Präses Rekowski zu Konsequenzen der Corona-Krise für die Kirchen

"Die Relevanz des Evangeliums hängt nicht von den Zahlen ab"

Weniger Kirchensteuereinnahmen und Gemeindeleben auf Sparflamme: Die Corona-Krise verlangt den Kirchen viel ab. Umso entschlossener müssten jetzt neue Formen kirchlichen Lebens vorangetrieben werden, fordert Präses Rekowski.

Präses Rekowski: "Die Relevanz des Evangeliums hängt nicht von den Zahlen ab" / © Grzegorz Zdziarski (shutterstock)
Präses Rekowski: "Die Relevanz des Evangeliums hängt nicht von den Zahlen ab" / © Grzegorz Zdziarski ( shutterstock )

epd: In Corona-Zeiten ist vieles anders. Fahren Sie in diesem Sommer in den Urlaub?

Manfred Rekowski (Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland): Mein Osterurlaub ist Corona zum Opfer gefallen, aber jetzt im Sommer fahre ich an die Nordsee und freue mich auf einen hoffentlich ruhigen und erholsamen Urlaub. Wind ist gut, Sonne darf sein, dazu das Rauschen des Wassers - das reicht fast schon.

epd: Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wurden inzwischen in Deutschland weitgehend gelockert. Wie sieht es in den Kirchen aus?

Rekowski: Es ist unsere Aufgabe als Kirche zu verhindern, dass wir zur weiteren Ausbreitung der Pandemie beitragen. Deshalb sind Schutz und Vorbeugung absolut geboten. In diesem Sinne sind wir in der Evangelischen Kirche im Rheinland in den vergangenen Monaten einen sehr verantwortungsvollen Weg gegangen. Seit einigen Wochen besuche ich an meinem Wohnort Wuppertal wieder Präsenzgottesdienste - mit Desinfizieren der Hände, Mundschutz bis zu meinem zugewiesenen Platz, viel Abstand zu den anderen und ohne Gesang. Auf dem Kirchplatz kann man sich anschließend an der frischen Luft und mit dem gebotenen Abstand in kleinen Gruppen unterhalten.

Wir haben für das kirchliche Leben in der Corona-Zeit gute Standards entwickelt, auch wenn noch nicht alles wieder so ist wie gewohnt - zum Beispiel wird noch keineswegs überall wieder Abendmahl gefeiert. Diese Linie, den Gesundheitsschutz ernst zu nehmen, hat sich bewährt und ist auch alltagstauglich.

epd: Was wird aus großen Feiern wie Konfirmationen? Da war mal ein Nachholen im Herbst angedacht.

Rekowski: Uns liegt natürlich daran, lebensgeschichtlich bedeutsame Ereignisse wie eine Konfirmation nicht dauerhaft in eine Warteschleife zu schicken. Es ist aber kaum möglich zu prognostizieren, wann derlei Veranstaltungen wieder ähnlich wie vor der Corona-Krise begangen werden können. Mit dieser Unsicherheit müssen wir umgehen und eine Praxis für möglicherweise langfristig unsichere Verhältnisse finden. Einige Gemeinden wollen zum Beispiel Konfirmationen familienweise in kleinem Kreis feiern. Andere feiern mit der gesamten Konfi-Gruppe, dafür können dann nur wenige Familienmitglieder vor Ort teilnehmen. Diese Fragen regeln wir aber nicht zentral, sondern verlassen uns darauf, dass die Kirchengemeinden verantwortliche Regeln entwickeln.

epd: Wie wird die Landessynode im Januar ablaufen, auf der ja auch per Wahl über Ihre Nachfolge an der Spitze der rheinischen Kirche entschieden wird?

Rekowski: Wahrscheinlich wird es einen Mix geben aus teilweiser Präsenzveranstaltung und Videokonferenz.

epd: Die ehemalige thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) hat den Kirchen Versagen während der Corona-Pandemie vorgeworfen, hunderttausende Menschen seien allein gelassen worden. Ziehen Sie sich diesen Schuh an?

