Medizinethiker über Suche und Verteilung eines Corona-Impfstoffs

"Ein Jahr wird es sicher noch dauern"

Die Corona-Infektionszahlen gehen hierzulande zurück. Der Alltag kehrt vorsichtig zurück. Doch bis ein Impfstoff auf dem Markt ist, dauert es noch, sagt der Theologe und Medizinethiker Matthias Beck. Und nur mit der Herstellung ist es nicht getan.

Symbolbild Impfen / © PhotobyTawat (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Sie sind ja auch Pharmazeut, das heißt, Sie kennen sich ganz gut aus in dem Bereich, wo es ja gerade um Forschung und um diesen Impfstoff geht. Was würden Sie sagen, wie weit sind wir denn weg davon, einen Impfstoff zu bekommen?

Prof. Matthias Beck (Theologe und Medizinethiker an der Uni Wien): Wenn man mit Experten spricht, dann wird es wahrscheinlich doch noch ein Jahr dauern, bis Mitte nächsten Jahres. Das ist ja sehr kompliziert. Erstens muss man dieses Virus identifizieren. Das kann auch ständig mutieren, wie man das von den Grippeviren weiß. Deswegen muss man jedes Jahr neue Grippe-Impfstoffe herstellen. Und deswegen dauert es lange Zeit, bis man den findet.

Ich will noch ein Problem anschneiden: Es gab ja vor paar Jahren diese CRISPR-Cas9-Methode, womit man genetisch Viren, Bakterien und andere Organismen manipulieren könnte. Es könnte sein, dass dieser Virus manipuliert worden ist. Das hat aber gar nichts mit Verschwörungstheorien zu tun. Sondern es kann sein, dass es im Labor hergestellt worden ist. Und dadurch ist es so schwer, ihn zu erkennen, ihm habhaft zu werden und auch einen Impfstoff zu entwickeln. Also: Ein Jahr wird es sicher noch dauern.

DOMRADIO.DE: Könnte es auch sein, dass vielleicht nie einer kommt?

Beck: Ja, das könnte auch sein. Schauen Sie: Wie funktioniert eine Impfung? Bei einer Impfung gibt man eine kleine Dosis, sodass das Immunsystem darauf reagiert. Das Problem bei diesem Coronavirus ist, dass das Immunsystem total verrückt spielt. Es erkennt diesen Virus nicht richtig und überreagiert. Deswegen ist es etwas ganz anders als bei den Grippeviren. Es gibt eine sogenannte Autoimmunreaktion, ein Multi-Organversagen. Es gibt Embolien, die Gefäße sind betroffen bis hin zu Gehirnschäden und es hat auch schon Querschnittslähmung gegeben.

Das heißt, dieses Virus an sich ist deswegen so gefährlich, weil es das Immunsystem durcheinander bringt. Deswegen hat man jetzt dieses Medikament Remdesivir eingeführt. Das behandelt überhaupt nicht die Krankheit oder vernichtet nicht das Virus, sondern es unterdrückt das Immunsystem, was ein bisschen pervers zu sein scheint, weil ja das Immunsystem das Virus abwehren soll.

Wir können überhaupt nur leben, weil das Immunsystem eben solche Viren und Bakterien abwehrt. Aber in diesem Fall spinnt das Immunsystem. Es spielt verrückt sozusagen. Und das versucht man jetzt mit diesem Medikament Remdesivir zu unterdrücken, damit das einigermaßen in Bahnen verläuft. Dieses Virus ist sehr kompliziert und deswegen dauert es sehr lange.

DOMRADIO.DE: US-Präsident Trump hat sich ja schon weite Teile dieses Corona-Medikaments, das Sie da ansprechen, gesichert. Man kann davon ausgehen, dass, wenn es erst einmal einen Impfstoff gibt, ihn natürlich alle zuallererst haben wollen und die, die am besten zahlen, dann vermutlich auch als Erste zum Zuge kommen. Wird das so sein?

Beck: Es wird ein Gerangel geben um die knappen Ressourcen. Ich habe gestern mit einer Expertin gesprochen und laut ihrer Aussage hat die WHO sich schon bemüht, mit den Firmen entweder Verträge zu schließen oder will noch Verträge schließen, sodass man hier auf eine gerechte Verteilung pocht und auch die armen Länder in Afrika, Asien, Südamerika berücksichtigt werden.

Und dann müsste man ein Ranking einbauen und sagen: die älteren Patienten zunächst. Bei Kindern scheint es ja nicht so gefährliche Auswirkungen zu haben. Ich hoffe, dass die Organisationen im Hintergrund schon daran arbeiten. Nur sie wissen, wie schwach die Weltgesundheitsorganisation ist. Amerika will da aussteigen oder ist schon ausgestiegen. Der ganze Streit mit China zeigt das.

Also, wenn so ein Impfstoff auf den Markt kommen sollte, wird es ein Gerangel geben. Deswegen sollte man versuchen, vielleicht von der UNO aus oder von der Weltgesundheitsorganisation aus, sich jetzt schon Gedanken zu machen, wie man diese knappen Ressourcen dann verteilt.

Denn das eine ist die Entwicklung des Impfstoffes. Ich sage, das dauert wahrscheinlich noch ein Jahr, und dann müssen sie mal acht Milliarden Dosen davon herstellen. Das dauert sicher auch noch mal ein halbes bis dreiviertel Jahr. Dann müssten sie die Länder koordinieren. Dann müssten in Indien Dosen hergestellt werden, in Europa welche hergestellt werden, in Amerika welche hergestellt werden. Die Frage ist: Wer würde das koordinieren? Würden das die Firmen selber machen? Würde das die UNO vielleicht machen? Würde das die Weltgesundheitsorganisation machen? Also die Logistik ist äußerst kompliziert, in so kurzer Zeit eine derartige Menge herzustellen.

DOMRADIO.DE: Sind das denn dann ungetestete Impfstoffe, von denen wir auch gar nicht wissen, was die ansonsten noch anstellen?

Beck: Das geht gar nicht. Also jetzt muss ich vorsichtig formulieren. Nach europäischen Maßstäben und ich würde auch sagen nach amerikanischen Maßstäben, geht das überhaupt nicht. Was die Chinesen machen, das ist ein diktatorisches Regime, die nehmen jetzt nicht so viel Rücksicht auf Nebenwirkungen und ob da mal nicht irgendwelche Unfälle passieren mit Menschen.

Nach europäischem Gesichtspunkt geht das gar nicht. Man wird versuchen, vielleicht das Prozedere zu beschleunigen, das man sagt: Wir kennen schon ein bisschen vom Ebola-Virus, wie so ein Impfstoff funktionieren könnte. Aber es darf nicht sein, dass die Nebenwirkungen höher sind als die Wirkung. Das geht unter gar keinen Umständen.

Das Interview führte Verena Tröster


Quelle:
DR
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