Ministerpräsident Kretschmann zu Corona und den Kirchen

Ostern war "sehr hart"

Die Politik muss in der Krise auf Sicht fahren, "so etwas wollen wir eigentlich vermeiden", sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann und erläutert unter anderem die Logik hinter den Kirchenschließungen und baldigen Öffnungen.

Mit Maske: Winfried Kretschmann (dpa)
Mit Maske: Winfried Kretschmann / ( dpa )

HIMMELKLARIhr Bundesland hat jetzt eine Maskenpflicht eingeführt und will bald die Kirchen für die Gottesdienste wieder öffnen. Wie sieht Ihr Alltag in Baden-Württemberg aus in diesen Zeiten?

Winfried Kretschmann (Ministerpräsident von Baden-Württemberg): Erst einmal ist es so, dass man unter einem ständigen Druck arbeitet. Das ist der Druck des Unbekannten, weil wir dieses Virus nicht wirklich kennen. Wir wissen zu wenig über seine Folgen und können nur auf Sicht fahren. Wir wollen es in der Politik normalerweise vermeiden, im Nebel herumzustochern. Jetzt kann man nur stückchenweise arbeiten. Das ist das Erste. Das Zweite ist, dass man Kontakte vermeiden muss und man telefoniert sich jetzt sozusagen das Ohr ab. Es ist schon ziemlich ungewohnt nur über Telefon oder Videokonferenzen, die auch schon mal technische Probleme haben, zu arbeiten. Die Arbeit lebt ja eigentlich von Gesprächen und der Reaktion der anderen, die man ja normalerweise sieht. Andererseits arbeitet man konzentrierter. Am Ende vom Tag lässt es mich oft nicht los und geht mir nach. Man schläft schlecht ein und wird zu früh wieder wach. Insgesamt ist alles etwas befremdlich.

HIMMELKLAR: Also ein Dauerlauf oder Marathon?

Kretschmann: Es wird ja lange so bleiben. Man fragt sich, ob das durchzuhalten ist. Zur Zeit befolgen die Menschen in wundersamer Weise diese ganzen strengen Regeln, die wir erlassen haben. Im Kern sind es die Bürgerinnen und Bürger, die uns da unglaublich helfen, weil sie sich sehr konsequent an diese einschneidenden Maßnahmen halten. Es heißt, dass man so zusammen den Virus eindämmen kann und das scheint uns zu gelingen. Es ist aber sehr fragil und kann jederzeit wieder kippen. Jetzt haben wir geöffnet, die Frage ist, ob das wieder zum Ansteigen führt. Das muss man abwarten.

HIMMELKLAR: Wann ist bei Ihnen der Moment gekommen, wo Sie gemerkt haben, dass das jetzt außergewöhnliche Maßnahmen erfordert und nicht unbedingt Alltagsroutine ist?

Kretschmann: Das war wenige Tage, bevor wir diese Schulschließungen gemacht haben. Da wurde es auf einmal offensichtlich, dass wir jetzt eingreifen müssen. Ich kann mich noch erinnern, da gab es noch ein Fußballspiel, VfB gegen Bielefeld. Das wollten wir eigentlich am Morgen absagen, mussten es aber stattfinden lassen, weil die Fans schon alle unterwegs waren. Sie hätten sich ansonsten vor dem Stadion zusammengeballt und es wäre epidemiologisch nichts gewonnen gewesen. Das war der Tag, wo wir schon eigentlich hart eingreifen mussten, aber sozusagen schon einen Tag zu spät dran waren. Es waren die Tage wo klar war, es ändert sich radikal. 

HIMMELKLAR: Jetzt sind wir ja politisch in der Situation, dass immer mehr Bundesländer die Maskenpflicht einführen. Das haben Sie für Baden-Württemberg ja auch schon gemacht. Inzwischen sind alle 16 Bundesländer dabei. Als Außenstehender fragt man sich, warum das so schwierig ist das unter den Ländern zu koordinieren. Stimmen Sie sich auf anderen Kanälen nochmal ab? Sprechen Sie mit Ihren Kollegen noch einmal hinter den Kulissen oder macht da so jeder sein Ding?

Kretschmann: Nein, nein. Es wird sogar viel herumtelefoniert unter den Kollegen. Das läuft ganz gut. Wenn ich an die vorletzte Konferenz denke, wo wir das zum ersten Mal beschlossen haben, die hat zwei Stunden gedauert und wir haben uns auf den grundlegenden Kurs geeinigt. Bei der Maskenpflicht waren auch die Fachleute lange uneins, ob solche einfachen Masken überhaupt sinnvoll sind. Das hat sich dann geändert und deshalb ist das alles so zögerlich verlaufen. Die Unsicherheit aus der Wissenschaft hat da noch nachgeschwungen. Das hat sich jetzt aber geklärt. Deshalb erscheint es etwas uneinheitlich, weil bisher keine einheitliche Meinung geherrscht hat. Wir sind ja auf den Rat der Wissenschaft angewiesen. Zum Schluss waren alle der Meinung, dass es auf jeden Fall hilft und plausibel ist. Wissenschaftler möchten ja alles wissenschaftlich belegt haben. Die Untersuchungen zur Maskenpflicht sind so zusammengeflossen. Auf der letzten Ministerpräsidentenkonferenz hatten wir uns geeinigt, kein Gebot auszusprechen, sondern nur eine dringende Empfehlung, weil wir die Masken selber nicht liefern können. Man muss natürlich aufpassen bei einem Gebot, dass es auch erfüllt werden kann. Ein Schal oder ein Tuch hat ja jeder und kann diese auch benutzen. Somit konnten wir das Gebot aussprechen.

