Abt Tissen über das Leben in der Corona-Krise

Auch für Mönche ein Balanceakt

Seit einem Monat lebt Deutschland in Isolation. Die Benediktiner tun das seit Jahrhunderten. Der Abt vom Kloster Kornelimünster hat Ratschläge gegen den Lagerkoller und erklärt, warum die Mönche ihre Gottesdienste "ohne Inszinierung" streamen. 

Symbolbild: Ein Benediktiner geht durch einen Klosterflur / © Simon Koy (KNA)
Symbolbild: Ein Benediktiner geht durch einen Klosterflur / © Simon Koy ( KNA )

DOMRADIO.DE: Stimmt es, dass Sie weniger Kontakt mit der Außenwelt haben als manch anderer?

Abt Friedhelm Tissen (Abt des Klosters Kornelimünster der Benediktiner in der Nähe von Aachen): Das ist ja der Grundgedanke klösterlichen Lebens. Wir sind Mönche und der Begriff Mönch kommt von Monos, allein lebend. Aber wir leben als Einzelne in Gemeinschaft. Das ist beides da, selbstständig sein, alleine sein und zugleich in Gemeinschaft leben.

DOMRADIO.DE: Bei den Ordensgemeinschaften gibt es ja die verschiedensten Versionen. Einmal die, die hinter den Klostermauern eingeschlossen sind und die, die in der Welt leben. Wie ist das bei Ihnen als Benediktiner?

Tissen: Wir sind, möchte ich so sagen, eine Art Mischform. Wir leben gemeinsam im Kloster, aber haben auch unsere Aufgaben zum Teil außerhalb des Hauses. Ein Bruder etwa doziert Altes Testament in Sankt Augustin, ein anderer leitet als geistlicher Leiter einen Jugendverband im Bistum Aachen und wir haben unsere Gästezimmer. Das sind insgesamt 20 Gästezimmer, die natürlich momentan alle leer sind, und das merken wir nach einigen Wochen schon. Da fehlt jemand, da fehlen Leute, da fehlt auch ein wenig "Betrieb".

DOMRADIO.DE: Wenn Sie grundsätzlich drauf schauen, was ist jetzt anders bei Ihnen als vor drei oder vier Wochen?

Tissen: Wir sind unter uns. Wir sind sechs Mönche und eine Dame ist für einige Wochen dabei, die unsere Pforte behütet. Wir sind ein Stück auf uns zurückgeworfen, sage ich mal. Wir pflegen weiter unser Stundengebet, das wir auch dank der modernen Technik über YouTube und Skype übertragen, mal nur mit Ton, mal mit Bild und Ton. Das wird dankbar angenommen und ansonsten, wie gesagt, sind wir wesentlich auf uns selber konzentriert.

DOMRADIO.DE: Wie kommt man denn damit klar? Geht man sich da irgendwann gegenseitig auf die Nerven?

Tissen: Das kann passieren. Es hat in den letzten zwei Wochen zwei Mal geknallt. In einem Fall ist alles wieder gut geworden, das andere dauert noch ein bisschen, aber das ist einfach menschlich, finde ich. Wir haben ja nun breite Klostergänge, jeder hat sein eigenes Zimmer, da kann man sich auch im guten Sinne mal aus dem Wege gehen. Das wichtigste ist immer noch das gemeinsame Beten und Essen. Und wir haben auch gemeinsame Freizeit, wenn wir abends für eine gute halbe Stunde zusammensitzen und einfach ein wenig klönen.

DOMRADIO.DE: Was würden Sie denn den Familien oder den Wohngemeinschaften raten, die jetzt das erste Mal in der Situation sind, dass man längere Zeit quasi zusammen eingesperrt ist?

Tissen: Ich denke, dass es wichtig ist, die Balance vom Zusammensein und vom Alleinsein zu lernen. Ich meine es war Dietrich Bonhoeffer, der einmal in seinem Büchlein Gemeinsames Leben gesagt hat: "Wer nicht alleine sein kann, hüte sich vor der Gemeinschaft - und wer nicht in Gemeinschaft leben kann, hüte sich vor dem Alleinsein." Das ist so eine Art Wechselspiel und das will gelernt und eingeübt sein.

Das ist natürlich für Menschen, die etwa kleinere Wohnungen haben, eine große Herausforderung, zumal ja in diesen Tagen das Hinausgehen verständlicherweiseeinfach sehr stark unterbunden ist. Aber das kann für viele eine sehr, sehr große Herausforderung sein und ich denke, da wird nicht nur so mancher Knall passieren, sondern auch heftige Auseinandersetzungen.

DOMRADIO.DE: Haben Sie ein Geheimrezept, wie man damit umgeht, außer zu versuchen sich aus dem Weg zu gehen?

Tissen: Nein, ein Geheimrezept habe ich keines.

DOMRADIO.DE: Versuchen Sie jetzt bei den Gebeten Sicherheitsabstand einzuhalten oder wie kann man sich das vorstellen?

Tissen: Normalerweise sitzen wir auf unseren Stühlen im Oratorium nebeneinander und haben jetzt immer einen Stuhl dazwischen freigelassen. Ich denke, das ist wichtig und hilfreich. Es macht ja keinen Sinn, leichtsinnig zu werden.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn mit der Stimmung bei Ihren Brüdern und Ihnen aus? Es ist ja auch etwas, was in der Gesellschaft zu einer Verunsicherung oder Ängstlichkeit führen kann. Kommt das bei Ihnen auch schon an?