Rekowski: Diese Kritik ist nahezu ungetrübt von jeder Sachkenntnis. Man muss sich nur mal vor Augen führen, was die Kirchengemeinden in welchem Tempo hinbekommen haben, als der Lockdown kam, unter anderem mit einer sehr schnellen Entwicklung digitaler Formate. In den Kliniken haben viele Seelsorgerinnen und Seelsorger im Kontakt mit dem Personal Lösungen zur Begleitung von Menschen gefunden. Der schwierigste Bereich waren sicherlich die Altenpflegeheime, wo ein drastisches Zugangsverbot galt, um diese besonders gefährdete Gruppe zu schützen. Wir wollten und konnten auch nicht verantworten, dass ein engagierter Seelsorger ungeschützt - damals waren Schutzmasken und -kleidung häufig nicht verfügbar - als Virenschleuder von Zimmer zu Zimmer geht. Sicherlich gab es auch Fehleinschätzungen. Aber insgesamt bin ich mit dem Umgang der Haupt- und Ehrenamtlichen mit dieser Situation sehr zufrieden.

epd: Die Corona-Krise und steigende Austrittszahlen beschleunigen den Rückgang der Kirchensteuereinnahmen. Wie dramatisch ist die Situation?

Rekowski: Wir haben bislang die Zahlen für März und April, da beträgt das Minus 12 bis 13 Prozent. Nach der vor einem Jahr veröffentlichten Freiburger Studie könnte sich die Mitgliederzahl der beiden großen Kirchen bis 2060 halbieren. Bislang war davon auszugehen, dass der dadurch bedingte Einnahmerückgang noch ein paar Jahre durch die gute Wirtschaftsentwicklung ausgeglichen wird. Diesen Puffer gibt es durch die Corona-Krise nicht mehr. Das bedeutet, dass wir jetzt schneller und konsequenter als gedacht die großen Strukturen, die wir immer noch haben, an die kleiner werdenden Zahlen anpassen müssen. Das werden wir unaufgeregt, aber entschlossen, zielgerichtet und pflichtbewusst tun. Dabei ist mir wichtig zu betonen, dass die Relevanz des Evangeliums nicht von den Zahlen abhängt. Der Blick auf sinkende Kirchensteuereinnahmen entscheidet nicht darüber, ob wir noch Hoffnung für unser Leben und unsere Welt haben könnten.

epd: Lange vor Corona hat die rheinische Kirche beschlossen, auch auf neue Formen von Kirche zu setzen und sie finanziell zu unterstützen. Was erhoffen Sie sich davon?

Rekowski: Es ist ein sehr wichtiges Signal für eine veränderungsbereite Kirche, neben den bestehenden Formen kirchlicher Arbeit auch neue Initiativen zu fördern, von denen manche vielleicht Vorbildcharakter entwickeln. Auf der anderen Seite kann es sein, dass wir uns von manchem verabschieden, das keine Resonanz mehr findet.

epd: Ein EKD-Papier sieht vor, dass Mehrfachstrukturen in den 20 Gliedkirchen abgebaut und Kompetenzen bei der EKD oder einzelnen Landeskirchen gebündelt werden.

Rekowski: Dieser Vorstoß entspricht einem Beschluss, den unsere Landessynode 2010 gefasst hat. Von der Idee, dass jeder alles macht, werden wir uns verabschieden müssen. Muss sich beispielsweise wirklich jede Landeskirche einzeln um kirchliches Arbeitsrecht kümmern? Durch die Corona-Krise scheint es so zu sein, dass der finanzielle Druck alle Landeskirchen gleichzeitig trifft, dadurch wird die Kooperationsbereitschaft steigen.

epd: Die Gottesdienste an Heiligabend sind normalerweise die bestbesuchten im ganzen Jahr. Wie werden wir in diesem Jahr Weihnachten feiern?

Rekowski: Die gute Nachricht ist: Wir werden Weihnachten feiern. Wie - das wird nach den Sommerferien ein großes Thema sein. Es wird sicherlich nicht so sein wie in all den Jahren zuvor, dass man dicht gedrängt nebeneinandersitzt, sondern es wird Abstands- und Hygieneregeln geben. Diskutiert wird sicherlich, ob man die Zahl der Gottesdienste erhöht und Weihnachtsgottesdienste an anderen Orten als in der Kirche anbietet. Auch digitale Formate, die in der Corona-Zeit entstanden sind, werden angeboten werden.

Das Interview führte Ingo Lehnick.


Manfred Rekowski / © Erika Rebmann (KNA)
Manfred Rekowski / © Erika Rebmann ( KNA )
Quelle:
epd
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