen Taten in Frankreich und überall auf der Welt. Schrecklich. Aber, dass das Österreich auch so von heute auf morgen treffen kann. Das bringt eine gewisse Fassungslosigkeit. Man war orientierungslos. Was ist da geschehen?

Das Dritte ist: Ich habe jetzt zum ersten Mal die Bischofskonferenz geleitet. Ich bin zum Nachfolger von Kardinal Schönborn als Vorsitzender der Bischofskonferenz gewählt worden. Ich war zwar Stellvertreter, aber das war ein relativ angenehmes Amt. Und jetzt ist sozusagen die ganze Last, wenn man so will, ja auf meinen Schultern, was den Vorsitz betrifft. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber bei uns hat man da eher eine Moderationsrolle. Zeitweise ist das schon sehr anstrengend.

Himmelklar: Welches von den Themen nimmt bei Ihnen im Kopf gerade den meisten Platz ein?

Lackner: Der Terroranschlag war schon eines der schlimmsten Ereignisse, das so hereingebrochen ist, fast aus dem Nichts heraus. Das hat mich schon schwer getroffen, muss ich sagen. Ich war vorige Woche in Wien, wo ich jetzt öfters bin, denn dort ist unser Generalsekretariat. Ich habe diese Orte besucht. Ich war ja früher als Franziskaner acht Jahre lang in Wien. Ich kenne diese Gegend sehr gut. Die Judengasse, da bin ich gerne als Franziskaner hin. Da sind so kleine Geschäfte, wenn ich einen Pullover oder sonst etwas brauchte, bin ich dorthin gegangen. Und jetzt ist da ein Lichtermeer. Ich habe auch eine Kerze dorthin gebracht.

Ich bete gerne. Ich bete täglich. Aber da fehlten die Worte zum beten. Da war ich irgendwie leer. Gott sei Dank, kann man sagen, gibt es dieses Licht der Kerze, die leuchtet und etwas sagt, wenn es einem fast die Kehle zuschnürt und man nichts sagen kann.

Himmelklar: Wie gehen Sie mit der ganzen Situation um und auch mit der Verunsicherung der Menschen?

Lackner: Man versucht halt irgendwo einen Stand zu finden, wo man ein bisschen Halt hat. Das ist für uns schon der Glaube, ohne - das möchte ich wirklich betonen - hier vorschnelle Antworten zu geben, wenn man die Fragen noch nicht mal richtig wahrgenommen hat. Das ist fast schon ein ohnmächtiges Dastehen und Aushalten, Ausharren. Das ist für mich auch eine Glaubenshaltung, das wahrzunehmen, um dann auch ansprechbar zu sein, auch verwundbar zu sein für das, was auf einen zukommt.

Menschen wollen auch ihr Leid teilen. Sie wollen ja, wenn man auf Corona schaut, auch hier einen Ärger und manchmal auch ihre Wut teilen. Dafür brauchen sie jemanden, dem sie das sagen können. Und dafür sehe ich mich auch, obwohl mir das zugegebenermaßen nicht sehr leicht fällt. Manchmal möchte man auch wütend werden.

Alles das ist da, aber mit einem Blick nach oben, wie Jesus. "Er erhob seine Augen zum Himmel". Dieses Aufblicken zu Gott, dem man in diesen Momenten oft nicht sieht und nicht spürt und nicht weiß. Aber doch ist dieser hilfesuchende Blick nach oben, etwas, was ein bisschen Stabilität verleiht.

Himmelklar: Auf Corona müssen wir nochmal ein bisschen genauer schauen. Sie haben jetzt in Österreich in der Abstimmung mit der Politik als Bischöfe gesagt: Wir gehen jetzt im weiteren Lockdown so weit, dass wir keine öffentlichen Gottesdienste stattfinden lassen. Das ist ja ein Schritt, den Deutschland noch nicht gegangen ist. Im aktuellen Herbst-Lockdown zumindest. Ist das eine schwierige Entscheidung gewesen, so weit zu gehen und auch weiter als Deutschland?

Lackner: Das war natürlich eine sehr, sehr schwere Entscheidung, muss ich sagen. Es ist ja auch relativ schnell gegangen. Bei diesem zweiten Lockdown hatten wir zuvor auch einen "Lockdown Light", wo wir uns durchgerungen hatten, dass wir nicht zu diesen Gottesdiensten in kleiner Gemeinde, kleiner Zahl zurückkehren wollen, wie das im Frühjahr war, sondern dass wir in relativer Normalität feiern können. Natürlich mit Masken, mit Abstand.

