Journalist über die Corona-Situation in New York

"Eine Stadt, in der immer wieder auch aufgestanden wird"

Massengräber außerhalb der Stadt. New York ist Epizentrum der Corona-Pandemie in Amerika. Der Journalist Christian Fahrenbach lebt seit einigen Jahren in der Stadt und sieht Zeichen der Hoffnung: "Die Stadt hat schon ganz anderes durchgestanden."

Das Empire State Building und die Skyline von Manhattan hinter den Grabsteinen / © Mary Altaffer (dpa)
Das Empire State Building und die Skyline von Manhattan hinter den Grabsteinen / © Mary Altaffer ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie die Lage in New York?

Christian Fahrenbach (Freier Journalist aus New York): Ich finde, dass es erst einmal ein sehr komplexes Thema ist, bei dem man wirklich genau hinschauen muss. Die allererste Einordnung ist, dass New York als Stadt ungefähr bis zu neun Millionen Einwohner hat und man das in Deutschland sehr stark aus Filmen und Fernsehen kennt, wie extrem hier die Gegensätze sind.

Es gibt Straßenzüge, die zu den teuersten der Welt gehören, in denen ein Appartement 100 Millionen Dollar kostet. Dann gibt es aber auch gleichzeitig Stadtviertel, in denen der Anteil an Kindern, die von Essensmarken leben, so hoch ist, wie nirgendwo sonst in den USA.

Ich glaube das ist etwas, dass wir jetzt in dieser Krise sehen und was in dieser Berichterstattung untergeht, die einfach nur sehr alarmistisch ist. Eigentlich gibt es hier ein "A tale of two cities." Sprich, es ist einfach sehr unterschiedlich, wie die Menschen in der Stadt auf die Krise reagieren.

Die New York Times hatte über eine Dreiteilung berichtet: Wer reich ist, geht nach in die Hamptons in die Sommerhäuser und hat vor vier bis sechs Wochen die Stadt verlassen. Die Mittelschicht kann sich in ihre Wohnungen zurückziehen und virtuell weiter arbeiten und das ein bisschen aussitzen. Dann gibt es aber auch eine große Unterschicht, die vielleicht in Krankenhäusern arbeiten muss, Lieferanten sind oder in den Restaurants weiter arbeiten müssen. Sie stehen oft extrem am Abgrund, da sie meistens keine Krankenversicherung haben. Das sind dann oft die Bilder, die wir kennen.

DOMRADIO.DE: Was macht diese ganze Lage mit Ihnen emotional?

Fahrenbach: Ich habe letzte Woche ein interessantes Gespräch mit einem Freund gehabt. Ich glaube, weil wir uns professionell damit beschäftigen müssen, stecke ich ein bis zwei Wochen vor dem Empfinden der Allgemeinheit. Vor drei oder vier Wochen hatte ich auch große Angstmomente und habe mich gefragt, wie das alles werden soll. Wenn sie 30.000 Betten brauchen und es nur 3.000 gibt, dann wird das ja zum Armageddon und alles furchtbar.

Da habe ich angefangen, Leute bei Twitter zu identifizieren. Da gibt es einen Berater noch aus Obamas Gesundheitsteam, Andy Slavitt heißt er. Das beruhigt uns Europäer ja immer, wenn jemand schon bei Obama dabei war. Er redet mit den Gouverneuren, den Tafeln und auch mit dem Weißen Haus. Er hat sehr nüchtern schon vor drei oder vier Wochen die Situation erklärt. Vor zwei Wochen fing er an zu schreiben, dass er optimistischer sei als noch vor einer Woche. Gleichzeitig hat er auch geschrieben, dass es noch furchtbarer wird und dass wir noch sehr stark die Bilder der Toten sehen werden, weil es einen gewissen Zeitverlauf in der Krise gibt.

