Salem-Schulleiter Westermeyer über Bildung statt Notenwahn

"Werde, wer Du bist!"

Bernd Westermeyer leitet seit 2012 das Internat Schloss Salem - eine der renommiertesten Privatschulen Deutschlands mit 600 Schülern aus aller Welt. Im Interview blickt er zum 100. Gründungstag auf die Corona-Krise.

Bernd Westermeyer / © Felix Kästle (dpa)
Bernd Westermeyer / © Felix Kästle ( dpa )

Katholische Nachrichtenagentur (KNA): Wie geht Ihre Schule mit dem Corona-Ausnahmezustand um?

Bernd Westermeyer (Leiter des Internats Schloss Salem): Es gibt natürlich wie in allen Schulen im Land keinen Unterricht mehr, aber unser Internat läuft in einer Art Notbetrieb weiter. Von unseren rund 600 Schülerinnen und Schülern sind derzeit noch etwa 150 hier. Wir haben die Pflicht, ihnen beizustehen. Viele kommen selbst aus Risikogebieten, wir könnten sie jetzt unmöglich nach Hause schicken.

KNA: Prinz Max von Baden und der Reformpädagoge Kurt Hahn haben das Internat Salem 1920 vor genau 100 Jahren gegründet. Das wollten Sie in diesen Tagen eigentlich groß feiern...

Westermeyer: Das ist richtig, aber uns wurde schnell klar, dass wir das Jubiläum verschieben müssen. Denn nur so können wir es unbeschwert und ohne Angst begehen. Also feiern wir eben an Pfingsten 2021 unseren 101. Geburtstag.

KNA: Wie würden Sie das Leitbild von Salem zusammenfassen?

Westermeyer: Wir möchten Kindern und Jugendlichen ein politisches Bewusstsein vermitteln, das sie befähigt, nach der Schulzeit als Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Jenseits des Notenwahns der Gegenwart soll jedes Kind die Chance erhalten, seine individuelle Leidenschaft zu entdecken.

Unsere Schüler sollen herausfinden, wofür sie wirklich brennen. Das ist wichtig für ein erfülltes Leben, für die Zeit nach der Schule! Vielleicht könnte man es knapp so zusammenfassen: "Werde, wer Du bist!"

KNA: Ist das gemeinsame Leben und Lernen im Internat heute überhaupt noch zeitgemäß?

Westermeyer: Mehr denn je! Denn in der Internatsgemeinschaft lernen Kinder schon früh, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.

Unser Schulgründer Kurt Hahn sprach sogar von der Schule als Polis, als Schulstaat, der nur funktioniert, wenn jede und jeder zu seinem Gelingen beiträgt. Dieses Bewusstsein scheint mir in unseren aktuell krisenhaften Zeiten umso wichtiger. Wir brauchen Gegenmodelle zu neuen Nationalismen von US-Präsident Trump bis zum Brexit.

KNA: Aber steht dieser gesamtgesellschaftliche Anspruch nicht im Widerspruch dazu, dass sich nur privilegierte Kinder aus reichen Familien Salem leisten können?

Westermeyer: Nein, denn in Salem leben und lernen nicht nur Kinder aus wohlhabenden Familien, sondern auch von Hartz-IV-Empfängern. Ein Viertel unserer Schüler hat ein Stipendium, keine andere Privatschule in Deutschland dürfte eine so hohe Quote haben. Nicht wenige vermögende Eltern zahlen diskret ein höheres oder sogar das doppelte Schulgeld, um diese soziale Durchmischung zu ermöglichen. Und ich kenne keinen Fall, bei dem ein Kind, das Talent mitbrachte und zu uns wollte, aus finanziellen Gründen abgelehnt worden wäre.

Das Interview führte Volker Hasenauer


Quelle:
KNA