Der Freistaat fügt sich in die Corona-Krise

Thermometer im Anschlag

Korrespondenten schreiben aus der Corona-Krise an die Zentrale: Persönliches und Politisches, Trauriges und Tröstliches von den Mitarbeitern der Katholischen Nachrichten-Agentur. Diesmal: Eine E-Mail aus München.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Mann mit Fieberthermometer / © Helen Sushitskaya (shutterstock)
Mann mit Fieberthermometer / © Helen Sushitskaya ( shutterstock )

Bin ich ein Hypochonder? Seit Tagen sind die Stimmbänder belegt, ein kurzer, trockener Husten mischt sich dazu.

Und geht nicht der Atem inzwischen auch schwerer? Ich ertappe mich dabei, wie ich verstohlen im Bad das Fieberthermometer in den Mund stecke: 36,7 Grad. Kein Grund zur Panik. Aber die bei sonstigen Erkältungen bewährten Hausmittel schlagen einfach nicht an. Also Anruf beim Hausarzt.

Stundenlang ist besetzt. Dann endlich hebt jemand ab. Ich schildere meine Symptome. Nein, bitte nicht kommen. "Die Ärztin ruft Sie bis Mittag zurück."

Das geschieht dann auch. Kurz vor Dienstschluss mache ich mich zu ihr auf den Weg. Ich bin der einzige im Wartezimmer. Sie hört mich ab. Lunge und Bronchien sind frei. Gott sei Dank.

Kleiner Abstecher in die Marienkapelle

Meine Pfarrkirche liegt über die Straße. Kleiner Abstecher in die Marienkapelle. Dort sind die Opferlichter ausgegangen. Eine Beterin sitzt still in der vorletzten Bank. Leute, bleibt daheim, lautet seit Tagen der zentrale Appell der Staatsregierung. CSU-Chef Markus Söder spricht vom Charaktertest.

In der Corona-Krise gelingt es dem CSU-Chef, letzte Zweifel daran zu beseitigen, wie echt und nachhaltig seine Wandlung vom Wadlbeißer zum fürsorglichen Landesvater sei. Selbst die stets kritische "Süddeutsche Zeitung" streckt die Waffen. Gegen Söders Vorpreschen bei den Ausgangsbeschränkungen ist im Freistaat, aber auch im eigenen Bekanntenkreis kein Einwand zu vernehmen. Die Opposition hat - unter Einhaltung der Sicherheitsabstände - die Reihen mit der Regierungsbank geschlossen, von den Grünen bis zur AfD.

Pressekonferenzen ohne Journalisten

Es finden jetzt Pressekonferenzen ohne Journalisten statt. Das Bayerische Fernsehen überträgt live, die Mitglieder der Landtagspressekonferenz können dem Regierungssprecher per E-Mail Fragen schicken. Einige werden dann auch beantwortet.

Die Freundin unseres mittleren Sohnes liegt mit Fieber im Bett. Sie wird doch wohl nicht...? Meine Frau ermahnt ihn, uns stets auf dem Laufenden zu halten. Sollte sich da ein Verdacht ergeben, dürfte meine Frau nicht mehr im Altenpflegeheim arbeiten. Dass das Virus durch das Personal eingeschleppt werden könnte, ist dort jetzt eine der größten Ängste. Bloß kein zweites Würzburg. In einem Heim am Main liegt die Zahl der Toten inzwischen bei 16.

Zur Hochrisikogruppe gehört auch unsere 80 Jahre alte Nachbarin. Sie musste kurzfristig ins Krankenhaus, nachdem ihre Enkel aus der Schweiz zu Besuch waren. Lungenentzündung, Atemnot. Nach einigen Tagen kann sie die Isolierstation verlassen. Kein Corona. Gott sei Dank.

Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern hat zu einer Veranstaltung geladen, die nicht abgesagt ist. In einer Videokonferenz sind wir mit Schwester Karolin Kuhn verbunden, die im päpstlichen Kinderschutzzentrum in Rom arbeitet. Die Ordensfrau ist befremdet von vielen Diskussionen in der Kirche. Entbindung von der Sonntagspflicht, sollen Priester auch ohne Volk Messe feiern, Ablass - ob das wirklich die Themen seien, die jetzt dran sind, fragt sie.

Wie der Kinderschutzbund befürchtet sie, dass in diesen Quarantäne-Wochen häusliche Gewalt und Missbrauch massiv zunehmen werden.

Toilettenpapierbestände checken

So viele Pläne haben sich zerschlagen. Der Wochenendtrip mit dem Patenkind nach Berlin; ein Pfingsturlaub am Gardasee: passe. Die Hüttentour im Sommer: wahrscheinlich illusorisch. Der Alpenverein rät derzeit von Wanderungen ab; alle Bergwachtler werden jetzt anderswo gebraucht. In Tirol ist Bergsteigen offiziell verboten. Na gut, dann eben in die renaturierte Kiesgrube in Waldperlach.

Wenn man die schrecklichen Bilder aus Bergamo sieht, wirken die eigenen Sorgen schnell kleinkariert. Dennoch kontrolliere ich jetzt öfter die Toilettenpapierbestände daheim. Ein gewisser Trost: Im Münchner KNA-Büro sind Hunderte Rollen gebunkert. Aber ich weiß: Auch die Kollegin hat den Bestand schon ins Auge gefasst.


Christoph Renzikowski  / © Christoph Renzikowski  (KNA)
Christoph Renzikowski / © Christoph Renzikowski ( KNA )
Quelle:
KNA