HIMMELKLAR: Eine Frage die uns als Katholiken interessiert und die Sie persönlich auch betreffen wird, ist die der Gottesdienstverbote. Die sollen nun aufgehoben werden im Mai in Ihrem Land. Können Sie uns da in den Entscheidungsprozess ein bisschen mitnehmen? Was ist da besprochen worden und Ihnen durch den Kopf gegangen?

Kretschmann: Erstmal ist ein solches Verbot ein tiefer Eingriff in die Religionsfreiheit, die ja grundgesetzlich uneingeschränkt garantiert ist. Zweitens sind gerade Gottesdienste aber infektiologisch hoch problematisch. Es sind da sehr viel mehr ältere Menschen als im Durchschnitt und es wird gesungen. Das führt zu einer starken Exposition von Tröpfchen in der Luft und außerdem ist man da lange zusammen. Aus infektiologischer Sicht ist das problematisch. Ja, gerade Gottesdienste. Deswegen haben wir da erstmal sehr rigorose Maßnahmen beschlossen, allerdings waren die Kirchen damit einverstanden und haben es selber auch propagiert in ihren Gemeinden.

Das hat auch etwas mit Nächstenliebe zu tun in so einer Situation. Das wissen wir ja aus der Schrift: Seinen Nächsten zu lieben ist manchmal etwas Ungewöhnliches, weil auch ein Fremder mein Nächster ist. Ich muss das Leiden des Barmherzigen Samariters nennen. Es gibt immer auch etwas Paradoxes in der Nächstenliebe. Das Paradoxe ist in der Pandemie eben auf Abstand zu bleiben. Dann gilt es mal das Jesuswort im Kämmerlein zu beten.

Die Kirchen sind damit sehr gut und originell umgegangen. In einer Gemeinde haben die Gläubigen einfach ihr Foto auf die Bank gestellt, sodass der Priester einfach vor den Bildern seiner Gläubigen die Messe gefeiert hat. Auch über Streaming-Gottesdienste oder Gottesdienste über das Fernsehen wurde mitgefeiert. Das gibt es ja in der Regel auch.

Also wenn man gemeinschaftlich beten will, dann gibt es dafür immer auch Möglichkeiten. Die sind auch genutzt worden und das ist doch etwas sehr Tröstliches. Wir werden es jetzt aber auch wieder öffnen und besprechen das mit den Kirchen, wie das am besten organisiert werden kann. Dann wird es im beschränkten Umfang möglich sein, Gottesdienste zu feiern, die Abstandsregeln müssen eingehalten werden. Die Pandemie nimmt gerade ab und jetzt können wir auch vorsichtig öffnen.

HIMMELKLAR: Was macht das denn mit Ihnen persönlich, wenn Sie wissen, dass Sie in nächster Zeit nicht so normal zum Gottesdienst gehen können, wie das sonst üblich ist?

Kretschmann: Vor allem an Ostern, das war schon hart. Das muss ich wirklich sagen. An Ostern nicht in die Osternacht gehen zu können, das hat schon sehr geschmerzt. Es sind dann für mich keine richtigen Ostern. Das war sehr schmerzlich. Es ist ja das wichtigste Fest für einen Christen und es ist der Kern des christlichen Glaubens. Insofern hat Ostern aber auch immer etwas Tröstliches. Selbst wenn wir sterben, wissen wir, dass wir nicht ins Nichts hinein sterben, sondern wir finden Gott.

HIMMELKLAR: Herr Ministerpräsident, was bringt Ihnen Hoffnung im Moment?

Kretschmann: Hoffnung bringt ganz realistisch gesehen der Impfstoff, wenn er dann einmal kommt. Nur der wird die Pandemie beenden können. Hoffnung im christlichen Sinne bringt mir, dass ich sehe, dass die Nächstenliebe wieder sehr, sehr sichtbar wird. Die Menschen stehen sich in der Krise gegenseitig bei und helfen einander. Das ist doch wirklich sehr ermutigend.

Wir haben in dieser Krise sehr gelitten und es wird auch schwere Folgen haben, es mussten viele Menschen sterben. Auch die Wirtschaft leidet. Aber das Hoffnungsvolle ist vielleicht, dass wir auch gestärkt aus der Krise herausgehen können, weil wir merken, dass wir alle zusammen gehören. Das merkt man in Krisen mehr wie sonst.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Hinweis:

Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.

 

 


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