Tissen: Ängstlich würde ich nicht sagen. Der eine ist ein bisschen genauer im Einhalten von diesem oder jenem, die anderen sind da ein wenig großzügiger oder die ficht das nicht so an. Aber im Allgemeinen habe ich nicht den Eindruck, dass hier überall ängstliche Gestalten in unserer Gemeinschaft herumlaufen.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es mit der Versorgungslage aus? Bekommen Sie alles, was Sie brauchen?

Tissen: Wir bekommen alles, angefangen von Toilettenpapier bis über ich weiß nicht was. Also, wir lassen liefern, schon seit geraumer Zeit. Wir haben eine Wochenbestellung und da haben wir bisher noch keine Ausfälle gehabt, soweit ich weiß. Jedenfalls nicht spürbar für mich.

DOMRADIO.DE: Aber eigentlich ist das doch schon fast ein Wiederspruch. Wir als Christen sollen ja offene Türen haben, wir sollen auf Menschen zugehen und Nächstenliebe haben. Alles das geht im Moment nicht. Ist das nicht schwierig zusammenzubringen?

Tissen: Es ist ja nicht die einzige Form von Nächstenliebe. Ich oder andere Mitbrüder telefonieren oder mailen verstärkt. Ich mache es so bei einigen Leuten älteren Datums, die bei uns regelmäßige Kirchbesucher sind. Ich rufe sie einmal die Woche an und frage nach ihrem Wohlbefinden und ob sie gesund sind oder etwas brauchen. Ein solches Telefonat kann mal länger dauern oder kurz sein, wenn die gut aufgehoben sind, ist es gut und andererseits, finde ich, ist es so ein Zeichen: Wir wissen, dass ihr nicht da seid und wir wissen, dass ihr euch nach uns sehnt. Das, finde ich, ist ein ganz wichtiges Zeichen oder, wie Sie gerade sagten, auch Nächstenliebe.

DOMRADIO.DE: Wie reagieren die Leute darauf? Sind sie froh darüber?

Tissen: Ja natürlich. Wir haben hier in direkter Nachbarschaft ein Ehepaar, dass an Corona erkrankt ist und ich hatte dann ihre Kinder angerufen. Der Sohn war hoch erfreut, dass ich mich einfach erkundigte, wie es ihm und seinen Eltern geht. Da kann dank der modernen Technik, die heute möglich ist, sehr viel geschehen.

DOMRADIO.DE: Ist das vielleicht auch etwas, das momentan ein bisschen untergeht, dieses Zwischenmenschliche? Man hat ja fast den Eindruck, dass jeder nur noch auf allen möglichen Wegen versucht, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen.

Tissen: Das ist natürlich einerseits richtig, andererseits sind bei dem herrlichen Wetter viele Menschen unterwegs. Wir haben eine Kapelle am Rand unseres Grundstücks, die öffentlich zugänglich ist. Der Mitbruder, der sie versorgt, erzählt immer wieder: "Ich habe den und die getroffen und die haben was erzählt." Dann kommt schonmal aus der Reihe der Mitbrüder die Antwort mit Sicherheitsabstand. Also da geschieht schon eine ganze Menge.

DOMRADIO.DE: Würden Sie den Leuten denn anraten, in die Kirche zum Gebet zu gehen oder in die Kapelle zu Ihnen zu kommen? Oder haben Sie Angst, dass dann zu viele Leute kommen?

Tissen: Selbstverständlich. Die Kirche ist den ganzen Tag bei uns offen und wenn wir zur Pforte an der Kirche gehen, gehen einige Mitbrüder meist in die Kirche hinein und schauen, ob jemand da ist. Kennt man die Leute, sagt man "Hallo" oder anderen nickt man einfach zu. Da ist durchaus Bewegung in der Kirche.

DOMRADIO.DE: Also gibt es ein geistliches, kirchliches Leben, auch wenn der Gottesdienst nicht öffentlich ist?

Tissen: Ja natürlich. Oder was zu Hause geschieht, wenn Leute an unseren gestreamten Gottesdiensten teilnehmen. Das ist nicht die "Hochform", aber es ist besser als gar nichts. Und Menschen können sich mit uns verbunden fühlen und wissen sich mit uns verbunden.

DOMRADIO.DE: Ist es eigentlich schwierig, das technisch umzusetzen? Gefühlt versucht jede zweite Gemeinschaft, Livegottesdienste ins Internet zu stellen. Stellen Sie sich da einfach mit der Handykamera hin oder wie machen Sie das?

Tissen: Da steht ein Laptop auf einem Tisch und wir beten unsere Stundengebete. Das ist kein großer technischer Aufwand. Das wollen wir auch nicht. Wir machen ja keine Inszenierung, sondern wir beten und wer möchte, kann auf diesem technisch möglichen Weg daran teilnehmen.

DOMRADIO.DE: Was bringt Ihnen Hoffnung in dieser nicht einfachen Situation?

Tissen: Hoffnung bringt mir natürlich, dass die Zeit irgendwann zu Ende geht. Ich war bis vor kurzem noch so leichtsinnig oder mutig, was auch immer, zu denken, dass am Weißen Sonntag alles vorbei ist. So wie ich jetzt die Mitteilungen mitbekomme, ist es noch lange nicht so weit. Wir müssen uns einüben, da müssen wir Wege finden, aber vor allen Dingen die Hoffnung nicht aufgeben.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Abt Friedhelm Tissen OSB (Abtei Kornelimünster)
Quelle:
DR