DOMRADIO.DE: Schauen wir uns das Ganze politisch an: Das, was bei uns ankommt, ist, dass Trump mit seiner Regierung immer absolutes Chaos verursacht. Gut, das war auch schon vorher so, aber jetzt in einer dramatischeren Situation. Kann man das denn tatsächlich so leicht vereinfachen, dass man sagt: Wir in Deutschland sind gut vorbereitet, wir haben eine ordentliche Regierung, die das hinbekommt. Trump, so wie er ist, schafft den USA Probleme und das Land wird dadurch dasjenige mit den meisten Todesfällen?

Fahrenbach: Ja und nein. Man muss auf der einen Seite verstehen, wie die USA als Land und in ihren Entscheidungsstrukturen gestaltet sind. Da ist es so, dass meiner Meinung nach zu viel auf Trump geschaut wird, weil Trump gar nicht so viele Befugnisse in der Ebene hat. Man kann sich in so einer Pandemie und Krise, das ist bei Naturkatastrophen genauso, Trump in seiner Weisungsbefugnis ungefähr so vorstellen wie den deutschen Bundespräsidenten. Er gibt moralisch den Weg vor und definiert den Kampfesgeist. Aber er ist nicht direkt der Manager in der Krise.

Unser Gouverneur hier, Andrew Cuomo, hat es ja auch schon nach Deutschland geschafft. Er schaut so ein bisschen aus wie ein Spielfilmgouverneur. Er ist sehr nüchtern, zeichnet uns aber auch sehr drastische Bilder. Wenn man ihn sieht, fühlt man sich auf jeden Fall anders aufgehoben, weil es niemand ist, der mit Zuckerguss den Leuten erklärt, dass in zwei Wochen wieder alles gut sein wird.

Nichtsdestotrotz hat Trump große Auswirkungen, einmal auf die Moral und zum anderen gibt es bestimmte Bundesfördermittel, die er zurückhalten und hinschicken kann. Da gibt es auch schon Fälle, wo man sieht, dass er das vor allem in Staaten schickt, deren Gouverneure nett zu ihm sind oder die wichtig für die Wiederwahl sind. Das sind natürlich alles extrem gruselige Entwicklungen.

Man sieht an Trump auch, finde ich, dass er katastrophal ist. Das ist gar keine Frage: Das Auflösen von Strukturen und "drain the swamp", wenn er immer erzählt, "den Sumpf von Korruption angeblich trocken legen zu wollen". Sein Vizepräsident leitet angeblich eine Anticorona-Unit, dann auch sein Schwiegersohn, den niemand je gewählt hat. Es stimmt also alles hinten und vorne nicht.

Es lohnt aber der Blick darauf zu schauen, was passiert in der Ebene darunter. Denn das sind wirklich die Entscheidungen, wo es darum geht, wie Krankenhäuser versorgt oder zusätzliche Kapazitäten aufgebaut werden.

DOMRADIO.DE: Also nicht immer nur auf den Präsidenten und die großen Schlagzeilen schauen. Lassen Sie uns einmal die Religionsgemeinschaften betrachten. In New York gibt es auch eine sehr große orthodoxe jüdische Gemeinschaft, die sich ja auch nicht immer vom Staat sagen lassen will, wo es langgeht. Wie gehen die denn alle mit der aktuellen Situation um?

Fahrenbach: Sie haben es schon angedeutet, dass die Religionslandschaft hier in den USA extrem weit aufgefächert ist. Man findet von sehr theologisch strikten, konservativen bis hin zu supermodernen Pfingstgemeinden alles mögliche.

Bei den orthodoxen Juden war zu Beginn der Krise Purim, also ein sehr fröhliches Fest, wo in großen Gemeinschaften zusammen gefeiert wird. Ich war zufällig auch gerade in den Gegenden von Brooklyn, um einen Freund zu treffen. Das war das letzte oder vorletzte Mal, dass ich überhaupt noch Freunde getroffen habe. Das sah für mich damals aus wie ein Karnevalsfest in Nordrheinwestfalen.

