Weltbildungsbericht warnt vor Folgen der Covid-19-Pandemie

Je ärmer die Länder, desto schlimmer die Bildungsungerechtigkeit

In Berlin diskutieren am Dienstag Politiker und Experten über den Weltbildungsbericht der Unesco: Es geht vor allem um Inklusion und die Corona-Pandemie. Was steht drin? Und was ist jetzt zu tun? Sechs Fragen und Antworten.

Autor/in:
Alexander Riedel
Schüler mit Mundschutz / © Christian Charisius (dpa)
Schüler mit Mundschutz / © Christian Charisius ( dpa )

Bis 2030 sollen alle Menschen auf der Welt in den Genuss hochwertiger Bildung kommen - so das Ziel der Vereinten Nationen. Wie weit die Staatengemeinschaft bei der Bekäpfung der Bildungsungerechtigkeit gekommen ist, prüft die Bildungs- und Kulturorganisation Unesco jährlich mit ihrem Weltbildungsbericht. Unter dem Titel "Inklusion und Bildung: Für alle heißt für alle" warnen die Autoren in diesem Jahr auch vor den Folgen der Corona-Krise. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beantwortet die wichtigsten Fragen zum bereits im Juni veröffentlichten Bericht, dessen Bedeutung für Deutschland Politiker und Experten am Dienstag in Berlin diskutieren:

Wie steht es weltweit um gerechte Chancen im Bildungsbereich?

Geschätzte 258 Millionen Kinder und Jugendliche weltweit besuchten laut Bericht schon vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie keine Schule. Dies entspricht einem Anteil von 17 Prozent, also etwa jedem sechsten Heranwachsenden. Mehr als 90 Prozent der Betroffenen leben in vier Weltregionen: Subsahara-Afrika, Zentral-/Südasien, Ost-/Südostasien und Nordafrika/Westasien. Die Entwicklung war indes lange positiv: Seit den 1990er-Jahren gingen sowohl die absolute Zahl der Nicht-Schulbesucher als auch ihr Anteil an allen Kindern zurück. Zuletzt gab es in Subsahara-Afrika allerdings - bedingt durch das Bevölkerungswachstum - einen Anstieg bei der Anzahl.

Ist denn alles in Ordnung, sobald Kinder in die Schule gehen?

Der Schulbesuch gilt natürlich als Grundvoraussetzung für Bildungschancen. Doch warnt der Bericht auch davor, dass weltweit Millionen weitere Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer Herkunft, Identität oder einer Behinderung innerhalb des Bildungssystems ausgegrenzt würden. So sei etwa in jedem vierten Land die getrennte Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung gesetzlich vorgeschrieben. In Asien, Lateinamerika und der Karibik existierten sogar in mehr als 40 Prozent der Staaten entsprechende Regelungen. In vielen Ländern werde zudem auch Minderheiten und Geflüchteten noch immer kein hinreichender Zugang zu hochwertiger Bildung gewährt.

Welche Hürden verhindern gleiche Bildungschancen?

Die Autoren des Berichts sehen Armut weiterhin als entscheidende Hürde für Bildungserfolg. Lässt man die wohlhabenden Staaten Europas und Nordamerikas einmal außen vor, so ist das Bild eindeutig: Während 100 Jugendliche aus reichen Familien die Sekundarschule abschließen, sind es im Vergleich aus armen Familien nur 18. Auch besuchen ärmere Kinder deutlich seltener überhaupt weiterführende Schulen.

Welche Auswirkungen hat die Covid-19-Pandemie?

Die Corona-Krise werde die Bildungsungerechtigkeit weiter festigen, warnt der Bericht. Mehr als 90 Prozent der Heranwachsenden weltweit seien von Schulschließungen betroffen gewesen oder noch betroffen. Insbesondere viele der ärmsten Mädchen würden vielleicht nie wieder in die Schule zurückkehren. Von "einer historisch beispiellosen Erschütterung der Bildung" ist die Rede. Während der Pandemie haben zum Beispiel rund 40 Prozent der ärmeren Länder keine Schritte zur Unterstützung der vom Ausschluss bedrohten Lernenden unternommen. Zudem drohe die jährliche Finanzierungslücke für Bildung in ärmeren Ländern durch die Pandemie von 148 Milliarden US-Dollar um bis zu ein Drittel auf fast 200 Milliarden US-Dollar anzusteigen.

Was empfehlen die Autoren des Berichts?

Zentrale Empfehlung ist, dass alle Bildungsakteure ihr Verständnis von inklusiver Bildung erweitern sollten. Niemand dürfe diskriminiert oder abgelehnt werden, weder wegen seiner Identität, seines Geschlechts, seiner Religion noch wegen einer Behinderung. Die Umsetzung von gerechter Teilhabe für alle müsse bereits bei der Ausbildung von Lehrkräften als Kernelement behandelt werden. Auch Vielfalt innerhalb des Bildungspersonals selbst fördere Inklusion, schreiben die Autoren. Benachteiligte Schüler müssten zudem gezielt finanziell unterstützt werden. Nicht zuletzt sollten alle Länder Daten zu denjenigen, die bei der Bildung zurückgelassen werden, erheben und nutzen. Und Bildungsakteure sollten regional und global voneinander lernen.

Welche positiven Beispiele nennt der Bericht dafür?

Als konkretes Beispiel aus deutscher Sicht stellt die Unesco in diesem Jahr die Marie-Kahle-Gesamtschule Bonn heraus. Die 2009 gegründete Schule sei ein Vorreiter inklusiver Bildung und ermögliche den Schülern ein selbstbestimmtes Lernen in ihrem eigenen Tempo. Auch in anderen Ländern fand die Organisation aus ihrer Sicht innovative Ansätze für mehr Bildungsteilhabe: So existierten auf Kuba, in Malawi und der Ukraine Kompetenzzentren, die allgemeine Schulen dabei unterstützten, Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu unterrichten. In Gambia, Neuseeland und auf Samoa würden mobile Lehrkräfte eingesetzt, um benachteiligte Gruppen zu erreichen. Der indische Bundesstaat Odisha verwende 21 Stammessprachen in seinen Klassenzimmern. Und Kenia passe seinen Lehrplan an den Kalender der im Land lebenden Nomaden an.


Quelle:
KNA