Ein Bericht aus der Quarantäne und den Tagen danach

Der Himmel über Jerusalem ist klar wie nie

Korrespondenten schreiben in Zeiten der Corona-Krise an die Zentrale: Persönliches und Politisches, Trauriges und Tröstliches von den Mitarbeitern der Katholischen Nachrichten-Agentur. Diesmal: Eine E-Mail aus Jerusalem.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Leeres Zentrum von Jerusalem / © Andrea Krogmann (KNA)
Leeres Zentrum von Jerusalem / © Andrea Krogmann ( KNA )

Wo anfangen? Vielleicht mit der Überraschung, die zur Überraschung wurde. Als ich Ende Februar den Flieger bestieg, um meinen Vater zu seinem Geburtstag zu überraschen, machte ich mir zwar Gedanken, ob der Blitzbesuch für meine Eltern (Risikogruppe!) bedenklich sein könnte. Dass das Deutschlandwochenende mich selbst nach der Rückkehr in eine zweiwöchige Quarantäne in Jerusalem befördern würde, damit hatte ich nicht gerechnet.

Ich hielt mich dran, meistens, nur nachts wurden die Laufschuhe ausgeführt, tagsüber isoliert vom heimischen Wohnzimmer aus (und bei Sonne vor der Wohnungstür auf der Terrasse) gearbeitet. Lebensmittel wurden von Freunden vor die Tür geliefert. Und vermutlich habe ich noch nie so viele Blumen geschickt bekommen.

Als sich Hinweise auf größere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit mehrten, hätte ich die Quarantäne doch einmal fast gebrochen, zum Katzenfuttereinkauf. Bald galt, dass nur noch "systemrelevante" Dienste aufrechterhalten werden durften.

Endlich Quarantänefrei

Dann endlich: Quarantänefrei. Raus aus dem Haus. Fotografieren in einer Stadt, die ich noch nie so menschenleer gesehen habe. Erstaunen darüber, dass in der Altstadt weiterhin einzelne Cafes und nicht ganz so einzelne Souvenirläden geöffnet haben, und dass es immer noch Menschen gibt, die etwa den Salbstein in der Grabeskirche oder die Klagemauer küssen und streicheln. Tags darauf noch eine zweite Runde über Klagemauer, Grabeskirche und Altstadt, dann am Abend die Nachricht, dass ab sofort das Verlassen der Wohnungen nur noch in dringenden Fällen gestattet ist.

Gottesdienstliches Leben läuft (in allen drei Religionen) auf Sparflamme - interessanterweise ist die Obergrenze zehn, also die Zahl, die bestimmte jüdische Gebete als Quorum erfordern.

Inzwischen hat sich eine Art Home-Office-Alltag eingependelt, der allabendlich mit der "Fernsehansprache" von Benjamin Netanjahu zu den neuesten Maßnahmen endet. Es ist schwer, sich des Gefühls zu erwehren, dass bestimmte Personen hier politisches Kapital aus der Krise schlagen.

Die Botschaft sammelt Adressen von Deutschen, die bei einer vollständigen Grenzschließung ausgeflogen werden wollen. Freiwillige in den deutschen Einrichtungen wie der Schmidtschule und dem Paulushaus wurden am Donnerstag ausgeflogen, darunter leider auch meine Katzenhüterin. Ausländer kommen nicht mehr ins Land (mit Ausnahme von Angeheirateten, Diplomaten und anderen, deren Lebensmittelpunkt nachweislich in Israel ist).

Für die palästinensischen Gebiete gilt der Ausnahmezustand. Bethlehem und Region sind völlig abgeriegelt, obwohl Journalisten Bewegungsfreiheit auch dort gewährt werden soll. Die Rückkehr nach Israel würde allerdings schwierig, von erneuter Quarantänepflicht mal abgesehen.

Eine Stadt atmet auf

Ansonsten (und ich hoffe, es klingt nicht zynisch): Die gesamte Woche im "Freigang" begleitete mich das Gefühl, dass die gegenwärtige Situation Jerusalem gut tut. Die Stadt atmet förmlich auf, von Menschen- und Automassen befreit. Der Himmel ist so klar wie sonst nie, die Luft spürbar besser, die Stille ein Genuss. Freunde rufen häufiger an. Die wenigen Menschen, die sich draußen und auf Distanz begegnen, gehen sanft und freundlich miteinander um, sonst nicht gerade ein Charakteristikum der Ellenbogen-Gesellschaft hier.

Grob gesagt, kann man die Menschen hier in Bezug auf Coronaängste in vier Schubladen stecken: Panik und Ignoranz (beides eher Minderheiten), und dann die vermutlich etwa gleichstark vertretenen Haltungen "Sorge, aber ohne Panik" und "Ich halt mich für die anderen dran, auch wenn's mich nicht kümmert".

Prognosen für die nähere und mittelfristige Zukunft wage ich keine.

Diverse private Pläne (Urlaub, Wettbewerbe, Besuche) fielen dem Virus schon zum Opfer, Wochenendausgleiche schiebe ich vor mir her.

Wirklich beunruhigt bin ich von den "Testläufen", die die israelischen Sicherheitskräfte hier in der Altstadt und arabischen Wohnvierteln starten. Zeitweise war gestern die Altstadt (= mein Wohnort) abgeriegelt - und ich befürchte, dass sich das ausweiten könnte.

Dank Covid-19 habe ich inzwischen Internet zu Hause, und auch Skype läuft auf dem Laptop. Der Kontakt mit Euch und Ihnen lief und läuft einwandfrei. Die fürsorglichen Nachfragen, ob in Jerusalem alles in Ordnung sei, tun gut und können alles in allem mit JA beantwortet werden! Und die Vierbeiner sind höchst zufrieden mit meiner Dauerpräsenz im heimischen Wohnzimmer (dann ist nämlich der Heizstrahler auch auf Dauerbetrieb).

In diesem Sinne: Bleibt/bleiben Sie gesund und munter!


Andrea Krogmann / © Andrea Krogmann (KNA)
Andrea Krogmann / © Andrea Krogmann ( KNA )

Blick auf die Altstadt von Jerusalem / © Sean Pavone (shutterstock)
Blick auf die Altstadt von Jerusalem / © Sean Pavone ( shutterstock )

Eine Frau kniet am Salbungsstein in der Grabeskirche in Jerusalem / © Andrea Krogmann (KNA)
Eine Frau kniet am Salbungsstein in der Grabeskirche in Jerusalem / © Andrea Krogmann ( KNA )
Quelle:
KNA