Das war 14 Tage davor. Wir wussten, dass wird alles evaluiert werden. Wird sich das auswirken, dass die Zahlen wieder herunter gehen? Wir wussten das. Als es dann doch gekommen ist, war es doch wiederum überraschend, dass wir, die Bischöfe, uns von einem Tag auf den anderen zusammengesetzt haben, mithilfe einer Videokonferenz. Ich war am Freitag in Wien, habe dort die Pressekonferenz gehalten noch nach der Bischofskonferenz. Da habe ich dann schon gehört, dass am nächsten Tag so etwas kommen könnte und dass an uns herangetragen wird, dass die Kirche hier auch ihren Beitrag leisten soll. Das wurde nicht verordnet, wir haben auch nichts ausgehandelt. Aber wir haben dann doch in Einstimmigkeit der Bischofskonferenz uns durchgerungen. In Anbetracht dieser dramatischen Situation, dass das Gesundheitssystem, vor allem die Intensivmedizin an der Kippe steht, haben wir uns da durchgerungen. Das war schwer und ist auch ein großes Opfer, das unseren gläubigen Menschen abverlangt wird. Das weiß ich wohl.

Himmelklar: Deutschland hat ja in der aktuellen Lage trotz Schließung von Restaurants und Kultureinrichtungen Gottesdienste weiter offen gelassen, auch weil die Religionsgemeinschaften schlüssige Hygienekonzepte vorgelegt haben. Weshalb haben Sie sich in Österreich anders entschieden?

Lackner: Na gut, so genau habe ich das in Deutschland nicht verfolgt, wie dramatisch es dort ist, wie die Religionsgemeinschaften damit umgehen. Bei uns waren - muss man sagen - auch die Religionsgemeinschaften, also auch die anderen kirchlichen Gemeinschaften nicht unbedingt der Überzeugung, man müsse daran unbedingt festhalten. Da haben einige schon vorweg gesagt, sie verzichten freiwillig darauf. Also protestantische Gruppen haben das schon vorweg gesagt. Auch andere Religionen. Wir waren da ohnehin etwas hinten nach. Ich bin kein Mediziner, man ist auch wirklich angewiesen: Was sagen die, die Verantwortung tragen für das gesamte medizinische Konzept, dass das gewährleistet ist?

Das war der Grund, dass wir dann gesagt haben: Wir werden schauen. Und wir haben gesagt: Einige kirchliche Grundvollzüge müssen gegeben sein, auch in diesen schwersten Notzeiten. Da müsste man fast in den Untergrund gehen, wenn uns das verwehrt würde. Erstens, dass Gottesdienste gefeiert werden. Zweites sind Begräbnisse, dass Begräbnisse - hier in Österreich ist es jetzt mit 50 Personen - gefeiert werden können. Dass wir die Toten begraben, das ist ein wichtiger Punkt. Drittens, die Kranken und die Sterbenden: Wir hatten beim ersten Lockdown das Problem, dass wir in den öffentlichen Krankenhäusern und Altersheimen oft nicht den Sterbenden z.B. seelsorgerlich beistehen durften. Das wurde uns zugesichert, dass das nun anders ist. Und dann das Letzte: Es gibt ein Ablaufdatum. Das wird nicht monatelang so gehen. Das geht bis zum 6. Dezember, so ist das anvisiert. Knapp drei Wochen lang ist das also der Fall.

Himmelklar: Was bringt Ihnen Hoffnung in dieser schwierigen Lage?

Lackner: Hoffnung ist für mich der Glaube. Dass es so eine Ausrichtung gibt auf eine letzte Instanz. Ich werde von Kindern manchmal gefragt, wie ich mir den Himmel vorstelle. Zwei Sachen sage ich dann: Es gibt eine letzte Instanz. Es gibt einen letzten Fluchtpunkt, woraufhin wir ausgerichtet sind. Es gibt auch eine letzte Gerechtigkeit. Es gibt eine letzte Erlösung von allem, auch in der Not.

Ich habe das von meiner Mutter gelernt. Wir hatten zwei Kühe, damals ist eine Kuh gestorben. Wir konnten dann nicht mehr aufs Feld fahren im nächsten Jahr. Wir hatten keinen Traktor. Und in dieser tiefsten Not waren wir Kinder mit der Mutter in der Küche und haben gebetet vor dem Kreuz. Da sagt die Mutter: Wer weiß wozu das wieder gut ist? Es gibt einen heiligen Rest an Vertrauen, der unausrottbar ist. Das gibt mir Hoffnung. Ich habe auch schon einige Krisen durchgemacht. Wozu ist das wieder gut? Das hat einen Sinn von dieser letzten Instanz her, die wir Gott nennen, die wir als Jesus Christus bekennen.

Das Zweite, was ich den Kindern sage: Es muss niemand mehr sterben, damit ein anderer leben kann. Das sind meine zwei Dinge. Und das gibt mir Hoffnung, das lässt mich aufblicken.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.

Dies ist ein Auszug des kompletten Interviews, in dem Erzbischof Lackner auch über seine Zeit als UNO-Soldat und seinen persönlichen Weg zur Berufung berichtet. Das komplette Interview gibt es in der aktuellen Folge des Podcasts Himmelklar, ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch und Katharina Geiger.


Erzbischof Franz Lackner / © Neumayr (Erzdiözese Salzburg)

Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht (MDG)
Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht / ( MDG )
Quelle:
DR
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