Tatsächlich hat sich das alles sehr ins Virtuelle verlegt, außer bei den Hardcoregemeinden. In der großen Masse gibt es Onlinegottesdienste. Bei den Juden gab es eine Mischung aus Weihnachtsfernsehspecial, aber es war trotzdem rührend. Das war eine YouTube-Liveshow, die nannte sich "Saturday Night Seder". Sozusagen das Pessach-Seder, bei dem sich Stars religiöse Geschichten erzählt haben, sich an die Traditionen in ihren Familien erinnert haben und wo fast eine halbe Million Dollar Spendengelder gesammelt wurden.

DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, dass sich nicht alle daran halten. Wie ist das andere Extrem?

Fahrenbach: Im Süden der USA gibt es sehr stark religiöse Bundesstaaten und auch stark religiöse Gemeinden. Die Gouverneure haben dort die Gottesdienste als essentiell und unverzichtbar definiert. Es gäbe Ausnahmeregelungen für die "stay at home"-Regelungen und Kontaktsperren. In Baton Rouge haben sich gestern etwa 500 Menschen getroffen. Das sind aber vereinzelte Phänomene. Die große Mehrheit ist wirklich online. Es gibt aber auch Autokinogottesdienste, wo man sich auf einem Parkplatz trifft.

Der große Eindruck ist, wenn man recherchiert, dass man Schlaglichter findet: Ohio, Texas oder Miami. Das waren die Erzdiözesen von den katholischen Gemeinden, die ich mal durchgegangen bin, wo man liest, dass der Ostergottesdienst vorab aufgezeichnet wurde und er online für die Gemeinde gezeigt werde.

Hier in New York ist es beispielsweise so, dass die Erzdiözese 296 Gemeinden hat und seit Mitte März sind die Gottesdienste vor Ort abgesagt. Private Gebete in den Kirchen sind erlaubt, die sind in der Regel auch noch offen. Es gibt aber zum Beispiel kein Weihwasser. Dann kann man ganz viel streamen über catholicfaithnetwork.org und da sind dann die ganzen Angebote hingewandert.

DOMRADIO.DE: Was für konkrete Momente erleben Sie gerade in Ihrem Alltag, die Ihnen Hoffnung bringen?

Fahrenbach: So sehr New York in den letzten Wochen das Epizentrum des Problems war, so sehr glaube ich, dass New York ein Ort ist, von dem auch die Lösung ausgehen kann. Das ist einmal medizinisch, weil es hier sehr gut ausgestattete Krankenhäuser und Universitäten gibt, wo die Forschung extrem vorangetrieben wird. Aber das ist auch menschlich so.

Eine Geschichte, die nicht so viel erzählt wird, ist, dass der Gouverneur Krankenschwester und Ärzte aufgerufen hat, die schon in Rente waren oder noch in der Ausbildung sind, sich als Freiwillige zu melden. Innerhalb von zwei Wochen haben sich 80.000 Menschen gemeldet. Ich glaube, dass New York eine Stadt ist, die sehr erfahren ist, was Resilienz angeht und wo das ja auch Teil der DNA und sogar der Marke ist, dass es hier hart ist.

Man bildet sich ja auch etwas darauf ein, egal ob wir über die Einwanderer Anfang des 20. Jahrhunderts reden oder als Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger die Stadt fast hätte dichtmachen sollen, weil es zu viel Kriminalität gab. Dann Nine Eleven und Schneestürme, die es jedes Jahr gibt oder Hurricane Sandy. Eine Stadt, in der immer wieder auch aufgestanden wird und obwohl es jetzt so ruhig und anders ist, gibt es für mich wenig Grund zu glauben, dass es diesmal nicht so sein sollte und das gibt mir Hoffnung.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Christian Fahrenbach / © Fahrenbach (privat)
Christian Fahrenbach / © Fahrenbach ( privat )
Quelle:
DR