Jüdische Rabbiner gehen in Corona-Krise neue Wege

Schabbat digital

Es sind Notlösungen, die aber offenbar durchaus praktikabel sind. Auch Rabbiner müssen sich in diesen Tagen überlegen, wie sie für ihre Gemeindemitglieder sorgen können - an Schabbat, Pessach und darüber hinaus.

Autor/in:
Leticia Witte
Ein Jude mit einem Handy / © Deltaoff (shutterstock)

Bis vor kurzem noch konnte er sich all diese Aktivitäten im Internet nicht vorstellen. Der Frankfurter Rabbiner Avichai Apel blickt zufrieden auf die digitalen Notlösungen, die zum wöchentlichen jüdischen Ruhetag Schabbat in der vergangenen Woche erstmals erprobt wurden.

Denn ebenso wie in den Kirchen sind derzeit wegen der Corona-Krise Gottesdienste in den Synagogen verboten. Hinzu kommt, dass im orthodoxen Judentum die Benutzung elektrischer Geräte am Schabbat verboten ist - also entfällt die Möglichkeit, Gottesdienste live zu übertragen.

Manch ein Rabbiner hatte daher schon weit vor Beginn des Ruhetags am Freitagabend alleine Gottesdienst gehalten, der zu dem Zeitpunkt live übertragen werden konnte. "Ich bin sehr zufrieden mit dem ersten Schabbat dieser Art", sagt Apel, der im Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) ist. "Das war sehr interessant und erfreulich." Denn bisher habe er solchen digitalen Angeboten eher kritisch gegenüber gestanden.

Apel selbst feierte in Frankfurt einen Gottesdienst am vergangenen Freitagnachmittag, zu dem sich etwa 90 Familien online angemeldet hatten, wie er sagt. "Es war eine wunderbare Erfahrung." Und: "Wir werden versuchen, das so lange wie nötig weiterzumachen." Nun steht an diesem Freitag schon der zweite Schabbat dieser Art an.

Und es geht nicht nur um Schabbat - denn Pessach, eines der höchsten jüdischen Feste, steht vor der Tür. Beginn ist der Vorabend des 9. April. An dem Abend wird das Fest, das an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten erinnert, mit einem gemeinschaftlichen Essen eingeläutet. Dass das Sedermahl in diesem Jahr wegen des Coronavirus jeder Haushalt alleine feiern muss, sorgt unter Juden weltweit trotz allem Verständnis für Unruhe und auch Ängste.

Pessach auf die eigene Wohnung beschränken

Der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland (ARK), Andreas Nachama, weist in einem aktuellen Mitteilungsblatt darauf hin, dass die Rettung von Menschenleben derzeit Priorität habe - auch wenn es "traurig und bitter" sei, Pessach auf die eigene Wohnung zu beschränken. Aber es gehe nun darum, möglichst viele soziale Kontakte zu vermeiden. Die ARK vereinigt Rabbiner, die in Einheitsgemeinden und in liberalen Gemeinden tätig sind.

Ganz frisch ist ein religionsrechtliches Urteil einiger orthodoxer Rabbiner, wonach die Nutzung des Videokonferenzdienstes "Zoom" erlaubt ist und ältere Menschen in Quarantäne ausnahmsweise über eine Videozuschaltung am Familienabendessen teilnehmen können. Sie müssen Geräte und Programm vor Beginn des Feiertags einschalten.

Als Begründung hieß es, die Technik werde zur Erfüllung einer religiösen Verpflichtung genutzt. Auch sei es wichtig, die Verbindung zwischen den Jungen und den Großeltern zu stärken und Depressionen und Traurigkeit vorzubeugen. Die Entscheidung ist hoch umstritten.

Kritik kam unter anderen vom israelischen aschkenasischen Oberrabbiner David Lau.

Auch Apel kann das Urteil nicht nachvollziehen und spricht von einer Minderheitsentscheidung sehr weniger Rabbiner. Er selbst fühle sich nicht daran gebunden, jeder Rabbiner könne da selbst entscheiden. Die Sorge vor dem Alleinsein wiege zwar schwer, "aber wir haben hier keinen Notfall um Leben und Tod".

Am Schabbat ausnahmsweise das Telefon nutzen

Anders sei das bei der erteilten Sondererlaubnis für Corona-Kranke, am Schabbat ausnahmsweise das Telefon nutzen zu dürfen. Denn in dem Fall gehe es konkret darum, Leben zu schützen - ein Akt, der über allen Ver- und Geboten stehe, betont Apel.

Der Rabbiner fügt hinzu, die Seelsorge konzentriere sich derzeit auf Telefongespräche und das Internet. Dazu gehörten aktuell etwa Einstimmungen auf Pessach, um das Fest auch in diesem Jahr lebendig zu gestalten. Es gebe beispielsweise gemeinschaftliche Lernangebote für Kinder und Erwachsene: "Hauptsache, man ist dabei. Und wir müssen die Wände zwischen den Menschen einreißen."

Angesichts der Einschränkung der Religionsausübung, die nicht nur Juden betrifft und zum Beispiel auch Christen mit Blick auf das bevorstehende Osterfest hart trifft, ruft Apel zu Solidarität auf.

"Es gibt keinen Unterschied zwischen der Religion, Herkunft und sexuellen Orientierung. Jeder Mensch ist ein Mensch."


Quelle:
KNA
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