Hamsterkäufe in der Corona-Krise

Klopapierkauf dient der Krisenbewältigung

Woche um Woche haben die Menschen die Regale in den Supermärkten geleert: Klopapier, Mehl, Pasta. Langsam lassen die Hamsterkäufe nach, die Keller sind voll. Aber warum hortet man in einer Krise ausgerechnet Klopapier?

Warum horten Menschen Klopapier? / © Kay Nietfeld (dpa)
Warum horten Menschen Klopapier? / © Kay Nietfeld ( dpa )

DOMRADIO.DE: Warum hamstern wir Klopapier, die Franzosen dagegen lieber Wein? Haben Sie eine Vermutung, was die Deutschen mit dem Klopapier machen?

Immo Fritsche (Professor für Sozialpsychologie Uni Leipzig): Ich bin ja Psychologe, insofern würde ich tippen, dass die Leute vielleicht ihren hohen Status genießen, den sie jetzt haben, wenn sie den Keller voll haben. Dass sie jetzt etwas haben, was andere nicht oder weniger haben. Vielleicht nehmen sie so auch mehr Kontrolle über die Krise wahr. Manche ägern sich vielleicht auch, dass sie im Übereifer die schlechte Qualität gekauft haben. Einlagiges Klopapier - das hat dann nichts mehr mit Status oder Kontrollgefühl zu tun.

DOMRADIO.DE: Aber mal im Ernst. Was steckt psychologisch dahinter? Hier geht es ja nicht um echten Mangel. Jedem von uns ist doch eigentlich klar, dass die Versorgung hier in Deutschland nicht in Gefahr ist.

Fritsche: Menschen brauchen, wenn sie mit Krisen konfrontiert sind oder auch persönlicher Bedrohung, das Gefühl, effektiv mit dieser Bedrohung umgehen zu können. Das erleichtert die Bewältigung von Bedrohungen, hält Menschen auch persönlich handlungsfähig. Hamsterkäufe sind ein Symbol. Was darzustellen scheint, Kontrolle auf ganz individuelle Art und Weise wieder herstellen zu können.

DOMRADIO.DE: Was jetzt gekauft wird, ist ja auch eine spannende Frage. Weshalb gerade Klopapier oder Nudeln?

Fritsche: Wir wissen, dass soziale Normen ganz besonders wirksam werden für unser Verhalten in Situationen von Unsicherheit oder auch persönlicher Bedrohung. Das heißt, wir schauen ganz genau: Was kaufen denn die anderen? Wie gehen wir mit einer solchen unbekannten Situation um, in der wir uns unsicher fühlen? So kann es dann auch noch sich selbst verstärkende Effekte geben. Tatsächlich ist es so, dass unter Bedrohung Menschen gleichzeitig auch ansprechbar werden für Kollektivität oder dieses Wir-Denken.

DOMRADIO.DE: Aber hier haben wir die meisten Probleme mit den Einschränkungen. Wie lange ertragen wir das eigentlich? Oder tritt in solchen Belastungssituation irgendwann auch der Gewöhnungseffekt ein?

Fritsche: Menschen sind ja tatsächlich sehr anpassungsfähig. Gerade in Situationen von Unsicherheit ist es wichtig, was wir den sozialen Konsens wahrnehmen. Besteht ein sozialer Konsens, dass diese Maßnahmen, die aktuellen, notwendig und auch hilfreich sind? Wenn dieser Konsens besteht, im Moment besteht er ja offenbar, dann kann es durchaus auch noch lange dauern. Menschen stellen sich tatsächlich um.

Es gibt Gefahren für jeden Einzelnen, dass persönliche Netzwerkstrukturen irreparabel beschädigt werden. Vor allem dann, wenn physischer Kontakt mit anderen besonders wichtig ist für Menschen, Beziehungen aufrechtzuerhalten. Wenn Menschen vor allem Anbindung und Zugehörigkeit über Gelegenheitskontakte haben wie beim Anstehen an Essensausgabestellen und dann beispielsweise mit Leuten plaudern; gemeint sind all diese Formen nicht institutionalisierten Austauschs, also alles, was jetzt nicht beispielsweise in Sportvereinen stattfindet.

Oder auch Liebespaare, die nicht zusammenleben und für die diese Kontaktsperre jetzt möglicherweise eine wirkliche Herausforderung darstellt. Und natürlich die indirekten Effekte, wenn Menschen arbeitslos werden oder ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage verlieren, dann hat das ganz gravierende Folgen für Selbstwert und auch Kontrollgefühl.

Gleichzeitig bedeutet diese Krise auch Einschränkungen der persönlichen Kontrolle und der persönlicher Freiheit. Das ist etwas, das Menschen nicht mögen, was auch auf Dauer krank machen kann. Ich denke, es hilft hier möglicherweise, sich persönliche Freiheiten im Alltag zu genehmigen, die möglich sind wie mal verbotene Süßigkeiten naschen, einfach mal ausschlafen oder auch mal anspruchslose Unterhaltung konsumieren.

Für Alleinlebende ist sicherlich wichtig, die jetzt eben nicht den Luxus dieser Gemeinschaftssituation oder der gemeinschaftlichen Isolation haben, dass sie in irgendeiner Form das Gefühl von Zugehörigkeit trotz Kontaktsperre aufrechterhalten. Das heißt, persönliche Kontakte online, telefonisch oder postalisch pflegen. Da, wo diese Kontaktmöglichkeiten nicht da sind - es gibt durchaus sehr viele Menschen, die schon vor der Krise sich eher als randständig und wenig eingebunden wahrgenommen haben -, wird es natürlich sehr schwierig oder auch bedrohlich.

Da darf sich auch der Staat nicht zurückziehen. Das heißt, staatliche Sozialarbeit oder auch Beratungssysteme müssen jetzt für diese vulnerablen Gruppen eher hochgefahren werden. Man kann auch, wenn man persönliche Kontakte im Alltag nicht herstellen kann oder möchte, auch auf indirekte Art und Weise versuchen, dieses Gefühl von Zugehörigkeit aufrecht zu erhalten, indem man Aufgaben für die Gemeinschaft übernimmt wie Einkaufsdienste für Risikogruppen,  Onlineangebote pflegt oder eine Nachbarschaftschat befüllt mit Material. Auf indirektem Wege, den Eindruck aufrechtzuerhalten: Ich gehöre dazu.

DOMRADIO.DE: Warum horten die Franzose Wein und wir Klopapier? Was sagt das über ein Volk aus?

Fritsche: Sicherlich hat das mit sozialen Normen zu tun. In Krisen und Bedrohungsszeiten werden soziale Normen einflussreicher. Menschen handeln eher im Sinne des wahrgenommenen Konsens. Wenn man in Frankreich wahrnimmt, dass sich die Weinregale leeren, dann ist das ein Hinweis darauf, dass man jetzt in dieser Krise Wein kaufen sollte.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR